Musik im Restaurant:Klingt köstlich

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Der Ton macht das Menü: Stehgeiger dürfen als die Urväter der romantischen Essensbegleitung gelten. Heute weiß man: Hohe Töne lassen das Dessert süßer wirken. (Foto: Getty)

Auch das Ohr isst mit: Warum Köche die richtigen Töne zum Essen immer ernster nehmen und der Gast im Restaurant spendabler ist, wenn klassische Musik gespielt wird.

Von Oliver Zelt

Braucht ein Restaurant einen eigenen Soundtrack? Kevin Fehling glaubt daran. Wenn der Drei-Sterne-Koch am 1. August sein Lokal " The Table" in der Hamburger Hafencity eröffnet, wird es eine der meistbeachteten gastronomischen Premieren des Jahres sein. Fehling will dann nicht nur, dass die Gerichte seine Handschrift tragen, sondern auch dass die Gäste über den Sound ihren Gastgeber kennenlernen. "Ich liebe Filmmusik", sagt er, privat gebe es für ihn "nichts Besseres als einen schönen Filmtipp".

Zum Menü werden zum Beispiel - dezente - Klänge aus "A Beautiful Mind" oder aus "Die fabelhafte Welt der Amélie" zu hören sein. Fehling mag die Dramatik an der Musik, das "Nebeneinander von Traurigkeit und Glück". Natürlich soll zuerst das Essen zum Besuch seines Lokals animieren. Aber der Spitzenkoch hätte nichts dagegen, wenn die Leute sagten: "In den Laden mit der tollen Filmmusik musst du unbedingt mal hin."

Die Herangehensweise an das Thema mag unterschiedlich sein, einig sind sich viele Köche mittlerweile jedoch darüber, dass die Musik (oder: die Geräuschkulisse) beim Essen eine immer größere Rolle spielt. Das mag zum einen daran liegen, dass Gäste, vor allem in der Spitzengastronomie, heute "ein Gesamterlebnis" suchen. Die richtige Beschallung steigert zunächst das Wohlbefinden. Und die viel beschworene neue Lockerheit der Sterneküche erlaubt Konzepte, die über Mozarts "Kleine Nachtmusik" hinausgehen. Und Wissenschaftler meinen: Nicht nur das Auge, sondern auch das Ohr isst mit.

"Das ist geradezu fahrlässig"

Die wenigen Experten, die sich mit der Musik in Restaurants beschäftigen, sind allerdings oft frustriert. Da tüfteln hochkreative Küchenchefs wochenlang an ausgefallenen Menüs, Designer präsentieren Lichtkonzepte oder schicke Tische mit passendem Geschirr, und im Hintergrund? Schrummeln weiter irgend eine Best-off-CD oder ein Medley.

"Das ist geradezu fahrlässig", meint etwa Charles Spence, Professor für experimentelle Psychologie an der Universität Oxford. Schließlich vermöge Musik ein Menü noch viel authentischer zu machen, ja sogar noch ein bisschen frischer. Das verdeutliche schon ein banales Beispiel: "Wenn ich beim Italiener sitze und dort italienische Musik höre, glaube ich doch, soeben sei der Händler mit frisch gepflückten Tomaten vorbeigekommen." Immer vorausgesetzt natürlich, der Soundtrack arbeite angemessen subtil. Will heißen: Die Musik passt zum Wirt und zum Charakter des Restaurants, was selbstverständlicher klingt, als es im gastronomischen Alltag ist.

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Die Idee der geeigneten Begleitung werde vor allem in der Spitzenküche noch nicht konsequent verfolgt, glaubt Peter Resch. Der Österreicher, dem die Firma Roomvibes gehört, erarbeitet gerade ein Musikkonzept für das Salzburger Restaurant " Hangar 7", in dem jeden Monat ein anderer sehr bekannter Gastkoch ein Menü präsentiert. Wenn die gehobene Weltküche in Österreich einkehrt, will Resch künftig die Melodien dafür zusammenstellen, in Absprache mit den Köchen und abgestimmt auf den kulturellen Hintergrund, den Internetauftritt und natürlich das Essen. Im Lokal sei vieles möglich, sagt Resch, finnische Klassik ebenso wie Flamenco oder peruanische Flöten, nur müsse das Konzept über bloße Folklore hinausgehen.

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"Wirklich gute Köche sind allumfassend und nicht nur aufs Kochen konzentriert", sagt Resch, sie dächten also darüber nach, wen sie als Gast begrüßen wollen. Und am Ende muss dieser Gast die Musik vor allem als "stimmig" empfinden. Wie im Wiener Hundertwasser-Haus, wo der Sternekoch Paul Ivic nun brasilianische und kapverdische Rhythmen zum vegetarischen Lunch auflegen lässt - ein Konzept, das in seinem Hauptrestaurant "Tian" eher nicht funktionieren würde. Im Hundertwasser-Haus aber nimmt der Mittagsgast folgende Botschaft mit: Das Leben ist leichter, als der volle Terminkalender der Mitteleuropäer suggeriert.

