Für sie: Gönn Dir!
Das vergangene Jahr stand modisch gesehen im Zeichen des guten Geschmacks, oder besser gesagt, im Zeichen dessen, was der Normalo dafür hält. Quiet Luxury, der leise Luxus, ist, wenn man total langweiliges Zeug trägt, dafür aber in absoluter Top-Qualität. Anders gesagt: Der Kaschmirfaden ist so dick verzwirnt, dass dem unbedarften Normalverdiener ganz schwindelig wird. Die psychologische Macht dieses Wohlstands-Trends ließ sich im legendären Skiunfall-Prozess der Kaschmirrolli-tragenden Gwyneth Paltrow beobachten, Botschaft: Distinguierter Geschmack gewinnt immer. Spätestens da wollte wirklich niemand mehr in Mischgewebe-Mattheit sterben, weswegen sich jetzt selbst die Billighersteller auf Outfits im Stil der Unsympathen-Serie "Succession" konzentrieren, also auf absichtlich Schlichtes und Untertreibendes. Deswegen befinden wir uns jetzt in der absurden Lage, dass genau die, die sich über die Superreichen empören, genauso aussehen wie Leute, die mit ihren Privatjets eine Spur aus Tod (Co2-Abdruck) und Verderben (Steuerschnäppchen) hinterlassen. Blöder geht es nicht.
Deswegen hier ein Vorschlag für den Stilvorsatz im neuen Jahr: Mittelschicht ist nicht ganz dicht. Her mit den fragwürdigen Farben, den rheinländisch inspirierten Leo-Mustern und Glitzer-Details, also allem, was wirklich Spaß macht, die Welt ist traurig genug. Dieser lustige Schuh von Mykonos-Girls-Ausstatter Christian Louboutin (gesehen bei Matchesfashion) ist nur ein Beispiel für die Freiheit, die im Nichtvornehm-Sein liegt: Es gibt weder Macht noch Ruf zu verlieren.
Für ihn: Der Leopard-Panzer
Männer neigen in ihrer Mode noch viel seltener zu Experimenten als Frauen. All die Gentlemen-Blogger pfeifen es in ihren Beiträgen täglich von den Dächern, worum es bei der Herrengarderobe gehen soll: gedeckte Farben, zeitlose Klassiker, geschmackvolle Kombinationen. Mag auch alles seine Richtigkeit haben und für Ruhe im Land sorgen, aber es ist doch schade, dass man nur einmal im Jahr, an Fasching nämlich, etwas total Seltsames anzieht. Sollte man nicht viel neugieriger darauf sein, was geschieht, wenn man in einem ganz unwahrscheinlichen Outfit auf die Straße oder ins Nachtleben geht? Kleider machen Leute, und das Angezogensein bestimmt eben auch ein wenig das Bewusstsein. Schräge Klamotten sind legale Drogen, die einem einen lustigen Abend bescheren oder sogar die Gelegenheit zu einer Out-of-Body-Experience geben können, weil man plötzlich wie ein ganz anderer Mensch ankommt. Diese Erkenntnis zieht man ja eben aus den Faschingskostümen (manche auch schon aus einer Lederhose), auch wenn man es vielleicht nicht zugeben möchte: Die Mönchskutte, der Zorro-Anzug, das "Kleiner-Prinz"-Kostüm geben einem ja neue Verhaltensfreiheiten und wirken sich direkt auf Gang und Gestus aus.
Wie wäre es also, als seriöser Merino-Rollkragen-Typ im neuen Jahr einfach mal mit so einem komplett zügellosen Leo-Shirt (Celine Homme) aus der Glamour-Abteilung loszuziehen und allem was dazu gehört? Sich von seiner Oberbekleidung ausführen zu lassen und ein paar Stunden shirtgerecht zu verhalten? Vielleicht wird es ein Spießrutenlauf mit Selfies wie aus der Geisterbahn, vielleicht aber auch: eine lebensverändernde Erfahrung.