Radfahren:Fahrradhelme - die Urbanisten-Rüstung

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Kopfbedeckungen für Radfahrer sehen inzwischen aus wie Ski-Mützen, Reitkappen, Tropenhelme, Cowboy- oder Jagd-Hüte. (Foto: dpa)

Früher waren Fahrradhelme vor allem hässlich und klobig, heute sind sie ein exzentrisches Fashion-Accessoire geworden. Über die Ästhetik lässt sich noch immer streiten.

Von Verena Mayer, Berlin

Neulich auf dem Radweg an der Berliner Siegessäule. Ein junger Mann mit Vollbart rauscht auf einem Fixie vorbei. Ganz in Schwarz, und auf dem Kopf trägt er einen dieser Fahrradhelme, die wie eine Mischung aus Reitkappe und angeschnittenem Motorradhelm wirken. Ziemlich schick jedenfalls und in genau dem Bordeaux-Ton, den die Nike-Sneakers an den Pedalen haben, Rot ist bei Turnschuhen ja das neue Weiß. Mit einem Wort: Hier ist nicht nur der typische Hauptstadt-Styler unterwegs, hier hat sich jemand auch die Mühe gemacht, sein Outfit auf einen Fahrradhelm abzustimmen.

Sie heißen "Abus Metronaut" oder "Casco E. Motion Cruiser"

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Einer der berühmtesten Helmträger der Kino-Geschichte soll Kinder und Jugendliche vom Fahrradhelm überzeugen. Das Bundesverkehrsministerium startet eine Kampagne mit dem Star-Wars-Bösewicht.

Und er ist nicht der Einzige. Egal, ob man in Berlin, Zürich, Wien, Barcelona oder Kopenhagen unterwegs ist, überall trägt man derzeit Fahrradhelm. Die Modelle heißen "Abus Metronaut" oder "Casco E. Motion Cruiser" und lassen selbst den biedersten Anzugträger mit Kindersitz hinten drauf aussehen, als käme er aus dem Cockpit eines Kampfflugzeugs. Kaum ein Helm, der nicht zumindest giftgrün oder neonfarben ist, die Erfolgsgeschichte von Nutcase, einem der führenden Hersteller von Fahrradhelmen, begann damit, dass der Gründer einen alten, schwarzen Fahrradhelm aus der Garage mit orangefarbenem Isolierband beklebte. Es versteht sich von selbst, dass ein solcher Helm schon mal so viel kosten kann wie ein Smartphone. In einer Ausstellung im Wien-Museum der österreichischen Hauptstadt, die sich derzeit unter dem Titel "Chapeau!" mit der Sozialgeschichte der Kopfbedeckung beschäftigt, sieht man sogar das neueste Modell in Gold. Der Fahrradhelm als das Musthave 2016.

Von den vielen Entwicklungen in der Mode ist das sicher eine der schrilleren. Über Jahrzehnte hinweg war ja nichts uncooler als ein Fahrradhelm. Einen Helm stülpte man entweder über, weil man ein Kind war und dazu gezwungen wurde. Oder weil man zu diesen Hobby-Rennradlern gehört, die sonntags in Gruppen ihre Fahrradausrüstung spazieren fahren. Sonst galten Fahrradhelme als unpraktisch und potthässlich, nicht zuletzt als Eingriff in die Persönlichkeit. An keiner Kopfbedeckung, vom Hidschab mal abgesehen, entzündeten sich dermaßen heftige Diskussionen. Über die viel zitierte Regulierungswut einer Gesellschaft, die alles absichern und nichts zulassen will, das Spaß macht oder Risiko bringt. Ohne Helm durch den Großstadtverkehr zu radeln war da wie Rauchen. Riskant und sinnlos, aber man hatte immer auch das Gefühl, die letzte Bastion bürgerlicher Eigenverantwortung zu verteidigen. Freier Kopf für freie Bürger!

Helme auf der Fashionweek

Inzwischen sieht man nicht nur überall Fahrradhelme, die Teile sind auch auf dem besten Weg, zum Modeaccessoire zu werden. Designer Guido Maria Kretschmer, bekannt aus Funk und Fernsehen, brachte Fahrradhelme bereits auf die Berliner Fashion Week. Da liefen dann die Models in rauschenden Abendkleidern über den Laufsteg, und auf den Hochsteckfrisuren saßen glitzernde Fahrradhelme, wie Kronen. Die große Herausforderung sei es gewesen, Fahrradhelme zu schaffen, die man tragen kann, ohne dass man ein anderer Mensch wird, ließ Kretschmer verlauten, "Helme, die zum Look passen."

Das ist natürlich sehr verdienstvoll. Statistiken zufolge lassen sich ein Viertel aller Unfallverletzungen bei Radlern vermeiden, wenn sie mit Helm unterwegs sind, besonders die schweren und oft tödlichen Kopfverletzungen. Und ob man den Kopfschutz wegen einer Trag-Helm-Kampagne aus dem Verkehrsministerium aufhat oder weil er zum Look passt, ist im Moment, in dem man mit dem Fahrrad über eine geöffnete Autotür fliegt, egal. Andererseits ist die Vorstellung, dass sich jetzt auch noch ein stinknormaler Schutzhelm als Lifestyle-Accessoire beweisen muss, schon seltsam. In einem durchschnittlichen Haushalt stapeln sich ohnehin schon Helme für alles Mögliche - zum Bergsteigen, Skilaufen, Rollerfahren. Verantwortungsvoll wie man ist, zieht man inzwischen bei jeder Tätigkeit, die gefährlicher ist als Bügeln, einen Kopfschutz über.

Und so steht man eines Tages im Fahrradladen und mustert Helme, die Namen haben wie New Yorker Craftbeer-Sorten. Beim Probieren muss man dann nicht nur darauf achten, ob "Electric Olive" robust genug ist oder "Dutch Orange" fest auf dem Kopf sitzt, sobald das hintere Drehrad fixiert ist. Sondern man muss auch im Kopf haben, welches Modell sowohl zum Businesskostüm als auch zum Partyoutfit passen könnte. Während man sich dann mit einer Art Tropenhelm auf dem Kopf im Spiegel betrachtet, kommt einem eine andere affige Epoche der Kopfbedeckungen in den Sinn. Im 19. Jahrhundert war der Dreispitz so schön und so angesagt, dass ihn die Leute irgendwann nicht mehr aufsetzten, sondern nur mehr unter dem Arm trugen. Heute würde man sich damit allerdings selbst filmen und Selfies auf Instagram einstellen. Die ersten Fahrradhelme, auf denen man Kameras befestigen kann, gibt es schon.

© SZ vom 11.06.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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