Rezepte:Fünf Patissiers verraten ihre Lieblingsdesserts

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Das Lieblingsdessert von Michael Klein: Bisquit-Roulade mit Himbeer-Topfen und Pistazie. (Foto: Original Sacher Backbuch/Joerg Lehmann/Gräfe und Unzer)

Ob geräucherte Schokolade oder Gurkeneis mit Dill - das Dessert hat sich radikal verändert. Fünf Ausnahme-Patissiers sind sich einig: Nicht alles, was geht, muss man auch machen.

Von Marten Rolff und Josef Wirnshofer

Wenn ein weltberühmtes Wiener Hotel, nach dem eine weltberühmte Tortenkreation benannt ist, einen 25-jährigen Brandenburger als Chefpatissier engagiert, dann sagt das viel über diesen Konditor aus. Was natürlich nicht heißt, dass Michael Klein dort nun die Revolution ausrufen soll. "Die Sachertorte", sagt Klein, "bleibt immer die Sachertorte." Nie käme er auf die Idee, das Rezept zu ändern oder die Torte gar in anderer Form oder Struktur anzubieten.

Es ist natürlich ein wenig ironisch, dass man sich einen jungen Innovator holt, damit der sich erst einmal mit der Tradition beschäftigt. Aber das Sacher ist das Sacher, sie starten hier allmorgendlich mit zwei Evergreens des Hauses: Apfel- und Topfenstrudel. Und für das Sacher Jubiläumsbackbuch hat sich Michael Klein erst einmal durch die österreichische Mehlspeisen-Klassik gearbeitet: Mohnzelten, Apfelschlangerl, Esterhazy-Schnitte. "Da habe ich noch mal extrem viel dazugelernt", sagt er tapfer.

Denkverbote gebe es aber nicht, "jede Idee ist vorstellbar", erklärt Klein. Doch dürfe man Gäste in einem solchen Haus nie mit Extremen konfrontieren, lieber taste er sich ran. Erst Zwetschgensorbet statt -röster zum Schmarrn, dann wird mal die Linzer Torte "komplett auseinandergenommen" und als Crème aus Azélia-Schokolade, Nuss-Crumble und Ribisel-Gelee wieder aufgetischt. Neulich hat er eine Calamansi-Ingwer-Schnitte kreiert - "geht super". Ein Dessert müsse alle Sinne ansprechen, mit Textur und Temperatur spielen. Und "es muss süß sein für mich". Da ist er selbst klassisch. Doch wenn sich Süße mit Gemüse erzielen lasse, mit einer tollen Tomate zu Salbei und Melone, wie bei einem seiner Desserts - um so besser.

Michael Klein hat schon mit 16 Konditor gelernt und war gar nicht begeistert. Erst als er abbrechen wollte, merkte er, wie sehr er seinen Beruf liebt. Er fand: Wenn weitermachen, dann nur als "einer der Besten". Ein paar Jahre später war er schon Patissier des Jahres. Er ist nun 27. Hat also noch viel Zeit zum Herantasten..

Anna Plagens lässt sich von Trends nicht zum Gemüsehändler jagen: "Ich versuche nicht zwingend, jetzt auch Rote Bete in Desserts einzubauen. Ich mache lieber, worauf ich Lust habe." Und das ist "klassische französische Patisserie mit Berliner Einschlag". Will heißen: Plagens backt nur mit Dinkelmehl, stellt Tartes oft glutenfrei her und packt weniger Zucker in Süßspeisen. "Man muss Zucker als Gewürz behandeln", findet Plagens. Diese Meinung teilt sie mit vielen jungen Patissiers: weniger Süße. Viele Torten, rügt sie, enthielten "zu viel Zucker, zu viel Alkohol, zu viele Fertigprodukte".

Plagens Stil ist subtil. Für die Hochzeit einer Freundin kreierte sie etwa ein Kuppeltörtchen: ein Boden mit Haselnuss, darauf Crème aus Pistazie und Mascarpone, die mit einer dünnen Pralinéschicht überzogen ist. Die 35-Jährige machte ihre Ausbildung in einer kleinen Patisserie im Elsass. Nach einer Station im Palais Coburg in Wien ging sie nach Paris, um bei Pierre Hermé zu arbeiten, der die französische Patisserie seit Jahren prägt wie kein anderer. Hermé habe ihr gezeigt, wie man Geschmack formt, wie wichtig dabei verschiedene Texturen sind. Plagens denkt heute noch an seine Tarte fine. Eine cremige Ganache, in der knackige Schokoladenblättchen stecken. Um dem Boden für die Ganache eine völlig eigene Konsistenz zu geben, rührte Hermé Maisgrieß in den Teig.

