Taschentrend:Hauptsache viel Platz

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Der gewöhnliche Stoffbeutel hat eine erstaunliche Karriere hingelegt. Inzwischen gibt es ihn sogar bei Luxusmarken wie Gucci und Dior. Doch seine vermeintliche Lässigkeit ist mit Vorsicht zu genießen.

Von Anne Goebel

Es sind gerade bequeme Zeiten in der Mode. Streetwear bleibt allgegenwärtig, bei den Männern ringen sich die Designer nur mühsam zu etwas mehr Haltung in Form von Zweiteilern durch. Und bei den Taschen? Bitte einfach etwas überhängen, in das man möglichst viel hineinbekommt. Ladekabel, Laufschuhe, Bio-Avocados aus dem Sonderangebot - die unvermeidliche "Tote Bag" mit den langen Doppelhenkeln schluckt alles. Leicht ausgebeult, aber im Wesentlichen stabil ist die Schultertasche der liebste Gefährte einer mobilen Gesellschaft, die immer alle Optionen im Gepäck haben will.

Das hat dem schlaffen Stoffbeutel, früher gern in schalem Beige gehalten und überraschend knitteranfällig nach dem Waschen, eine erstaunliche Karriere verschafft. Von Brooklyn bis Berlin befördert der Großstadtmensch im coolen Hipstersäckel seine Siebensachen, und natürlich hat die Luxusmode den Markt längst mit Edelvarianten versorgt. Tote Bags (von "to tote", etwas Schweres tragen) gibt es auch von Gucci, Dolce & Gabbana und Prada, aus Leder oder griffigem Textil. Das Modell von Dior lässt sich per Monogramm personalisieren und ist, Überraschung, ein Hit bei Instagram.

Die Tote Bag ist niederer Herkunft

Wer hätte das gedacht: Da sieht man nun also Beutel auf dem Laufsteg, wo doch allein das Wort schon hobbithaft klingt, nach einem leicht ranzigen Behältnis. Althochdeutsch Butil hängt etymologisch mit "gewölbt, angeschwollen" zusammen - keine besonders leichtfüßigen Konnotationen. Aber die Parade großzügiger Taschen bei den Schauen dauert an. "Move over, micro bags - big handbags are making a comeback" titelt der Guardian über den Trend zum Stauraum. Wäre ja auch schön dumm, wenn sich die Marken das XL-Geschäft entgehen ließen bei diesem klaren Signal von der Straße: Der von der Schulter baumelnde Shopper wird nicht so schnell verschwinden.

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Also hat Loewe dieses Frühjahr eine Tote im Ethnolook für knapp 900 Euro in die Kollektion aufgenommen, bei Comme des Garçons gibt es maigrüne Einkaufstaschen samt Gebrauchsanweisung ("für Ihren Gang zum Markt"). Und bei der gerade zu Ende gegangenen New Yorker Fashion Week hat das begehrte Newcomerlabel Khaite vor einer Baumkulisse Modelle gezeigt, die von den Maßen an Grüngutsäcke aus dem Garten erinnern.

Wobei das durchaus in die richtige Richtung weist: Die Tote Bag ist niederer Herkunft, kein stadtfeines Täschchen, sondern im Ursprung reißfest und funktional. Deshalb ließ man die Henkeltasche schon immer gern bedrucken, weil sie als spontaner Kauf gut funktioniert, als billiges Souvenir oder an der Supermarktkasse. Was tun, wenn am Kolosseum die Wasserflaschen für die verdurstende Familie nicht in die Handtasche passen? Schon ist einer der Leinenbeutel vom fliegenden Händler besorgt. Gut, es ist darauf Rom im flammenden Sonnenuntergang zu sehen, was natürlich grässlich ist, aber ungeheuer praktisch. Paris scheint Eiffeltürme zum Herumtragen in tausend Varianten drucken zu lassen (ideales Vertikalformat!). Zu Hause stößt man dann manchmal im Fach für Plastiktüten auf ein zum Stoffball geknülltes Mitbringsel aus La Gomera oder vom Bäcker in Meran.

Dass es ökologisch sinnvoller erscheint, die langlebigen Textilbeutel zu nutzen, anstatt das Meer mit Mikroplastik zu verseuchen, hat sicher zu ihrem Erfolg in den vergangenen Jahren beigetragen. Die junge Klientel für Lifestyle-Produkte zeigt sich gerne engagiert. Auch wenn das nagelneue iPhone XS kein grünes Produkt ist - transportiert wird es brav in der Recycling-Baumwolltasche. Allerdings gab es auch an deren Nachhaltigkeit zuletzt Zweifel. Mehrere Studien kommen zu dem Ergebnis, dass ein Stoffbeutel mit dem vergleichsweise hohen Herstellungs- und Transportaufwand nur dann umweltfreundlich ist, wenn ihn der Nutzer tausendfach verwendet. Dass die Teile in Geschäften oft gratis mitgegeben werden, dient auch nicht gerade der Ressourcenschonung. Aber der Kunde nimmt sie gerne mit und macht auch noch Werbung für seinen Lieblingsladen.

Was die Optik betrifft, so ist die vermeintliche Lässigkeit im Taschensektor mit Vorsicht zu genießen. Wer modisch auf der Höhe sein will, achtet natürlich sehr genau darauf, mit welchem Ist-doch-nur-ein-Beutel-Exemplar er das Haus verlässt. Klar, theoretisch kann man beim Edelsupermarkt Eataly den feinen Tomatensugo auch in das Säckchen von der Raiffeisenbank packen. Oder an der Festspielgarderobe die guten Schuhe aus der "Ich bin Blutspender"-Tasche holen.

Die Tasche vereint Geräumigkeit mit frischer Optik

Aber besser macht sich ein Modell der französischen Kultmarke Maison Kitsuné, die ihre Beutel aus grobem Stoff gern mit Fuchsmotiven schmückt. Oder die intellektuelle Ausführung mit dem Schriftzug des New Yorker. Die Hamburger Illustratorin Katinka Reinke verziert Beutel mit Stadtmotiven in zarten Farben, Tel Aviv ist samtblau, Stockholm pistaziengrün. Die rasante Nachfrage nach den Taschen habe sie überrascht, sagt die 32-Jährige. "Die gefallen meinen Freundinnen genauso wie meiner 70-jährigen Tante."

Wahrscheinlich liegt auch darin ein Geheimnis ihres Erfolgs: Die Tote Bag vereint die Vorzüge der Geräumigkeit, wie sie die ältere Trägerin schätzt, mit frischer Optik. Gelegentliche Ausflüge ins Alberne inbegriffen. Warum erwachsene Frauen mit Hello-Kitty-Beuteln oder dem Aufdruck "Cake District" ins Büro fahren, bleibt rätselhaft.

Dass inzwischen auch der Klassiker wieder zu Ehren kommt, ist logisch. Der Amerikaner Leon Leonwood Bean, ein Mann, der sich gern mit kapitalen Lachsen ablichten ließ, gilt als Erfinder der robusten Umhängetasche. Als Frischluft-Enthusiast baute der Jäger und Angler aus Maine ab 1912 ein Unternehmen für Outdoor-Zubehör auf, die Firma L. L. Bean. Die Tasche mit verstärktem Boden und zwei langen starken Henkeln wurde 1944 als "ice bag" für die Hausfrau lanciert, um Eis vom Automobil zum Kühlschrank zu transportieren. Heute lassen sich Hollywoodstars wie Gwyneth Paltrow oder Reese Witherspoon mit dem Beutel fotografieren. Ohne Fisch, versteht sich.

© SZ vom 16.02.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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