Legerer Latin am Tisch

Musik im Spitzenrestaurant ist auch heikel, weil der Gast gelernt hat, dass dort "seichtes Gläserklirren, sanftes Tellerklappern und schöne Gespräche den Ton bestimmen", sagt Resch. Die Szene aber gibt sich immer legerer. In Zukunft werde man bei Tisch auch Jazz oder Latin hören, glaubt er.

Und der Spitzenkoch Ralf Haug gibt ihm recht. In seinem Lokal in Binz auf Rügen vertraut Haug nur auf einen "Musikquerschnitt den ich persönlich für geeignet halte" - Klavier von Keane, die dänische Sängerin Agnes Obel, den Houseproduzenten Trentemoller oder Lana Del Rey. Haug will einen Sound, "der unsere Gäste nicht einlullt". Man solle sich "an der Musik reiben". Und die Gäste? Fragten nun nicht nur nach dem Essen, sondern auch mal nach der Playlist.

Hört man auf die Forschung, dann sollten sich Köche jedoch überlegen, ob sie sich von der in einigen gehobenen Restaurants üblichen klassischen Musik trennen wollen. Denn offenbar rechnet sie sich bei Tisch. So haben Wissenschaftler der britischen Universität Leicester herausgefunden, dass Sinfonien und Sonaten Gäste spendabler machen. Drei Wochen lang ließen sie im selben Lokal verschiedene Stilrichtungen spielen. Bei klassischer Musik gaben die Gäste im Schnitt drei Euro mehr aus als bei Pop im Hintergrund.

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Ein Klangteppich aus Bach, Beethoven und Brahms gebe dem Gast das Gefühl, "vornehm und wohlhabend" zu sein, während Töne von Pop und Rock diese Wirkung nicht erzeugten, sagt der Psychologe und Studienleiter Adrian North. Klassik schaffe nach wie vor die entsprechenden Assoziationen: Bildung, Reichtum; also seien die Leute eher in der Stimmung, sich etwas zu gönnen.

Tiefe Töne schmecken bitter

Doch die Musik im Hintergrund beeinflusst nicht nur das allgemeine Grundgefühl der Gäste oder das Ambiente des Hauses, sondern auch direkt das Essenserlebnis. Immer mehr Wissenschaftler (und Köche) glauben, dass sie im Wortsinn den Geschmack befördert. Diesen Zusammenhang hat zuletzt der Oxford-Psychologe Charles Spence untersucht. Um das zarte Zusammenspiel von Gehör und Geschmackssinn zu ergründen, ließ der Professor Testpersonen ein bittersüßes Schokotörtchen servieren und dazu unterschiedliche Musik auflegen. Mal mit hohen Tönen, mal mit brummenden Bässen.

Die Testergebnisse bestätigten Spence in der Annahme, dass Musik über die Nervenbahnen im Gehirn den Geschmack stimuliert. In der Folge schmeckte das gleiche Gericht bei Änderung der Beschallung jeweils anders. Hörten die Testesser glockenhelle Lieder, drang das Süße im Schokotörtchen durch. Bei tiefen Tönen hatten sie hingegen eher ein bitteres Mundgefühl, schmeckten also eher die Bitterstoffe der Schokolade heraus.

Die Idee, Klang wie eine "Zutat" des Essens zu nutzen, beschäftigt Köche immer mehr. Viele sprechen davon, ihrem Gericht dadurch "eine weitere Dimension", ein weiteres Erlebnis hinzufügen zu wollen.

Zu den bekanntesten Versuchen dieser Art gehört der Teller "Sound of Sea" des Briten Heston Blumenthal. Das Gericht des Drei-Sterne-Kochs ähnelt optisch einem essbaren Strand. Zum Potpourri aus Seeigeln, Algen, Austern sowie molekular nachgebautem Meeresschaum und Sand serviert der Engländer einen Mini-iPod in einer Kegelmuschel. Die Kopfhörer soll der Gast schon vorher aufsetzen, um sich durch seichtes Meeresrauschen auf den Gang einzustellen.

Ähnliches macht der Schweizer Sternekoch Stefan Wiesner, der seine Gäste mit Klängen von der Alm beschallt. Und im inzwischen weltbekannten Szene-Restaurant "Ultraviolet" in Shanghai sieht es fast schon aus wie im 3D-Kino, wobei Ton und Bildtechniker jeden Gang mit unterschiedlichen Klängen und Bildern begleiten.

Der Schall, er hat also die Spitzenküche längst erreicht, wenn auch in sehr unterschiedlicher Form. Vielleicht lande man ja am Ende auch bei einer denkbar einfachen Lösung, sagt der Psychologe Charles Spence aus Oxford. Musikgeschmäcker seien ja verschieden, "manche lieben Jazz, andere Opern", warum, so fragt er, sollten die Gäste künftig nicht - vom Handy und per entsprechender App - einfach ihre Lieblingsmusik zum Lieblingsessen hören?

© SZ vom 11.07.2015/stka - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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