Den Höhepunkt seiner Karriere erreicht ein Trendtier immer dann, wenn es als Parodie in die Kunstgeschichte einzieht. Dann wird es in weltberühmte Werke der Malerei hereinmontiert und in seinem natürlichen Habitat, dem Internet, zur Schau gestellt. Als der Mops modern war, schrie er in Edvards Munchs Gemälde und hielt den derangierten Kopf in seinen Pfötchen. Der Flamingo hatte einen glamourösen Auftritt als "Flarilyn Monroe" im Stile Andy Warhols. Längst sind die beiden von einer neuen Trendtierallianz vom Thron gestoßen worden: dem Lama und seinem kleinen Cousin, dem Alpaka. Und die steigen gleich ganz oben ein: Als "Mona Lama" inspiriert von Leonardo da Vinci und als "Das Alpaka mit dem Perlenohrgehänge" nach Jan Vermeer.
Die Andenkamele weiden in der Hochkultur - und vertreiben aus den Kaufhausregalen all die Eulen, Möpse, Faultiere und Flamingos, die sich dort zuletzt breitgemacht haben. Sie lächeln mysteriös auf Kindermode, ein rosa Lama ist Werbefigur der Sektmarke Mumm, eine ganze Herde gibt es als Fruchtgummi von Haribo. H & M verkauft Salz- und Pfefferstreuer in Lamaform, in Einrichtungsläden werden massenhaft Kissen, Gardinen, Tassen und Plakate mit den Wiederkäuern feilgeboten. Weil Alpakas wuschelige Kopfhaare haben, die ein wenig an Punks erinnern oder an den frühen Andre Agassi, sind sie in den USA gerade ungeheuer beliebt bei Paaren, die edgy Hochzeitsfotos haben wollen. Es gibt Agenturen, die Alpakas und Trauleute tatsächlich gleich frisiert nebeneinanderstellen, was nicht nur ein bisschen meschugge aussieht.
So ganz genau nehmen es die Trendvermarkter natürlich nicht mit der Zoologie, da geht viel Alpaka als Lama durch und umgekehrt, auf Instagram sehen schließlich beide gleich gut aus. Und riesig ist der Unterschied in der Tat nicht, beide Arten sind sogenannte Neuweltkameliden (im Gegensatz zu den Dromedaren und Kamelen der Alten Welt) und stammen aus den Hochlagen Südamerikas. Wen es interessiert: Lamas sind größer und oft doppelt so schwer wie Alpakas. Ihre Ohren sind bananenförmig, während jene von Alpakas, die auch die feinere Wolle liefern, wie Speerspitzen aussehen. Allerdings: beide spucken.
Warum werden Tiere, die ihr Gegenüber anrotzen, zum Herzensbrecher? Denken auch andere bei "Lama" sofort an den Spitznamen des Niederländers Frank Rijkaard, der Rudi Völler im WM-Achtelfinale 1990 satt in den Nacken spuckte? Womöglich hatten die Leute all die Eulen, Möpse, Faultiere und Flamingos einfach satt, während das Einhorn auch nach mehreren Saisons nicht auszurotten ist, vielleicht wegen seiner magischen Kräfte. Der Trendforscher Peter Wippermann befand unlängst immerhin: "Einhörner sind in der Welt der Markenentwickler totgeritten worden."
Vielleicht war da einfach der Wunsch, nach den vielen regenbogenfarbenen Püpserchen wieder subtiler zu werden. Und es entspricht natürlich auch dem Zeitgeist, einem Tier zu huldigen, bei dem Frauen die Herde anführen und grundsätzlich höherrangig sind als die Jungs. Sowieso gelten Lama und Alpakas als Tiere mit Haltung, als Wesen, die kuschelig aussehen, dabei aber Distanz halten. Ganz zu schweigen von den wortschöpferischen Möglichkeiten in der Vermarktung: "La La La Llama" auf Tassen klingt total lustig nach La Bamba, auf Kindershirts findet sich "No Problama" und die dazugehörigen Mütter dürfen auf Pullis ihren Kindern entgegenrufen: "Mama Lama hat keine Zeit für dein Drama." Das Alpaka kann da kaum mithalten, es taugt nicht für vordergründige Reime. Mehr als "Chaka Alpaka" fällt einem nicht ein, und das ist so was von Achtziger.
