Kolumne: Eigener Herd:Tätärä Tatar

Lesezeit: 3 min

Seit Beginn der Pandemie wird wieder mehr zu Hause gekocht. (Foto: SZ)

Rohes Rinderfilet gehört zum edelsten, was die Fleischauslage zu bieten hat. Je besser die Qualität, desto zurückhaltender sollte man es kombinieren. Unschlagbar ist ein italienisches Rezept - mit sehr gutem Olivenöl, wenig Zitrone, Pfeffer, Salz , Kapern und Pistazien.

Von Marten Rolff

Kein anderes Lebensmittel ist symbolisch so stark aufgeladen wie Fleisch. Ernährungspsychologen erkennen darin einen Hauptgrund dafür, dass der Veganismus so extrem polarisiert. Es gehe um einen Machtkampf, sagen sie. Weil die menschliche Evolution und vor allem das Wachstum unseres Gehirns erst dann so richtig Fahrt aufgenommen hätten, als der Mensch zum Jäger wurde und sich damit eine wichtige Proteinquelle erschloss. Fortan stand Fleisch für Macht, Erfolg, Reichtum und natürlich - Männlichkeit. Kein Wunder also, dass es vor allem ältere männliche Grillrunden verstörte, als sie plötzlich von mehrheitlich jungen Akademikerinnen aus der Großstadt hörten, das neue Statussymbol sei es, auf Fleisch zu verzichten.

Zu den Aufgaben eines Rezeptkolumnisten zählt zum Glück nicht, in dieser Debatte Partei zu ergreifen. Doch die Jahrtausende alte Symbolik von Fleisch erklärt vielleicht ganz gut, warum sich ausgerechnet um ein so schlichtes Gericht wie Beefsteak Tatar (auch: Steak Tartare) derart viele Legenden ranken. Rinderfilet (Hüfte geht auch) zählt schließlich zum edelsten und teuersten, was die Fleischauslage zu bieten hat. Und dass es roh (und gehackt) gegessen wird, ist natürlich wichtig. Denn dafür muss das Fleisch von bester Qualität sein. Es geht also um Prestige und Feinheit mit (roher) animalischer Note, wenn man so will.

Die Legendenbildung beginnt schon beim Namen. Das Gericht ist nach den Tataren benannt, von denen man sich erzählte, dass sie Fleisch unter den Sätteln ihrer Pferde mürbe ritten. Ein stereotyper Unsinn, der sich trotzdem bis heute in einigen Kochbüchern gehalten hat. Die Vorstellung, dass da ein kriegerisches asiatisches Reitervolk nach siegreicher blutiger Schlacht einfach unter den Sattel greift, um sich so archaisch wie edel zu laben, ist wohl einfach zu verführerisch.

Natürlich war es die französische Klassik, die Steak Tartare kulinarisch sublimierte. Allen voran Kochdenkmal Auguste Escoffier, der das Gericht 1903 in den "Guide Culinaire" aufnahm und später faschiertes rohes Rinderfilet mit einer Sauce à la Tartare auf Senf- und Ei-Basis servieren ließ. Nach Lehrbuch wird Tatar mit rohem Eigelb angemacht, dazu Kapern, Zwiebeln, Tabasco, Sauce anglaise (Worcestersauce), Salz, Pfeffer und Petersilie. Erleben kann man das im pompösen (und übrigens bezahlbaren) Pariser Klassik-Tempel "Le Train Bleu", gelegen im Gare de Lyon. Dort würfelt der Chef de salle das Fleisch - Wolf kommt nicht in Frage! - und die Zwiebeln noch in einem eindrucksvollen Ritual vor den Augen des Gastes, und spätestens nun weiß man auch am letzten Nebentisch, dass gerade wieder eine der schicksten Vorspeisen des Hauses aufgetragen wird.

Die Deutschen dagegen haben ein weniger gutes Händchen für Tatar, das sie auch gern mit Gewürzgurke und/oder Tomatenmark und Sardellenfilets essen. Denn leider sind "Fleischnation" und "Fleischqualität" viel zu selten deckungsgleich, wie man nicht nur gerade bei Tönnies erfuhr, sondern auch an Münchens Fleischtheken bestätigt kriegt. An einer solchen bat ein Kunde vor mir in der Schlange kürzlich um Erläuterungen zur Auslage. Die Metzgerin ging streng nach Preisskala vor. Sie lobte erst das zarte Charolais, pries dann das aromatische galizische Fleisch und überschlug sich förmlich beim texanischen Rind. "Ach ja, und dann haben wir noch bayerischen Weideochsen", schob sie schließlich der Vollständigkeit halber zögerlich nach. Ob sie damit sagen wolle, dass der bayerische Weideochse geschmacklich eine lahme Ente sei, fragte der Kunde leicht irritiert. Da schickte die Metzgerin ihr nettestes Sphinx-Lächeln über die Theke und antwortete: nichts. Recht hatte sie in jedem Fall.

Und so schön (und beliebt) die klassische Zubereitung auch sein mag: In Zeiten, in denen Fleischfans die Diskussion um Rinderrassen und ihre Fütterung zum Fetisch erheben, ist die Qualität zumindest in der Nische enorm gestiegen. Ob man hocharomatisches Spitzenfilet da mit Zwiebeln, Gürkchen, Tabasco oder Worcestersauce behelligen sollte, ist zweifelhaft. Da lohnt eher ein Blick nach Italien, wo Tatar-artige Gerichte wie zum Beispiel rohes Kalb vom Fassone-Rind im Piemont oft nur mit Öl, Zitrone, Salz, Pfeffer und eventuell etwas Knoblauch abgeschmeckt werden.

Ein besonders überzeugendes Tatar-Rezept stammt von der so einfachen wie empfehlenswerten Osteria "Bevi Bevi" im Kopenhagener Hipsterviertel Vesterbro, deren Küche rohes Rindfleisch kongenial mit Nüssen und Zitrone flankiert. Für zwei Personen 150 g Rinderfilet in feine Würfel schneiden (0,5 bis 1 Zentimeter Länge) und unbedingt gegen die Faser, damit es zart wird. Tutorials zu Schnitttechniken gibt es bei Youtube zuhauf. Die Würfel mit Salz und frischem Pfeffer würzen und mit Olivenöl von bester Qualität und etwas Zitronensaft marinieren. Schließlich je eine kleine Handvoll gehackte Pistazien und leicht geröstete Mandelstifte unters Fleisch heben. Einen weiteren Säurekick bringen am Ende 1 bis 2 EL gehackte Kapern (vorher gut wässern gegen das Salz).

© SZ - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: