Konsum:Bestell-Bestseller

Lesezeit: 6 min

Schon lange nicht mehr Covergirl des Quelle-.Katalogs: Claudia Schiffer im Jahr 2003 mit und auf dem Quelle-Katalog. (Foto: dpa)

Kataloge in deutschen Briefkästen sind weniger geworden. Schade, denn sie liefern Einblicke in die Konsumnation. Fünf Klassiker - und was sie über ihre Leser verraten.

Von Max Scharnigg

Der Manufactum-Katalog

(Foto: Screenshot)

Auf diesen Seiten wurde die hohe Kunst der Kataloglyrik perfektioniert. Das Unternehmen schafft es bis heute in bewundernswerter Manier, seinen Sortimenten den Anstrich von aussterbenden Tierarten zu geben: Man will sie alle retten! Seien es das Bakelit-Drehscheiben-Telefon W48, der Rindsleder-Leinen-Kulturbeutel für einen mittleren dreistelligen Betrag oder die letzten Bestände des guten Pitralon-Rasierwassers - sein lukratives Märchen von der Arche Noah für Produkte hat Manufactum in den letzten dreißig Jahren bis in die entlegensten Kategorien (Wohnzimmer-Wettersäule aus Messing, handgefertigt im Erzgebirge, 700 Euro) fortgeschrieben. Der Katalog liegt jedes Jahr noch satter und wertiger in der Hand und dürfte zu den wenigen Verkaufskatalogen gehören, die man im leinengebundenen Schuber sammeln und vererben möchte. Die Produktprosa liest sich aber auch einfach zu gut, man fühlt sich als Chronist einer zwar nicht näher definierten, aber guten alten Zeit. Die rührseligen Anekdoten vom "idealen Reisefüllfederhalter" bis zu den Samen der historischen Kapuzinerkresse "Empress of India" von 1884 versetzen einen unweigerlich in weinerlich-museale Stimmung. Astreiner Eskapismus ist das, denn man vergisst vollkommen, dass draußen das Digitalzeitalter herrscht. Und auch, dass man streng genommen kein Rittergut einrichten muss, sondern nur eine schnöde Ikea-Schublade. Aber was soll's, her mit dem Eierlöffel aus dem vollen Horn.

Das typische Produkt: Es gibt hier ja naturgemäß nur Klassiker. Also die berühmten Brütting-Straßenlaufschuhe? Der Zeitungshalter aus Buchenholz? Die gigantische, rote Aufschnittmaschine mit Schwungrad? Wahrscheinlich vereint der massive Bleistiftanspitzer aus Gusseisen mit "rotierender Fräswalze" für 145 Euro und aus Schweizer Produktion am schönsten, worum es geht: teure Analogtechnik mit guter Geschichte für nostalgische Pedanten.

Angesprochene Zielgruppe: Menschen (darunter Studienräte), die keine Amazon-Rezensionen lesen, sondern darauf vertrauen, dass Manufactum die beste Eisenpfanne, den besten Brotkasten und sogar die beste Kloster-Erbsensuppe (Abtei Mariawald) für sie entdeckt hat. Aber wehe, wenn dann nach nur neun Jahren Benutzung die doppeltgezwirnte Badematte ausfranst - da hagelt es Reklamation! Eigentlich bedauerlich, dass der Katalog keine Kundenzuschriften enthält - das würde das Lesevergnügen glatt verdoppeln.

Der Tchibo-Katalog

(Foto: Screenshot)

Der Kaffeeröster hat mit seinen regelmäßigen "Themenwelt"-Katalogen eigentlich nur das Prinzip der Non-Food-Wühltische im Discounter übernommen und perfektioniert. Saisonale Bedürfnisse werden hier kurz vor dem Kalender beim Kunden professionell geweckt - Grillen, Kuscheln, Badespaß, Gartenfreude, Pfunde abtrainieren, Plätzchen backen, X-Mas - und dann wieder von vorne. Die locker und mit gut geföhnten Durchschnittsmodels beworbenen Produkte auf den dünnen Seiten haben alle eines gemein. Sie wirken irgendwie so, als ob man sie durchaus demnächst mal dringend brauchen könnte. Oder anders gesagt: Irgendein Familienmitglied freut sich bestimmt, wenn man ihm das Hantelset, die Silikonbackform oder die Schwimmkerze zum Namenstag schenkt. Denn aus irgendeinem Grund ist das No-Name-Zeug von Tchibo in Sachen Verschenkbarkeit immer noch viel besser beleumundet als zum Beispiel die gleichen Sachen von Aldi. Der unvergleichliche Schmökergenuss der kleinen Kataloge entsteht durch die erstaunlich niedrigen Preise bei gleichzeitig halbwegs hochwertiger Anmutung der Dinge - im Geschäft verpufft der letztgenannte Effekt bisweilen, weswegen wohl die Kataloge so begehrt sind. Bei Kaffeekränzchen haben sie jedenfalls regelrecht aufpeitschende Wirkung - insofern ist Tchibo seinem ursprünglichen Markenkern eigentlich treu geblieben.

