Es vergeht keine Woche, in der nicht eine weitere Firma ein weiteres Produkt vorstellt, das aus recycelten Materialien hergestellt wird. Und das ist gut so. Längst gibt es Jacken, die mit alten PET-Flaschen gefüttert werden, Haute Couture aus Plastikschrott, der aus dem Meer gefischt wurde, und Armbänder aus recycelten Kunststoffperlen. Auch aus organischen Materialien wird Neues: Lampen aus Pilzfäden, Becher aus Hummerschalen, Regenmäntel aus Algen, Turnschuhe aus Fischhaut. Der nächste Schritt scheint daher logisch. Jetzt wird das wiederverwendet, was man als den letzten Dreck beschreiben könnte: Zigarettenkippen, benutzte Einwegmasken, Obstschalen, Kaugummireste. Gerade an den Design-Fakultäten weltweit scheint der Versuch besonders beliebt zu sein, Ansehnliches aus Müll herzustellen. Bislang kann man die meisten Produkte noch nicht kaufen, aber immerhin ist der erste Schritt gemacht.
Vivian Fischer und Hugo Maupetit studieren Design in Nantes und haben dort für ihr Projekt Platten aus Polymethylmethacrylat aufgehängt, an die Passanten ihre zerkauten Kaugummis kleben sollen, anstatt sie auf den Boden zu werfen. Die Platten samt Kaugummi wurden anschließend geschmolzen, aus dieser Mischung und einem Klebemittel konnten dann Rollen für Skateboards in vier verschiedenen Größen und drei verschiedenen Härtegraden gefertigt werden. Im großen Stil produziert wurde bisher noch nicht, vorstellen könnten sich die beiden aber eine Kooperation mit großen Marken wie dem Skateboard-Label Vans und einem Kaugummihersteller. "Schließlich sind die multinationalen Konzerne die größten Verursacher von Industriemüll", so Maupetit.
Sachi Tungare hatte im Gegensatz zu den festgeklebten Kaugummis jede einzelne Komponente, die in einem ihrer Objekte steckt, einmal selbst in der Hand. Als Gaststudentin im niederländischen Eindhoven zog die Designerin viele Wochenende lang durch die Straßen und sammelte Zigarettenkippen vom Boden auf. Sie wollte herausfinden, wie umweltschädlich dieser Unrat eigentlich ist - "mindestens genauso schlimm wie Strohhalme aus Plastik", so Tungare. Zurück in ihrer Heimat Mumbai begann sie auf Basis ihrer Recherchen, ein neues Material aus Kippen herzustellen. Die Celluloseacetatfasern, die für die Produktion von Zigarettenfiltern benötigt werden, reinigte sie mit ökologischen Putzmitteln, um sie dann einzufärben und in Formen zu gießen. Herausgekommen ist die Kollektion "Jugaad" mit verschiedenen Schüsseln und Vasen, die auf der Dutch Design Week im vergangenen Jahr vorgestellt wurde. "Ich war wirklich erstaunt, dass man hübsche Objekte aus Kippen machen kann, aber ganz ehrlich: Der Gestank bei der Produktion war schrecklich", sagt Sachi Tungare. "Deswegen habe ich lange vor der Pandemie angefangen, jeden Tag Masken und Handschuhe zu tragen, um den Mief auszuhalten." Auch ihr nächstes Projekt dürfte geruchstechnisch eher unangenehm werden: Sie möchte sich anschauen, was man aus Hausmüll so machen kann.
Aus Obstschalen werden Tische und Cremes
Das türkische Unternehmen Ottan Studio ist da schon einen Schritt weiter. Aus Obst- und Gemüseschalen, altem Getreide und Gartenabfällen werden Tassenuntersetzer, Kerzenständer, Beistelltischchen und Lampenschirme gefertigt. Das Besondere: Auf künstliche Farbstoffe für ihre Produkte verzichten sie ganz. Die finale Farbmischung stammt aus dem ursprünglichen Material und heißt dann konsequenterweise auch so: gelbe Linse, Mandarine, Bohnenschale.
Auch die spanische Designerin Júlia Roca Vera setzt auf Biomüll. Sie allerdings macht aus Früchten, die aufgrund ihrer Form oder Farbe für den regulären Handel aussortiert werden, Kosmetik. Und so heißt ihre Linie auch "Lleig", nach dem katalanischen Wort für hässlich. Aus einer einzigen Orange werden gleich vier Produkte: Aus dem Fleisch und ätherischen Ölen stellt Roca Vera eine Feuchtigkeitslotion und Seife her, aus der getrockneten Schale Potpourri, und den Saft darf man ganz klassisch einfach trinken. Noch nicht wirklich serienreif - bis auf die Verpackung: Die Kosmetik kommt in cremefarbenen Keramikzylindern, Schalen und Bechern, die man entweder auffüllen lassen oder aber für einen anderen Zweck weiterverwenden kann.
Einem in diesem Ausmaß noch recht neuem Müllproblem widmet sich hingegen der Koreaner Haneul Kim. Er macht aus alten medizinischen Gesichtsmasken stapelbare Hocker. Auf dem Campus seiner Universität stellte er Sammelboxen auf, entfernte im Anschluss händisch den Nasenbügel aus Metall und die Ohrenbänder und schmolz den Haufen recht aufwendig mit einer Heißluftpistole ein. Etwa 250 Masken brauchte er für jedes Stuhlbein, noch mal 750 weitere für die Sitzfläche. Weil das Material so zäh ist, benötigt man keinen Kleber oder Harz, um die Teile zusammenzuhalten. Auf Farbstoffe verzichtete Kim - das marmorierte Muster stammt von den ausrangierten Masken.
Etwas weniger aufwendig ist die Idee des Italieners Tobia Zambotti, der sich ebenfalls überlegte, was man aus den Bergen an gebrauchten Masken machen könnte, die er in seinem norditalienischen Heimatort einsammelte. Er steckt sie als Füllmaterial in sein transparentes Sofa namens "Couch-19", das in dem Weiß-Blau der Masken an einen Eisberg erinnern soll und damit auch an die globale Klimakrise. Gute Idee, allerdings bleibt offen, ob man nach der Pandemie wirklich Lust hat, ständig weiterhin von Masken umgeben zu sein.