Radrennen auf Retrorädern:Held der Vergangenheit

Radrennen auf Retrorädern: Bastler und Schrauben treffen sich zu Hunderten auf der Route, die durch kleine, malerische Dörfer führt.

Bastler und Schrauben treffen sich zu Hunderten auf der Route, die durch kleine, malerische Dörfer führt.

(Foto: In Velvo Veritas)

Alte Rennräder zu sammeln, bedeutet, sich mit der Geschichte des Radsports zu beschäftigen. Ralf Siegemund erzählt von norditalienischen Virtuosen am Lötkolben, von sauber geschliffenen Muffen, mit denen die Rohre verbunden werden; von den Konkurrenzkämpfen der Teams und Hersteller und seiner Jagd nach neuen Sammlerstücken. Jahrelang liegt ein Rahmen manchmal im Keller, bis sich Teile auftreiben lassen, die dazu passen, die das Rad wieder in die Nähe des Originalzustands bringen. Das bedeutet auch, nach Firmen zu fahnden, die noch alte Lackvarianten herstellen oder bei einem Spezialisten in Australien Aufkleber zu bestellen, um die alten Schriftzüge an den Rahmen zu ersetzen.

Die Sammler sind alle Bastler und Schrauber. Auch das trägt zur Anziehungskraft der alten Räder bei: Die Technik ist beherrschbar. Federgabeln, Scheibenbremsen oder das Innenleben von Schalt-Brems-Kombinationen an modernen Rädern verweigern sich hingegen den Schraubenschlüsseln der meisten Laien. Ein demolierter Stahlrahmen lässt sich vielleicht noch ausbessern, ein beschädigtes Rohr aus Karbon reist zum Wertstoffhof.

Bastler und Schrauber

In jedem alten Rad steckt Geschichte, als hätte es seinen eigenen Gründungsmythos. Oft klingt das dann so: "Ich habe das Rad bei einem Pensionisten in Graz gekauft", sagt einer der Mitfahrer bei der In Velo Veritas, bei einem der Was-hast-du-denn-für-ein-Rad-Gespräche, die auf den Schotterwegen zwischen Weinbergen und Weizenfeldern geführt werden. "Der Pensionist hatte das von einem steirischen Rennfahrer, der damit in den 1970ern die Österreich Rundfahrt gefahren ist", geht die Geschichte weiter. Ob das stimmt? Egal, es reicht die Möglichkeit und die Vorstellung, dass ein unbekannter Held der Vergangenheit auf diesem Rad geschwitzt, geflucht und gelitten hat.

Fehlt die konkrete Heldenfigur, bietet die Geschichte der Hersteller die Projektionsfläche. Die Leidenschaft der Sammler tobt sich in der Jagd nach den passenden Teilen aus. Daniel Winkler, der Eigentümer des alten Peugeots, besitzt in Poing bei München eine Garage voller alter Rennräder oder Teile davon. Um die richtigen Sattelstützen, die passenden Schnellspanner oder Bremshebel zu finden, durchforstet er Foren im Internet, schaltet Kleinanzeigen und besucht Messen - bis die Bauteile so weit zusammen sind, dass kein Fahrrad-Wolpertinger wie das Peugeot zusammengeschraubt, sondern der Vergangenheit ein Original mit Patina abgetrotzt wird. Oder etwas entsteht, das dem Vorbild wenigstens nah kommt.

So wie die Trikots, die Winkler zusammen mit seinem Geschäftspartner Klaus Obermeier unter dem Label "Orwi" herstellt und verkauft. Diese orientieren sich an den Designs der 1960er und 1970er, schlicht und schön, aus Merinowolle gestrickt, die drei Taschen am Rücken mit Knöpfen versehen. Moderne Funktions-Wurstpellen-Wäsche für Rennradler birgt ja ein ganz wesentliches Problem: Das Zeug sieht oft entsetzlich aus, seltsame Farben, seltsame Schriftzüge, seltsame Werbung. Die vielen Merinowolltrikots bei der In Velo Veritas sind hingegen alles andere als ästhetische Rahmenbrüche.

Eingehüllt in Merinowolle

Aber Merinowolle - ist das nicht eher etwas zum Skifahren? Die Trikots taugen verblüffend gut, auch bei einer sonnigen Ausfahrt im Sommer. Durch die Strickmaschen kühlt der Fahrtwind und in den Pausen stellt sich nie das Gefühl ein, in einem nass geschwitzten Plastiksack zu stecken. Die Wolle stinkt auch nicht so schnell wie das Funktionszeugs.

Stahl oder Wolle - am Ende geht es doch darum, die Kurbel zu drehen und zu fahren. Bei aller Anstrengung sind die Ausfahrten der Retroradler herrlich entspannt. Bei den Veranstaltungen geht es nicht darum, schneller zu sein als die anderen. Konkurrenten sind die Fahrer allenfalls als Sammler, und das Feld der Radler wird sowieso vor allem von gastronomischen Faktoren auseinandergerissen oder zusammengeführt. Bei der Retro-Strampelei im Weinviertel haben die Veranstalter etwa alle 40 Kilometer Verpflegungsstationen in Gasthäusern eingerichtet. Bei kompetitiven Jedermann-Radrennen würgt man bei solchen Stopps Energieriegel runter, um so schnell wie möglich viele Kalorien in den Magen zu bekommen und hetzt weiter. Hier gibt es Kuchen, Brote, Obst, Suppen, Säfte, und wer bei der L'Eroica im Chianti mitgefahren ist, erzählt von Oliven, Käse, Rotwein und anderen Genüssen.

Und dann geht es irgendwann weiter. Auf alten Rädern und Rumpelstraßen - man kann es auch schön haben im Leben.

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