Top-Models, Top-Fotografen, teure Kleider, ein bisschen Beauty, Kultur, Reise, das Ganze auf bestem Hochglanzpapier - natürlich kann man behaupten, die Zutaten der Vogue seien irgendwie immer die gleichen. Egal, ob es sich um die amerikanische, britische, deutsche oder koreanische Ausgabe handelt. Und natürlich wird einem jeder Modemensch daraufhin sofort einen dicken Stapel all dieser Vogues um die Ohren hauen und argumentieren, dass das, was jeden Monat dabei herauskomme, keineswegs immer das Gleiche sei. Genau betrachtet komme die sogenannte Modebibel je nach Land sogar sehr unterschiedlich daher. Merke: Vogue ist nicht gleich Vogue. Die amerikanische Ausgabe zum Beispiel liebt es traditionell glattpoliert, sie ist die mit den meisten Celebrities auf dem Cover, nebenbei auch die mächtigste. Die französische Vogue war unter der Chefin Carine Roitfeld die Rockige, Freizügige (unter ihrer Nachfolgerin Emmanuelle Alt meinen viele: allenfalls noch Letzteres). Die italienische Vogue gibt gern die Provokateurin, etwa wenn die Chefredakteurin Franca Sozzani passend zur Ölpest am Golf von Mexiko die Models für eine Fotostrecke eben in Öl baden lässt. Die deutsche dagegen gilt als elegant, differenziert, kulturlastig. Und die britische Edition? Sie ist das coole, distinguierte Familienmitglied.
Nach der 1892 gegründeten amerikanischen Ausgabe ist sie die Zweitälteste in der Vogue-Familie, und dass sie in London geboren wurde, war und ist ihr größtes Glück. London, das bedeutete ja schon immer ein Überangebot an Popkultur und angenehm eigentümlichen Persönlichkeiten, die bis heute ihren Weg ins Blatt finden. Viele der ganz Großen in der Modefotografie haben bei der britischen Vogue angefangen. In der Ausstellung "Vogue 100: A Century of Style", seit Donnerstag in der Londoner National Portrait Gallery zu sehen, sind sie natürlich vertreten. Cecil Beaton etwa, Irving Penn und Norman Parkinson. Ihre Bilder, die von den Dreißigerjahren an das Magazin prägten, waren stets perfekt durchkomponiert, selbst wenn das Model vor den Trümmern des vom Blitzkrieg gezeichneten London posierte: "Fashion is indestructible", eine der berühmtesten Aufnahmen von Beaton.
Der Stil änderte sich in den Sechzigern, als die East-End-Fotografen auftauchten, allen voran David Bailey, die den eher steifen Vogue-Gestus auflockerten und eine spontanere, intime Ästhetik etablierten. So bildete Vogue nie nur modische Entwicklungen ab, sondern immer auch gesellschaftliche - die Bildsprache der jungen Fotografen aus der Arbeiterklasse war sinnbildlich für das sich aufweichende englische Klassensystem. Legendär sind die Aufnahmen von David Bailey mit dem ersten Topmodel Jean Shrimpton alias "the Shrimp" auf den Straßen von Manhattan - früher Street Style könnte man das nennen. Baileys Vertrag mit Vogue beziehungsweise dem Verlag Condé Nast, datiert auf 1960, ist auch ein Ausstellungsstück. Darin schreibt der damalige Art Director John Parsons, er freue sich auf "die schönen Beiträge". Vereinbart wurde ein Seitenpreis von 15 Pfund. Die Bezahlung ist bis heute nicht überragend, bei Vogue ging es immer schon mehr ums Prestige.
Neuere Aufnahmen stammen von Leuten wie Juergen Teller, Tim Walker oder Nick Knight, allesamt Stars im Vogue-Portfolio. Aber nicht nur ihrer Bilder wegen hat die britische Ausgabe den Ruf einer Ausnahmeerscheinung. Hier wurden Models wie Twiggy, Jerry Hall und Naomi Campbell berühmt - und an erster Stelle natürlich Kate Moss, die so oft auf dem Titel war, dass sie quasi zum Inventar gehört und ab und zu Gast-Stylistin spielen darf, was viele nicht für ihr größtes Talent halten. Moss' erstes Cover von 1993 stammt aus dem heute legendären Unterwäsche-Shooting von Corinne Day, das die damals 19-Jährige so kindlich wie erotisch inszenierte. Mal sitzt sie in Slip und T-Shirt auf einem Bett, mal mit durchsichtiger Bluse auf der Heizung, oder sie stützt sich in BH und runtergerutschtem Top an der Wand ab. Der Körper knabendünn, das Setting so glamourös wie im sozialen Wohnungsbau. Damit machte Vogue den neuen Heroin-Chic quasi salonfähig - ein Wagnis für die bisweilen eher prüde "Fashion Bible".