Das typische Produkt: Für sie: eine Faszienrolle in Türkis oder sonst ein absurdes Neo-Fitnessding, das einen sein Leben lang als Ballast begleiten wird. Für ihn: alle Arten von Spezialhandschuhen, vorrangig für Fahrrad, Grill, Snowboard und Garten.

Angesprochene Zielgruppe: alle, die ein nützlich anmutendes Last-Minute-Geschenk suchen. Außerdem Menschen, die gern privaten Dudelfunk hören und sich daher routinemäßig aufs Wochenende freuen.

Der ProIdee-Katalog

(Foto: Screenshot)

Das ist eine ergiebige Fundgrube mit richtig viel Lesestoff. Jede Seite bietet zuverlässig Sensationen. Ein Mini-Schirm, der jeden Sturm aushält! Ein Heizkörper für die Steckdose! Ein Alarm-Türkeil gegen Einbrecher! Der ProIdee-Katalog ist heute eigentlich das Yps-Heft für Erwachsene mit viel Tagesfreizeit. Das einmalig schlichte Layout, gänzlich unbeleckt von dekorativen Moden, macht schon die ProIdee-Lektüre zu einem irgendwie exzentrischen Hobby. Der Katalog kommt dabei ohne thematische Kapitel aus und lässt einfach locker den neuartigen Maulwurfschreck auf die mitdenkende Wärmeflasche folgen - ist ja beides auch ähnlich brisant. Wichtig sind die ausgiebigen und wissenschaftlich getünchten Erklärungen zu den Produkten, schließlich steckt in jedem mindestens ein Geistesblitz oder aber raffinierte Technik. Und vor allem immer etwas, das man dem Nachbarn als Innovation hinreiben kann. Argumente wie "Nasa-Technologie" und "drei Funktionen in einem Gerät" sind dabei sehr beliebt. Sie helfen, die Besonderheit von Alltagsprodukten zu unterstreichen, die sonst auf den ersten Blick ein kleines bisschen überflüssig wirken könnten. Aber weit gefehlt! Gerade bei den leicht überrepräsentierten Themen Sicherheit und Haushalt gibt es offenbar noch so viel zu optimieren. Und einen Wäscheständer mit Gebläse oder eine Bettdecke gegen Mobilfunkstrahlung würde man ja sonst auch nirgendwo kriegen. Höchstens bei einem dieser Verkaufskanäle im Fernsehen. Aber die sind ja unseriös.

Das typische Produkt: Ist unbedingt aus Titanium ("42 Prozent leichter als Edelstahl!"). Oder es sorgt für saubere Verhältnisse an Stellen, an denen es einem sonst einfach egal wäre. Die "Felgenbürste der Profis" etwa, mit mehr als 10 000 Borsten zum Einspannen an den heimischen Akkuschrauber ist so ein innovatives Wunderding.

Angesprochene Zielgruppe: Menschen, die schon länger vermuten, dass ihnen geniale Erfindungen irgendwie absichtlich vorenthalten werden. Oder aber, dass es nur eines neuen Patents bedarf, um das Leben auf die Reihe zu kriegen. Auch empfänglich: selbsternannte kritische Geister und notorische Tüftler.

Der Ikea-Katalog

(Foto: Screenshot)

