Louboutin-Ausstellung in London:Hommage an halbseidene Hacken

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Seine Kundinnen pflegen ein quasisexuelles Verhältnis zu seinen Entwürfen: Die Schuhe von Christian Louboutin sind stets etwas zu rot, etwas zu hoch - und längst Must-have jeder finanzstarken Fashionista. In London können nun auch weniger betuchte Modefans den unerreichbaren Kultobjekten ganz nahe kommen.

Alexander Menden, London

Die Sonderausstellungen des Londoner Design-Museums sind ausnahmslos exquisit gestaltete Angelegenheiten, kommen aber meist eher gediegen als verrucht daher. Doch wer sich derzeit durch den englischen Sommerregen bis in das umgebaute Lagerhaus am südlichen Themse-Ufer kämpft, den erwartet im ersten Stock ein roter Neonschriftzug mit der französischen Aufforderung "Entrée". Die Aufmachung des von Glühbirnen umrahmten Eingangs zur Londoner Christian-Louboutin-Retrospektive signalisiert: Hier drin wird's ein wenig halbseiden.

Die scharfen Schattenrisse, die die präsentierten Stücke an die Wand werfen, zeigen deren eigentliche Essenz: Es geht Louboutin um die perfekte Silhouette, zu der sich Schuh und Bein fügen. (Foto: oh)

Selbstbewusster Kitsch, ein Hauch altmodisches Pigalle, ein Schuss S&M-Club - so will einer der am meisten gefeierten Schuh-Designer unserer Tage sich und seine Schöpfungen mit den absurd hohen Absätzen und den berühmten roten Sohlen verstanden wissen.

Gleich im ersten Raum hängen reihenweise Schuhleisten an der Wand, wie kleine rote Bondage-Kunden aus Plastik. Kein Zweifel, bei Louboutin zahlt man außer mit viel Geld auch mit Schmerzen für die Schönheit. Die scharfen Schattenrisse, die in London einzeln präsentierte Stücke an die Wand werfen, zeigen dessen eigentliche Essenz: Es geht Louboutin um die perfekte Silhouette, zu der sich Schuh und Bein fügen.

So bequem es eben geht

Dass man bei den hohen Hacken, den nadelfeinen Spitzen nicht als Erstes nach Bequemlichkeit fragen sollte, versteht sich - obwohl der Designer beteuert, er mache seine Schuhe so bequem es eben gehe. Aber Priorität hätten "Design, Schönheit und Sexiness".

Warum Myriaden von Frauen so versessen sind auf Hochhackiges aus dem Hause Louboutin, kann ganz wohl nur nachvollziehen, wer auf solchen Konstrukten auch ohne Rücksicht auf Knöchel und Bänder elegant zu schreiten versteht. Dennoch erschließt sich im Design Museum selbst dem uneingeweihten Besucher durchaus die Faszination des Louboutin-Kosmos.

Dessen Konstanten haben ihre Wurzeln erkennbar in der Biografie des Designers. Im Jahre 1964 als Sohn eines Möbeltischlers in Paris geboren, zieht er seine erste Begegnung mit einem Stöckelschuh bis heute als Entstehungsmythos einer lebenslangen Obsession heran: Bei einem Besuch im Pariser Museum für Afrikanische und Ozeanische Kunst erblickte der kleine Christian ein Schild mit der Darstellung eines durchgestrichenen Pumps. Was zur Schonung des musealen Parketts gedacht war, entfachte in Louboutin eine unauslöschliche Leidenschaft, die noch angefacht wurde, als Louboutin als Teenager einen Job im Varietétheater Folies Bergère ergatterte.

Die mühelose Eleganz, mit der sich die Revuegirls dort auf schwindelerregend hohen Absätzen bewegten, wurde zum Maßstab dessen, was er von den Trägerinnen seiner Kreationen erwartet.

Nach einer Zeit als freischaffender Designer, unter anderem für Yves Saint Laurent, eröffnete Louboutin 1991 sein erstes Geschäft nahe dem Louvre. Sein Aufstieg stand seither seinen Schuhen an Steilheit in nichts nach.

Zwar ist Louboutin gerade mit einer Klage gescheitert, die es der Modekette Zara untersagen sollte, ebenfalls Schuhe mit roten Sohlen zu vertreiben. Doch ist der Wiedererkennungswert seiner Designs wohl auch so kaum zu steigern.

Verspieltheit und Fetisch gehen hier fast immer Hand in Hand: Der beinlange Stiefel "Metropolis" aus tomatenrotem, nietenbesetztem Kalbsleder scheint direkt Tomi Ungerers berühmtem Domina-Buch "Schutzengel der Hölle" entnommen zu sein. Der schon 1988 entstandene Schuh "Ouambam" besteht gänzlich aus Palmrinde, und der schwarze Stiefel "Lola Montes" ist mit farbigen Puscheln besetzt.

Die Stripperin wird zum strassbesetzten Schuh

Als Untersatz dienen im Design Museum unter anderem ein Kettenkarussell, auf dessen Sitzen jeweils ein Schuh platziert ist, sowie eine riesige rote Schuhsohle, die fast die gesamte Länge des Hauptsaals einnimmt. Louboutins Showgirl-Versessenheit trägt die Schau mit einer verblüffend lebensechten holografischen Projektion der Burlesque-Queen Dita Von Teese Rechnung, die sich nach einem neckischen Semi-Strip in einen strassbesetzten Schuh verwandelt.

In einem schwarz verhangenen Séparée schließlich liegen die reinen Fetisch-Fußverpackungen wie Juwelen aus. Modelle wie das in Zusammenarbeit mit dem Regisseur David Lynch entstandene "La Lynch", bei dem Absatz und Sohle nahezu parallel stehen und das selbst eine Primaballerina bei Gehversuchen vor unlösbare Probleme stellen würde. Oder das Paar "Siamoise", dessen Hacken miteinander verwachsen sind, und das so den letzten Schritt zum untragbaren, aber vollendet gearbeiteten Designobjekt tut.

Louboutin äußert sich gern zum quasi-sexuellen Verhältnis der Kundinnen zu seinen Schuhen. Der Sunday Times etwa sagte er, das Sexuelle an einem Stöckelschuh sei die hohe Fußwölbung: "Denn das ist exakt die Fußstellung einer Frau, wenn sie einen Orgasmus hat." Aber bei aller amüsanten Blödsinnigkeit solcher Analysen, die eher aus zweiter Hand zu stammen scheinen, hat Christian Louboutin sich einen Grundsatz zu eigen gemacht, der die vielleicht einleuchtendste Erklärung seines Erfolgs liefert: "Im Kern soll das Ergebnis meiner Arbeit ja nicht Frauen gefallen, sondern Männern."

© SZ vom 13.06.2012 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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