Karl Lagerfeld in München:Und eilig staksend hinterher!

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Kollektives Warten auf König Karl. (Foto: Getty Images for FENDI)

Karl Lagerfeld lädt zur Vernissage seiner Ausstellung "Glory of Water" und alle kommen. Zwischen Details römischer Brunnen und fluffigen Felltaschen ist das schillerndste Kunstwerk des Abends nur für einen Wimpernschlag zu erhaschen.

Von Lena Jakat

Ein Prozent Salze, Fettsäuren und Harnstoff, 99 Prozent Wasser. Schweißtropfen, die auf geschminkten Nasenrücken sitzen. Die Herrlichkeit des Wassers, der auf dieser Veranstaltung eigentlich gehuldigt werden soll, ist längst vergessen, das Gegurgel der Brunnen verschwunden unter dem Geplätscher des Smalltalks. "Schnüppi ist deutlich jünger als ich, wir kennen uns aus Düsseldorf", sagt eine fremde Frauenstimme viel zu nah am rechten Ohr. Schnüppis Bekannte steht an diesem Dienstagabend vor einem dicken schwarzen Vorhang im Münchner Haus der Kunst. Eingequetscht zwischen vielen anderen Frauen in hohen Schuhen, die alle nicht so sehr wegen der Bilder gekommen sind - Detailaufnahmen römischer Wasserspiele -, sondern wegen des Kunstwerks hinter dem Vorhang. Karl Lagerfeld, der hier zur Vernissage seiner Ausstellung "The Glory of Water" erwartet wird. Dutzende Nasenrücken recken sich in den Lichtkegel, der ab und an durch den Vorhangspalt fällt. "Geht's hier zu den Toiletten?", fragt ein Herr von hinten aus der Menge.

Präsentiert wird die Ausstellung von Fendi. Das italienische Modehaus hat zuvor einen Kilometer isaraufwärts zur offiziellen Eröffnung seiner ersten deutschen Boutique geladen. Zwei Etagen an der Maximilianstraße. Leder auf dem Treppengeländer, Leder an der Wand und als Schattenriss der Ewigen Stadt. Ein blauer Mantel aus Pelz, so fein, dass er wirkt wie aus Spinnenbeinen gemacht. Ein Kommödchen mit Materialmustern von Strauß, Kroko und Python. Seit fast 50 Jahren arbeitet Lagerfeld mit dem römischen Modehaus zusammen, er machte die Pelze und Lederwaren berühmt. Zwischen den Highheels im ersten Stock sagt ein Gast: "Noch klappt das ja mit den Einladungen" und nimmt einen tiefen Schluck Champagner. Eine Harper's-Bazaar-Redakteurin trägt Sneakers zum Fendi-Flatterkleid in mehreren Lagen Blau. Falls sie damit Lagerfeld anlocken will, der seine Chanel-Models kürzlich in ähnlichen Tretern losschickte: Fehlanzeige. Kein Karl.

Tasche mit Model: Franziska Knuppe. (Foto: Getty Images for FENDI)

Es ist ein lauer Abend, der wärmste vielleicht in diesem Jahr. Und so ist nicht das Pelzjäckchen, sondern die Tasche das Accessoire, das einen Gast an diesem Abend als VIP ausweist. Eine eulenartige Kreation flattert an der Schulter von Model Franziska Knuppe herein. Pink die Vogelaugenlider, pink das Modelkleid. An unbekannteren Armen schweben Ethno-Modelle mit aufwendigem Perlenstick. Abendtaschen, die ihren Namen der länglichen Form verdanken, werden an der "Baguette Wall" von 30 000 Bronzespießen in der Luft gehalten. Die auf Tempelart im Raum verteilten Säulen sollen an Rom erinnern, ihre Vertikale an die "Unabhängigkeit, Stärke und Feminität" der Unternehmerfamilie. Gerade stehen sie jedoch vor allem im Weg. Eine Frau versucht den Hals zu recken, ohne dass es aussieht, als recke sie den Hals. "Siehst du was?", fragt sie ihre Begleitung.

Ist das nicht?