Dieser Bestseller inszeniert sich einmal im Jahr als globaler Wegweiser zum kleinen Glück. Er vermittelt seinen Millionen Lesern ein Gemeinschaftsgefühl und lässt sie dabei trotzdem in dem Gefühl, einen individuellen Geschmack zu haben - ein erstaunlicher Kunstgriff. Genau wie der Umstand, dass der Katalog seit Jahrzehnten weitgehend in denselben Räumen in einem Lagerschuppen am Hauptquartier in Älmhult fotografiert wird. Dabei wirkt er jedes Jahr doch noch internationaler und diversifizierter, das abgebildete pralle Leben darin springt einen ja schon fast an. Jedenfalls hat der Katalog es geschafft, selbst zu einer Art Einrichtungsgegenstand zu werden. Trotz seines unpraktischen Formats entwickelt man schnell Verlustängste, wenn man den "neuen" nicht im Briefkasten hatte. Dabei wird auf den dreihundert dünnen Seiten eigentlich immer das gleiche Programm gezeigt: formschön verwüstete Kinderzimmer, knifflige Familienaufstellungen und eine politisch korrekte und immer unangenehm modernistische Version von häuslichem Alltag. Noch nie hat eine ikealastige Wohnung im echten Leben so ausgesehen wie diese Musterapartments, aber es lag ja auch noch nie eine Familie so perfekt patchworkig auf einem Sofa um einen Kamin. Wichtiges rhetorisches Element ist neben den ulkigen Produktnamen die direkte Anrede der Leser, die immer auf dem schmalen Grat zwischen schwedischer Lässigkeit und Übergriffigkeit balanciert. ("Du kannst aufstehen und alles selbst machen...") Sie verstärkt beim Betrachter aber auch den Eindruck, dass er den rituellen Besuch bei Ikea schon sträflich lange vor sich hergeschoben hat. Denn bei aller Liebe zum Katalog - gekauft wird dann doch lieber im Laden. Stichwort Hotdog! Und kapiert ja kein Mensch, wie die Kungsbacka-Front sonst zum Spülschrank kommen soll.

Das typische Produkt: etwas aus der Kleinteil-Halle, das man vorher garantiert nicht auf dem Zettel hatte.

Angesprochene Zielgruppe: Menschen, die tendenziell unzufrieden mit ihrer Wohnsituation sind und daran glauben, dass sich auch kleine Räume und Flure pfiffig nutzen lassen. Also irgendwie alle.

Der Sport-Schuster-Katalog

(Foto: Screenshot)

Seit 1913 wird dieser halbjährliche Energieriegel gedruckt, mittlerweile ist er bis zu 500 Seiten dick und sollte eigentlich mit Warnhinweisen versehen werden. Denn es kann passieren, dass man nur kurz und unmotiviert hineinblättert und zwei Stunden später eine Rafting-Ausrüstung, mehrere Leichtzelte und hochwertige Steigeisen bestellt hat. Nur so, um für alles gerüstet zu sein. Der Katalog befeuert jedenfalls wie kaum eine andere Publikation die Neigung der süddeutschen Bevölkerung zum Alpenhauptkamm. Und er spielt auf jeder Seite gekonnt mit dem schlechten Gewissen seiner Leser: wieder nicht oft genug in die Berge gekommen. Wieder die Ski nicht gewachst. Wieder als Halbschuh-Tourist vom Heli gerettet worden. Urgs, das muss nächstes Jahr aber besser werden! Kein Problem, denn offenbar braucht es ja nur die richtige Ausrüstung, damit die Wochenenden so aussehen wie auf den Katalogseiten: glückliche Gipfelsiege, Pulverschnee, dampfende Teetassen im Biwaksack. Im Grunde hat man nach der Lektüre schon Muskelkater und fühlt sich trotzdem chronisch unterwandert. Der Katalog gehört deshalb längst zu den Pflichtaccessoires in bürgerlichen Münchner Wohnungen, so ähnlich wie die Skibox auf dem Autodach und die Kitzbühel-Gams am Kofferraum - als Abzeichen grundsätzlicher Naturnähe und prinzipieller Kernigkeit. Trotz der Versuchung, sich gleich bis unters Dach mit Gore-Tex-Devotionalien einzudecken, bestellt man dann aber doch eher nicht aus dem Katalog, sondern geht direkt hin, zum Schuster. Schließlich ist ausführliche Beratung bei diesen Dingen das Allerwichtigste, weiß doch jeder. Wer Bergschuhe einfach so aus dem Katalog bestellt, hat doch in Wahrheit die Kontrolle über sein Leben verloren! Und schließlich haben schon die Großeltern ihre neuen Schuhe auf dem künstlichen Maulwurfshügel im Laden ausprobiert.

Das typische Produkt: Merino-Rollkragen zum Darunterziehen, weil es der einzige Ausrüstungsgegenstand ist, der einem keine Angst macht. Oder eben Schneeschuhe.

Angesprochene Zielgruppe: Stadtflüchtlinge, urbane Nomaden, Wandervögel und andere Frischluftjunkies.

© SZ vom 14.12.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: