Recycling in der Mode:Tolles aus der Tonne

Lesezeit: 3 Min.

Brillen aus Kartoffelresten, Kleidung aus Kaffeesatz: Statt nur Müll zu hinterlassen, will die Modebranche den Abfall nun nutzen.

Von Silke Wichert

Die Steinzeitmenschen haben leider kein vollständiges Memo darüber hinterlassen, wie das anfing mit ihnen und dem Leder. Aber da man ziemlich sicher weiß, dass sie sich hauptsächlich von Fleisch ernährten - nun ja, es müssen sich viele, sehr viele Tierfelle da draußen vor der Höhle gestapelt haben. Irgendwann fingen sie dann offensichtlich an, diese Abfälle mit Knochenwerkzeugen zu bearbeiten, um Kleidung oder Zelte daraus zu fertigen. Klassischer Fall von Resteverwertung sozusagen.

Auch bekannte Gerichte wie Paella, Tiroler Gröstl oder Bouillabaisse sind so entstanden. Was noch gut war, wurde nicht weggeschmissen, sondern weiterverarbeitet. Alles andere wäre ja auch totale Verschwendung, und die konnten sich die meisten Menschen früher schlicht nicht leisten. Erst mit wachsendem Wohlstand zog entsprechend die Wegwerfmentalität ein. Wenn Not erfinderisch macht, führt Reichtum offensichtlich eher zu Stumpfsinn und Hochmut, mit Müllbergen als Kathedralen der Überflussgesellschaft.

Aber nun ist die Not wieder groß, weil die Ressourcen knapp werden und der Klimawandel voranschreitet. Vor allem die Modeindustrie steht als extrem umweltschädlich da und versucht, nicht nur im Design sondern auch in der Produktion wieder kreativer zu werden. Statt immer nur neuproduzierte Stoffe zu verwenden - etwa Baumwolle, deren Anbau extrem flächen- und wasserintensiv ist, oder Polyester, das ungefähr so gut verrottet wie Plastikflaschen - wird nun zunehmend auf recycelte Materialien zurückgegriffen. Prada fertigt seine ikonischen Nylonrucksäcke neuerdings mit "Re-Nylon", manche Jeansmodelle von G-Star sind bereits zum Teil recycelt und können anschließend zu 98 Prozent wiederverwertet werden.

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Oder man sucht einfach gleich nach umweltfreundlichen Alternativen, zum Beispiel dort, wo sowieso schon haufenweise Zeug vorhanden ist und nicht genutzt wird: im Abfall. Zurück zur guten alten Resteverwertung.

Klamotten aus Kaffee

Das Londoner Brillenlabel Cubitts brachte vor einem halben Jahr die Kollektion Redux heraus. Statt aus dem üblichen Acetat, einem halbsynthetischen Material, das zwar zu Teilen aus Zellulose besteht, aber am Ende eben doch Plastik ist, wurde mit zehn anderen Materialien für Prototypen experimentiert. Rahmen aus geschredderten alten CDs, menschlichen Haaren, Wolle, aber auch aus Maiskolben oder Kartoffelschalen, die bei der Herstellung von Pommes frites anfallen. Auf letztere Idee kam das britische Start-up Chip(s)board. Sie verwenden die Reste von Kartoffelriese McCain, um daraus Bio-Plastik herzustellen, das nicht nur ihren ästhetischen Ansprüchen genügte, sondern eben auch kompostierbar ist. Neben Brillen sollen bald weitere Produkte für den Designbereich folgen, etwa Knöpfe aus Kartoffelabfällen. (So kriegt Pommes essen doch noch einen entscheidenden Mehrwert.)

Wer zu Hause Kaffee trinkt und dafür Bohnen oder Pulver benutzt, hat sich womöglich selbst schon mal gefragt, wie viel Kaffeesatz er da pro Jahr in den Mülleimer klopft. Die Kosmetikmarke Optiat sammelt mittlerweile kiloweise Überreste bei Baristas und Restaurants in der Umgebung ein, um daraus Körperpeelings zu machen, und auch Kleidung aus Kaffeesatz gibt es bereits. Das feine Granulat wird zu Fäden gesponnen, die dann zu Stoff verarbeitet werden.

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Die Marke Sundried stellt daraus vor allem Yoga- und Sportsachen her, weil die Faser besonders schnell trocknet, Schweiß absorbiert und deodorierend wirkt. Wie ein Coffee Shop soll man damit im Gym angeblich aber nicht riechen. Ferragamo war 2017 die erste Luxusmarke, die eine Capsule Collection aus "orange fibre" in Kombination mit Seide und Satin fertigte. Allein in Italien fallen jährlich mehr als 700 000 Tonnen Restabfälle bei der Orangensaftproduktion an, die bislang weitgehend ungenutzt in die Tonne wanderten.

Trauben und Apfelhaut als Alternative zu Leder

Vor allem für Leder wird in der Modeindustrie fieberhaft nach Alternativen gesucht. Viele lehnen das Tierprodukt schon allein aus ethischen Gründen ab, außerdem wird noch immer überwiegend mit Chromsalz gegerbt, das bei fehlerhafter Handhabung gesundheitsschädigend sein kann. Am bekanntesten ist wahrscheinlich Piñatex, ein festes, weiches Material aus Ananasblattfasern, die bei der Verarbeitung der Früchte übrig bleiben. Sogar große Marken wie Boss und Puma fertigten bereits Sneaker aus Piñatex, im Londoner Hilton Hotel sind Sessel damit überzogen.

Aber auch andere Früchte beziehungsweise deren Abfallprodukte sollen sich als Lederersatz eignen. Vegea, das 2016 von dem Mailänder Architekten Gianpiero Tessitore gegründet wurde, verwendet dazu die Traubenreste, die beim Weinanbau übrig bleiben - und das ist jede Menge. Auf zehn Liter Wein kommen etwa 2,5 Kilogramm Fruchtabfall. Das gefertigte "Weinleder" wurde bereits mehrfach ausgezeichnet. Der schwedische H&M-Ableger & Other Stories fertigte daraus eine Handtasche und Schuhe, Bentley benutzt Vegeas Vegan Leather für die Innenausstattung seines Elektromodells EXP 100 GT. Leder aus Apfelhaut soll ebenfalls vielversprechende Ergebnisse liefern.

Und wenn auch diese Brillen, Taschen und T-Shirts irgendwann weggeworfen werden? Ist das schlechte Gewissen zumindest nicht mehr ganz so groß. Womöglich kann die Mode von morgen direkt in den eigenen Biomüll wandern. Raus aus der Tonne, rein in die Tonne.

© SZ vom 18.01.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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