Ist das nicht? Nein, das ist nicht Sara Nuru. Sondern ihre Schwester Sally, die ihr wirklich sehr ähnlich sieht und lächelnd auf das Missverständnis aufmerksam macht. Sara steht da drüben. Franziska Knuppe und Alexandra Neldel begutachten gegenseitig ihre Taschen. Plüscheule gegen Geometrie, Luxus auf Zeit. Taschen, Kleider, Schuhe der Fendi-VIPs sind nur geliehen. Nach der Show müssen sie alles zurückgeben. Draußen vor der Tür attestiert Nasenpapst Werner Mang Lagerfelds höchste Qualitäten als "Gesichtsschneider", der Brille und Hemdkragen derart geschickt arrangiere, dass "man da gar nichts operieren muss."

Unter der Achsel eines Mannes mit Statement-Brille verlässt kein Baguette, sondern eine Wurst aus Fell das Geschäft. Der Rauhaardackel lebt und freut sich womöglich zum ersten Mal über sein struppiges Haar. Viel zu struppig für ein Pelztäschchen.

Lästereien eines Modezars
:Lagerfeld: "Diese Kriegsministerin finde ich sehr niedlich"

Er besitzt keine Uhr, lehnt Computer und Telefone ab. Eine eigene Meinung hat er jedoch. Karl Lagerfeld gehört zu den gefürchtetsten Lästermäulern überhaupt. Neustes Opfer des Modezars: Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen.

Eine Galerie seiner Bonmots.

In Mailand schwebte Lagerfeld neulich als Fellknäuel über den Laufsteg. In der Boutique in München gibt es ihn nicht einmal in dieser Variante. Also schnell weiter, mit dem Autoshuttle zum zweiten Programmpunkt im Haus der Kunst, womöglich wartet er dort schon. Der rechteckige, in Schwarz gehaltene Ausstellungsraum ist dunkel bis auf zwei Reihen von Lichtpunkten. Jeder beleuchtet eine kleinformatige Aufnahme der römischen Brunnenwelt. Geplätscher erklingt aus unsichtbaren Lautsprechern. Dazwischen viel dunkler Raum, der sich mit Lagerfelds Jüngern füllt, ihren Egos und Wodka Martinis.

Doch wo ist der Meister? "Das ist Allüre", kommentiert jemand. Was gut klingt, aber auch nicht weiterhilft. Es sind die DJ-Brüder Milen und Amédée Till, die schließlich sagen: "Doch, doch, er ist schon da" und der Menge den Weg zum Vorhang weisen. Dort zieht der Herr mit dem Knopf im Ohr den Stoff nur für eine Handvoll ausgewählter Pressemenschen beiseite, vor allem aber für die Kellner, die aus der Gegenrichtung durch den Pulk drängen. Angefeuert werden die Ober von einer Kümmerfrau, die die ungeduldige Meute ermahnt: "Jetzt lasst die doch mal durch!" Ein Mädchen mit Baseball-Cap fragt im Teenagerton: "Können wir da auch rein, Mami?" Und Mami antwortet: "Nein, Hase." Von hinten tönt es in feinstem Schwäbisch: "Wenn si do nix tut, nachhad gehema alle." Herrn Lagerfeld wäre das womöglich ganz recht.

Als sich der Vorhang einmal nicht sofort wieder schließt, setzt sich der Pulk plötzlich in Bewegung, Sunnyi Melles vorneweg, Dutzende Paare Highheels hinterher. "Das wird jetzt lustig", hört man den Mann mit Knopf im Ohr noch sagen. Dann ergießt sich die Menge auch schon durch den Vorhang in den Nebenraum. Nur wer den Kopf gerade zufällig in die richtige Richtung dreht, erhascht noch den Blick auf eine Ecke schwarzer Sonnenbrille und ein Haargummi um einen Zopf weißen Haars. Dann ist Lagerfeld nach nebenan verschwunden. Jetzt gibt es kein Halten mehr, und sei es würdelos. Ellenbogen angelegt, Clutches festgeklemmt und eilig staksend hinterher! In den nächsten Raum, zur nächsten Tür. Doch Stopp! Hier geht es nicht weiter. Nur für die Herren mit den Tabletts. Der Meister und Gastgeber ist durch die Küche verschwunden. Das war's, mehr Lagerfeld gibt es nicht an diesem Abend. Ratlos sucht sich die Herde zu orientieren. Und findet: Toilettentüren. Glorioses Wasserspiel.

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