(Foto: Du Bonheur/Jörg Lehmann)

Seit 2013 betreibt Anna Plagens ihre Konditorei "Du Bonheur" in Berlin-Mitte. Sie steht damit für eine Riege Patissiers, die sich zuletzt aus den Restaurants verabschiedet haben, um ihre Arbeit in kleinen Handwerksbetrieben zu präsentieren. In den Auslagen der neuen Konditoreien taucht Omas Buttercremetorte höchstens noch als dekonstruiertes Zitat auf. Nun würde Plagens sich wünschen, dass Köche ihr Wissen auch bei uns so offen teilen wie in Paris. "Austausch wird dort viel mehr gefördert", sagt sie, das hebe die Qualität. "In Deutschland herrscht eher noch die Denke: Das ist mein Rezept, das darf nur unser Backstubenleiter kennen."

Viele würden sagen, dass René Frank in seinem Fach schon alles erreicht hatte. Als Chefpatissier im Dreisternehaus von Thomas Bühner, mit allen maßgeblichen Studienaufenthalten, Restaurantstationen und Preisen in der Tasche: Kochausbildung, Patissier des Jahres, Culinary Institute of America, Alain Ducasse Formation in Paris, Barcelona, San Sebastian, Schweiz, Japan. René Frank selbst aber sagt: "Ich bin jemand, der immer ein Stück weitergehen muss." Also ging er mit 31 nach Berlin und eröffnete dort das "Coda", Deutschlands erstes Lokal, das ausschließlich Nachspeisen-Menüs serviert.

Es hat ihn gewurmt, dass Bekannte auf Facebook Fotos von Gourmetdesserts lobten, die sie nie probiert hatten. "Es geht um Geschmack, darum, ihn für jeden zugänglich zu machen", sagt der Patissier. "Höchste Qualität, aber unkompliziert." Nun ist bei Frank natürlich nichts unkompliziert. Alles hochkomplex. Allein, weil es bei Dessert-Abfolgen Abwechslung geben muss, "man hat ja irgendwann keine Lust mehr auf Süßes", sagt er. Klassische Zuckerliebhaber müssen sich bei Frank umstellen. Er hat sich in Japan mit Umami, dem herzhaften Wohlgeschmack, beschäftigt. Mit Fermentierung oder der Eigensüße von Früchten und Gemüse. Er serviert getrocknete Birne zu Granité aus Sauerkrautsaft und Küchlein mit halbgeschmolzenem Bergkäse, die Glutaminsäuren von Kraut und Käse multiplizieren sich, es macht peng im Mund, aber "es ist ganz einfach", findet Frank.

(Foto: Johann Goossen)

Die Technik ist weiter die der Patisserie. Eingesetzt werden nur Zutaten, "die Sinn machen". Das kann auch schwarzer Knoblauch sein, weil der toll ist zu Petersilienwurzel, Sojacreme, Röstpistazien und Karamell. Fleisch und Fisch findet René Frank nur in absoluten Ausnahmen logisch. Als zarten Verstärker. Bei Schweinehaut für Popcorn etwa. Oder Anchovis als Umami-Quelle. Auch Zucker ist ja bei Frank die Ausnahme. Als wohldosiertes Mittel zum Zweck. Süß wird es, klar, trotzdem öfter. Aber auf natürliche Art. Und nur wenn der Kontext es erlaubt.

Österreich ist ja nicht das schlechteste Land für Süßes. Keine Dessertkarte ohne Kipferl, Strudel, Salzburger Nockerl. Katharina Haslinger liebt diese Art der Patisserie, ihre Desserts bezeichnet die 25-Jährige als "ein gutes Stück Österreich". Andererseits sei es ja nicht so, dass sich all das nicht auch moderner und raffinierter auf die Teller bringen ließe. Als Demi-Chef der Patisserie des Weissen Rössl in St. Wolfgang im Salzkammergut arbeitet sie auch daran, süßen Traditionen eine neue Perspektive zu geben. "Im Moment experimentiere ich viel mit Kräutern und Gemüsen", sagt Haslinger, "sehr wichtig sind mir Produkte aus unserer Region." Da wären die Marillen, die sie mit Macadamianüssen und Calamansi kombiniert. Etwas extravaganter ist ihr neuestes Dessert: Eis aus Brunnenkresse, zu dem sie frische und getrocknete Himbeeren, Rhabarberkompott und Panna cotta aus weißer Schokolade serviert. "Brunnenkresse kenne ich aus meiner Kindheit, die ist bei uns daheim im Wald gewachsen", erklärt die Oberösterreicherin. Besonders gern aber verarbeitet sie Rote Bete, "mit Schokolade harmoniert die wirklich perfekt". Etwa in ihrer Mousse aus dunkler Schokolade, zu dem sich die Rübe in Form von Esspapier und Gelee gesellt.

Nach dem Abitur wollte Katharina Haslinger Molekularbiologin werden, brach ihr Studium aber nach drei Semestern ab, "weil ich später einen Job haben wollte, der mir Spaß macht". Also begann sie 2013 eine Konditorlehre im Weissen Rössl und kochte sich bereits drei Jahre später bis ins Vorfinale des Wettbewerbs "Patissier des Jahres" - als erste Frau überhaupt. Stilistisch interessiert Katharina Haslinger sich besonders für die Verbindung aus Süße und Gemüse. Obwohl sie anfangs haderte, ob Produkte aus der salzigen Küche in Desserts gehören, "ob das bei den Gästen ankommt". Die Sorge war unbegründet. Und es gibt ja auch Grenzen: Fisch oder Fleisch könnte sie sich in ihren Desserts nie vorstellen: "Wenn ich selbst essen gehe, möchte ich am Schluss ja auch keine zweite Vorspeise."

(Foto: Weissen Rössl)

Gurkeneis mit Dill, weißer Schokolade und Austernwasser. Letzteres hatte Matthias Spurk mit Gin verfeinert und in Form kleiner Kügelchen auf den Teller gegeben. Als der 30-Jährige dieses Dessert kürzlich auf dem "Sweet-Tank" präsentierte, war er damit sofort beim Thema: Was darf Nachspeise heute? Auf dem Patissier-Treffen des Restaurantblogs "Sternefresser", fanden viele, dass etwa die Gänseleber, die ein Kollege in sein Dessert integrierte, eine Grenze überschreitet. Bei Spurks Teller aber legte sich der Meerwassergeschmack der Auster erstaunlich stimmig um Schokolade und Eis.

Keine Frage, die Nachspeise verändert sich. Doch nicht alles, was geht, müsse man auch machen, sagt Matthias Spurk, Chef-Patissier der Dreisterneküche im "Gästehaus Klaus Erfort". Die Auster würde er in einem Restaurant-Dessert weglassen: "Wir stehen für sehr französische Küche, die Gäste kommen mit anderen Erwartungen zu uns." Gemüse verarbeitet er indes gern. Pastinaken und Petersilienwurzeln, wegen ihres Zuckeranteils. Oder Gurken, die er als kalten Fond an ein Kokossorbet gießt.

(Foto: GästeHaus Klaus Erfort)

Und natürlich braucht jede Veränderung ein gutes Fundament. Wenn man den wortkargen Spurk auf die französische Klassik anspricht, sprudelt er über: "Ein schönes Mille-feuille, bei dem man zwischen den einzelnen Blätterteiglagen die Crème sieht, oder ein Baba au rhum: Patisserie in ihrer Urform. Einfach perfekt." Seine Begeisterung geht auf Pierre Lingelser zurück, einem Säulenheiligen der Dessertküche, unter dem Spurk nach seiner Kochausbildung gute zwei Jahre in der Schwarzwaldstube arbeitete. Ohne Handwerk ist alles nichts, findet er. Bei der aktuellen Entwicklung der Patisserie, dem Hang zu Pünktchen und Strichen, sieht er die Gefahr, dass Techniken verloren gehen. "Pürees kann jeder, aber ein gutes Soufflé?", fragt Spurk. "Schon bei Blätterteig oder einer Zuckerkugel hapert es bei manchen." Bei der Zuckerkugel versteht Spurk keinen Spaß. Sie ist bis heute eines seiner Lieblingsdessert.

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