Trend auf Fahrradwegen:Lastenräder: nicht mehr cool, aber vernünftig

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Praktisch für den Kinder- oder Bierkastentransport: das Lastenrad. (Foto: Schlijper/Hollandse Hoogte/laif)

Was tut der stilbewusste Lastenrad-Angeber, wenn sein Nischenprodukt zum Massenphänomen wird? Es strampelt weiter - oder schmeißt den Motor an.

Von Sebastian Herrmann

Es dauert nie lang, bis die nächste Kränkung um die Ecke biegt und einem die Luft aus dem Ego lässt. Eine kurze Weile hatte sich das Gefühl aufgebaut, besonders zu sein, etwas Besonderes zu besitzen: ein Lastenfahrrad.

Vor ein paar Jahren war das. Kind Nummer eins saß angeschnallt in der Transportkiste zwischen Vorderrad und Lenker, dahinter der Vater an den Pedalen. Touristen fotografierten das Gespann. Das Kind strahlte, der Vater radelte in Richtung Kita oder Supermarkt, und die Blicke nährten seinen Stolz.

Das Lastenrad bahnte Kontakte an: "Haben Sie das selbst gebaut", lautete eine häufige Frage. "Nein, das ist von einem Hersteller aus Holland, das kann man kaufen", war eine Antwort, auf die dann eine Ausführung über die Vorteile dieses speziellen Fahrrads folgte.

"Ich ersetze ein Auto"

Erlebnisse wie diese nährten die Illusion, einer von wenigen zu sein, einer urbanen Mobilitätselite anzugehören. Es machte ja nicht nur Spaß, mit dem Lastenrad durch die Stadt zu rollen, sondern es drängten sich auch reihenweise Gründe auf, weshalb es richtig und wichtig war, den Alltag damit zu bestreiten; alles Argumente aus der Weltrettungs-Kategorie, als sei man so etwas wie eine Art Asphalt-Vegetarier.

Umweltfreundlich. Platzsparend. Leise. Klimaschonend. Die Zukunft der Mobilität. Auf manchen Modellen steht es sogar auf die Seiten der Transportbox gedruckt: "Ich ersetze ein Auto."

Dann die Kränkung: Auf den Radwegen rollten andere Lastenräder, dreirädrige Varianten von Christiania Bikes; die sportlicheren Bullitt-Modelle, mit Scheibenbremsen, Kettenschaltung und Rennrad-Typen auf dem Sattel. Vor der Kinderkrippe standen nun zwischen Kinderwagen und Fahrradanhängern mit wackelnden Warnwimpeln auch Lastenräder. Die klassischen Holland-Modelle von Bakfiets; die weniger eckigen von Babboe.

Von wegen einzigartig und besonders: Lastenräder verstopfen heute die ohnehin zu engen Radwege von München, Berlin, Hamburg und sämtlichen anderen deutschen Großstädten. Die Zahl der Anbieter ist gestiegen, Reise & Müller sowie Hercules verkaufen solche Räder, andere Hersteller heißen Nihola oder Urban Wheels und seit Elektromotoren immer mehr Fahrräder antreiben, gerät der Markt für Lastenräder endgültig in Schwung.

Anfang Mai rechnete etwa das Bundesministerium für Verkehr und digitale Infrastruktur vor, dass sich mit Hilfe von Lastenfahrrädern jährlich bis zu 3,9 Milliarden Lkw-Fahrten einsparen ließen - insbesondere, seit die schweren Räder mit Elektromotoren ausgerüstet werden, seien sie auf der Kurzstrecke für Lasten bis 50 Kilogramm attraktiv.

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Die Touristen fotografieren schon lange nicht mehr, die Frager vor dem Supermarkt sind verstummt. Die Kränkung hat laut Hallo gesagt, um dann nach dem nächsten Ansatzpunkt zu suchen. Es ist albern, aber es verhält sich ein wenig wie früher mit Bands: "Ich habe sie schon gekannt, als sie noch nicht erfolgreich waren." Als würde einem der Erfolg einer geliebten Gruppe irgendetwas wegnehmen.

Genauso albern ist es, jetzt wegen der Lastenradmode die Nase zu rümpfen und sich seiner mobilen Einzigartigkeit beraubt zu fühlen. Und schließlich gelten die Argumente für das Vernunft-Vehikel (Umweltfreundlich! Leise! Platzsparend!) ja immer noch.

Tipps für den ökologisch bewegten Konsumenten

Natürlich, aber selbst der ökologisch bewegte Konsument strebt danach, seine Einzigartigkeit auch durch die Wahl seiner Produkte zur Schau zu stellen. Also was tun?

Für den stilbewussten Lastenrad-Angeber ohne Familie bieten Firmen wie Biomega aus Dänemark Transporträder an, deren auffällige Gestaltung nur mit dem Wort "Design" beschrieben werden kann. Für den Kindertransport sind diese Räder nicht geeignet, aber eine Ledertasche (Handgenäht! Einzelstück!) passt sicher sowieso besser zur Zielgruppe und in die Transportvorrichtung.

Eine andere Möglichkeit, sich wieder an der Illusion der Einzigartigkeit zu besaufen: umziehen, raus aus der Stadt. Kind zwei kam in der Vorstadt auf die Welt. Lastenräder gab es dort noch keine zu sehen. Die Leute dort schauten Kind zwei und Vater hinterher, sie sprachen sie an ("Ist das selbst gebaut?") und hörten sich die Vorträge über die Vorzüge eines solchen speziellen Fahrrads an.

Dann stand eines Tages ein anderes Lastenfahrrad vor dem Kindergarten. Dann noch eins. Das Lastenfahrrad hat den Alltag erobert, überall. Wie großartig.

© SZ vom 21.05.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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