Berühmt geworden ist auch das Foto von Helmut Newton aus den Siebzigern, auf dem ein junges rothaariges Model im Pool planscht. Grace Coddington, als Modechefin der amerikanischen Vogue längst Legende, war beim britischen Schwestertitel als Mannequin entdeckt worden, bevor sie eben dort ihre Karriere als Bildredakteurin begann. 19 Jahre lang arbeitete sie in der Londoner Redaktion, genau wie ihr kongeniales Gegenstück Anna Wintour, die zuerst Chefin der britischen Vogue war, bevor sie nach New York ging. Bei ihrem ersten Shooting im Jahr 1969 hat Grace Coddington um ein Haar die Queen über den Haufen gefahren: Sie steuerte ihren Mini über die Wiesen von Windsor Castle, während Norman Parkinson durchs offene Verdeck Prinzessin Anne auf ihrem galoppierenden Pferd fotografierte. Zu diesem Zeitpunkt war die Queen mit einem Rudel Corgies auf dem Weg zum Afternoon Tea, den sie im Freien einzunehmen gedachte - Coddington konnte gerade noch ausweichen. "Es fühlte sich zeitweise so an, als sei man wieder ein Schulmädchen", schreibt sie in ihren Memoiren über die Zeit bei der britischen Vogue, "aber ich konnte alle meine Fantasien ausleben."
Seit 25 Jahren heißt die Chefredakteurin Alexandra Shulman, und es ist keine Bildungslücke, wenn man diesen Namen noch nie gehört hat. Sie ist die Anti-Wintour. Kein Teufel, nicht streng, nicht knochig, sondern eine Frau, die vor allem durch ihre in diesen Kreisen außergewöhnliche Normalität auffällt. Als sie die Chefredaktion übernahm, lästerte die heimische Presse, sie könne ruhig mal ein Chanel-Kleid anziehen und sich eine Haarbürste kaufen. Dass sie damals kaum Ahnung von Mode hatte, bestreitet nicht einmal Shulman selbst. Sie ist allerdings auch keine Stylistin, sondern schreibende Journalistin, was sie von vielen der anderen Chefredakteurinnen unterscheidet.
Bis heute ist die britische Ausgabe tatsächlich die mit dem größten journalistischen Anspruch. Schon in den Zwanzigerjahren ließ man den Schriftsteller Aldous Huxley die Kollektionen von Paris besprechen, später war Virginia Woolf regelmäßige Autorin. Bei Shulman werden Modegeschichten, so weit es geht, immer noch gesellschaftspolitisch eingeordnet - die 57-Jährige ist studierte Anthropologin, wahrscheinlich kann sie gar nicht anders. Auch erscheinen neben den üblichen Star-Interviews regelmäßig große Porträts von Schriftstellern, Künstlern oder Politikerinnen, zuletzt von Nicola Sturgeon, der ersten schottischen Ministerin. Sie halte es für eine Schande, Texte auf höchstens eine Seite runterzudampfen, sagt Shulman. "Unsere Leser schätzen neben Fotos auch gute, ausführliche Geschichten." Die ziemlich stabile Auflage von rund 200 000 verkauften Exemplaren gibt ihr recht. Selbst eine mehrseitige Abhandlung über die Renaissance der Farbe Pink wird bei den Briten niemals langatmig oder peinlich, weil die Texte klug und amüsant geschrieben sind. Den Witz hat das Heft vielen anderen Modetiteln voraus. Victoria Beckham, die auf Fotos gewöhnlich steif wie ein Kleiderbügel posiert, wurde als zupackende Gärtnerin mit Schubkarre und Handschuhen im Gemüsebeet inszeniert. Fragt man Anna Wintour, was sie an ihrer Heimat England am meisten vermisse, antwortet sie mit spitzem Lächeln: "Humor."
Nicht zuletzt hat Shulman in ihrer Amtszeit noch keine einzige Diät- oder Schönheits-OP-Geschichte veröffentlicht. Sie selbst trägt eher Kleidergröße 40 als 36, als Schülerin soll sie im Ballettunterricht einmal als Donnerwetter besetzt worden sein, während die anderen die zarten Regentropfen tanzten. Dennoch ist die britische Vogue weit davon entfernt, Übergröße-Models zu propagieren. Die Mädchen sind so schön und dünn wie überall - sonst würden sie bei den Shootings ja nicht in die Designerkleider passen. Immerhin wandte sich Alexandra Shulman 2009 als einzige Vogue-Chefredakteurin in einem offenen Brief an Häuser wie Prada, Versace und Chanel und beschwerte sich, die eigens fürs Shooting gelieferten Winzkleider würden nur noch unnatürlich dünnen Models passen. Gebracht hat es am Ende wenig, und die Leserinnen scheinen es auch nicht anders haben zu wollen: Das Cover mit der Sängerin Adele, immerhin eine der populärsten Frauen des Landes, verkaufte sich spektakulär schlecht. Auf dem Cover der Februar-Ausgabe ist nun die Schauspielerin Dakota Johnson aus "Fifty Shades of Grey" zu sehen, in einem Mantel, den sie halb von der Schulter zieht, damit das Kleid von Céline zur Geltung kommt. Was bei der amerikanischen Vogue schon lange der Fall ist, wird allmählich auch bei den Briten zur Gewohnheit: das allmonatliche Celebrity-Cover. Eine Entwicklung, von der man in "Vogue: 100" glücklicherweise noch wenig sieht. "Vogue 100: A Century of Style", sponsored by Leon Max, ist in der National Portrait Gallery in London noch bis zum 22. Mai zu sehen. Der dazugehörige Bildband ist im Verlag Hatje Cantz erschienen.