Höfe mit Lamas und Alpakas boomen, und im Zoo sind sie nicht mehr die "lame ducks"
Das Lama aber wird sogar mit der achtsamen Vokabel Karma fusioniert. "Good Karma, Lama!" liest man auf dem Toilettenpapier der Drogerie Rossmann. Stimmt das denn - haben Lamas ein besonderes Karma? Die Frage geht an Michaela Baier, die mit ihrer Familie im fränkischen Naila Lamawanderungen anbietet. Dabei führt man die Tiere, reitet aber nicht auf ihnen, weil sie zwar Lasten tragen, aber nicht Menschen. Neun Tiere stehen bei ihr auf der Weide, sie tragen Namen wie Tabasco, Kümmel und Safran; die Touren sind bis April ausgebucht. Und ja, da gebe es eine besondere Energie, sagt Michaela Baier.
Der Passgang des Lamas, der federnder sei als der Kreuzgang eines Pferdes, bewirke positive Schwingungen. Zudem hätten Lamas besondere Antennen. "Lamas spüren, wie es einem Menschen geht, sie spiegeln die Seele." Ohne sich anzubiedern allerdings. "Sie sind einfühlsam, halten aber immer Distanz", sagt Michaela Baier. Alpakabesitzer reklamieren die Eigenschaften natürlich auch für ihre Tiere. Sie verweisen zudem auf ihr mantrahafte Summen, das fast noch schöner sei als jenes der Lamas. Und das Spucken? Auf Menschen spucken artgerecht aufgezogene Lamas nicht, sagt Lamabesitzerin Baier, das täten sie nur zur Verteidigung unter Artgenossen. Alpaka- und Lamahöfe boomen jedenfalls, und auch im Zoo lässt sich der Paradigmenwechsel in der Lastentierbetrachtung schön verfolgen: Galten Lamas und Alpakas vielen Besuchern lange Zeit als die lame ducks des Tierparks, bemerken versierte Zoogänger, dass es seit geraumer Zeit deutlich mehr Rummel vor ihren Gehegen gibt.
Wie wurden Lamas und Alpakas zum Trend? Vermutlich haben viele verschiedene Dinge dazu geführt. Da sind die Reisen nach Südamerika, die gerade wieder ziemlich beliebt sind. Da ist die neue hippe Ökowelle, der Wunsch nach mehr Nachhaltigkeit und Natur. Da ist der Umstand, dass es in den USA einen Alpakaboom gibt, seit ihre Haltung steuerlich begünstigt wird. Hausbesitzer können ihr Heim zur Farm umwandeln und so Grundsteuer sparen, wenn sie sich ein paar Alpakas auf den Rasen stellen. Und nicht zuletzt könnte auch das Videospiel Fortnite zum Erfolg beigetragen haben, dessen inoffizielles Maskottchen eine lila-türkis geringelte Lama-Piñata ist. Wer eine der seltenen Figuren zerschlägt, bekommt wertvolles Baumaterial, Fallen und Munition.
All das macht Lamas und Alpakas bekannter - und damit bestens geeignet für einen viralen Trend. Es ist gerade ein großer Sport, in sozialen Netzwerken lustig frisierte Alpakas zu posten oder Lamas, die irgendwie schräg grinsen und immer ein lässiges Keine-Sorge-wird-schon-werden ausstrahlen. Wer ein Foto oder Video von so einem Tier verschickt, mutmaßen Kulturwissenschaftler, signalisiert: "Ich bin genauso lustig drauf wie dieses Vieh."