Ladies & Gentlemen:Lodenlos und lederfrei

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(Foto: N/A)

Klar, München hat derzeit Oktoberfest-Entzugserscheinungen. Aber wenn man die Promis bei der Ersatzwiesn sieht, geht's eigentlich schon wieder.

Von Julia Werner und Max Scharnigg

Für sie: Brokat, bajuwarisch

Zwar ist die Wiesn ausgefallen, aber das hält Feinkost Käfer nicht davon ab, das Oktoberfest-Event des Lokalpromis auszurichten: den Almauftrieb. Im Münchner Stammhaus versammelten sie sich auch heuer, um für die Fotografen ihr Zünftig-Gesicht aufzusetzen. Eigentlich war dieser Almauftrieb immer ein schöner Anlass für Spitzenschürzenlästerei. Das wirkt rückblickend jetzt kleinkariert. Denn selbst der letzte C-Promi weiß mittlerweile, dass er mit hochgeschlossener Bluse und schlichter Baumwolle nobler daherkommt. Dass Dirndl-Minimalismus traditioneller daherkommt als Brokat und Spitze, ist allerdings ein Irrglaube, weil es eine echte Dirndltradition gar nicht gibt. Sparen wir uns also den verkniffenen Vortrag über angeblich stilvolle Längen, Blusen und Schuhkombinationen. Und loben die neue Freundin von Stargast Boris Becker für ihren Trachtendebüt-Look: So auf die Pauke gehauen hat schon lange keine mehr! Lilian de Carvalho Monteiro, laut der Zeitung Express eine Risikoanalystin, hat sich für ein Christbaumkugel-Outfit in Rot und Gold, Brokat und sehr hohe Schuhe entschieden, außerdem auf die Bluse gleich verzichtet und das Ganze mit Kristallohrringen kombiniert. Eine schöne Frau kann fast nichts entstellen - höchstens dieses wilde Stampfen auf den Bierbänken, was auf Nichtbayern ja immer etwas grob wirkt, egal wie stilvoll die Frau dabei angezogen ist. De Carvalho hat kein Zünftig-Gesicht und somit auch keinerlei Stampf- und Grölabsichten. Beim Anziehen komplett auf die Risikoanalyse zu verzichten, aber nicht beim Auftritt - das wirkt bei all dem gefakten Understatement überall plötzlich moderner denn je.

Für ihn: Traurige Trachten

Es ist einem ja schon im besten Wiesnrausch manchmal nicht ganz klar, warum man jetzt gerade in fabrikneuer Tölzer Tracht oder als Tiroler Fantasieschütze mit Heringssemmel ins Calypso stolpert. Aber weil es ringsum auch alle so halten, ist das Oktoberfest modisch zum safe place geworden, beim dem das gleiche Motto gilt wie bei der Karnevalsparty im Swingerclub: Alles kann, nichts muss. Und auf wundersame Weise befördert eine halbwegs gelungene Karohemd-Lederhose-Kombination all die Unternehmensberater und Maschinenbauer dieser Stadt ja immer auch ein Stück weit zu Naturburschen. Die Instant-Kernigkeit erleichtert nicht nur die Balz, es wäre vermutlich auch sehr viel schwerer auszuhalten, wenn diese Menschen alle in ihren pastellfarbenen Langarm-Poloshirts anrücken würden. Soll also heißen, es gibt auf der Festwiese durchaus eine Art Argumentation für die massenhafte Trachtenverkleidung. Wenn in diesen Tagen aber im Zuge der sogenannten Wirtshaus-Wiesn die Heimat-Hardliner als kleine Trachtenkommandos durch die Straßen huschen, ist das alles schon schwerer hinzunehmen - einfach weil der Kontrast zum zivilisierten Stadtleben ringsum so hart ist. Und wenn man wie Boris Becker hier beim Käfer aus der Tracht offenbar gar keine Kraft und Lebensfreunde mehr zieht, muss man sich schon fragen lassen: Warum dann eigentlich? Hier sind es wohl die Hosenlänge, der Hut und die schauderhaft weich ausrollenden Strümpfe, die das Ganze Richtung Hinterwäldler kippen lassen. Entzugserscheinungen hin oder her, es gilt die alte Merkregel: Wenn mich eine Lederhose nicht drei Pfund gesünder aussehen lässt, dann lasse ich sie im Schrank. Es kommen ja auch wieder bessere Zeiten.

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