Kolumne "Eigener Herd":Zum Dahinschmelzen

Lesezeit: 3 min

Käsefondue gilt als ein Schweizer Nationalgericht - kommt aber womöglich aus Griechenland. (Foto: imago stock&people)

Käse-Fans zelebrieren Fondue wie das Hochamt in der Kirche. Wie bei jeder Kulthandlung gibt es Glaubensfragen: Greyerzer oder Appenzeller? Gürkchen oder Salat?

Von Titus Arnu

"Chli stinke muess es!", lautete der Fondue-Werbeslogan einer Schweizer Supermarktkette vor einiger Zeit - ein bisschen stinken muss es. Und es muss blubbern, dampfen, kleben, Fäden ziehen. Käsefondue ist besonders gut, wenn es entfernt an die Orgie in "Asterix bei den Schweizern" erinnert. Statthalter Feistus Raclettus lädt in dem Comicband zu einem besonders dekadenten Fondue in seinen Palast ein, die Gäste sind bald komplett mit Käse überzogen. Wer sein Brotstückchen im Kessel verliert, bekommt fünf Stockschläge. Beim zweiten Mal gibt es zwanzig Peitschenhiebe, beim dritten Mal wird man mit einem Gewicht an den Füßen in den Genfer See geworfen.

In Wirklichkeit ist Fondue dann doch nicht ganz so gesundheitsgefährdend, auch wenn die Kombination von Käse, Wein und Brot nicht in die Light-Kategorie gehört. Orgien sind pandemiebedingt sowieso gerade nicht erlaubt. Und zu zehnt in einem Käse-Hotspot herumzustochern ist sicher keine gute Idee. Aber gegen ein gediegenes Fondue-Festessen im Kleinfamilienkreis spricht wenig. Man kann den weichen Meltdown ja auch gesittet unter Einhaltung aller Hygieneregeln mit dem Ein-Personen-Caquelon zelebrieren. Es soll Fondue-Fans geben, die sich die Schweizer Nationalspeise als Solo-Orgie gönnen, manche sogar im Sommer.

Käsefondue hat wenig mit Tradition zu tun, dafür aber viel mit Marketing

Die eigentliche Fonduesaison aber ist der Winter. Draußen ist es bitterkalt, die Tür geht vor lauter Schnee kaum noch auf, und man rührt in der eingeschneiten Hütte ein paar Käsereste und Wein auf dem Holzofen zu einer schlotzigen Suppe zusammen, in die man altes Brot tunkt - so jedenfalls sollen Almhirten das Fondue erfunden haben. Das ist aber totaler Käse, wie Volkskundler der Universität Zürich recherchiert haben. Fondue hat seinen Ursprung nicht in den Schweizer Bergen, sondern womöglich im antiken Griechenland. Ein Hinweis darauf findet sich im elften Gesang von Homers "Ilias", in dem ein Fondue-ähnliches Gericht aus geriebenem Ziegenkäse, Wein und Weißmehl beschrieben wird.

(Foto: N/A)

Zum Schweizer Nationalgericht hochgekocht wurde das Fondue erst im 20. Jahrhundert, wie Ueli Gyr, emeritierter Professor für Volkskunde an der Uni Zürich, herausfand. Die Schweizerische Käseunion, 1914 gegründet, überlegte sich während der Weltwirtschaftskrise eine Marketing-Maßnahme, um den Schweizer Käse, der nicht ins Ausland exportiert werden konnte, in verschärfter und eingeschmolzener Form auch Einheimischen schmackhaft zu machen. Eine entsprechende Werbekampagne traf den Nerv der Schweizer - und das Fondue wurde zur heißen Sache.

Um ein stilechtes Fondue zuzubereiten, braucht man keine Almhütte, sondern nur ein Caquelon aus Keramik oder Gusseisen, dazu Weißwein, eine halbe Knoblauchzehe und Käse. Aber welchen? Das ist Geschmackssache, Hauptsache, er ist frisch gerieben. Pro Person rechnet man 200 Gramm. Der Klassiker heißt "Moitié-Moitié" (Hälfte-Hälfte), er besteht je zur Hälfte aus Greyerzer und Vacherin Fribourgeois, wobei Letzterer bei uns schon etwas schwerer zu kriegen ist. Besonders würzig wird das Fondue, wenn man nur Appenzeller Käse nimmt. Typisch für die Zentralschweiz ist eine Mischung aus je einem Drittel Greyerzer, Emmentaler und Sbrinz, einem parmesanähnlichen Hartkäse.

Schnaps zum Fondue? So liegt der Käse gleich länger im Magen

Wie bei jeder Kulthandlung debattieren die Anhänger über Glaubensfragen: Greyerzer oder Appenzeller? Gürkchen oder Salat dazu? Und muss man wirklich in Achterform rühren? Puristen feiern das Hochamt des Käsegenusses ausschließlich mit gewürfeltem Brot. In der Schweiz bekommt man Cornichons und Silberzwiebeln als Beilage, kreative Käse-Enthusiasten experimentieren mit Schinken, Steinpilzen oder Kartoffeln. Das geht dann aber fast schon in Richtung Orgie und gehört aus Sicht von orthodoxen Fondue-Traditionalisten mit Stockschlägen und Peitschenhieben bestraft.

Apropos Hochamt: Wenn nach dem Mahl der Kelch gereicht wird, ist meistens Schnaps drin. Dass ein Gläschen Kirsch zum Fondue die Verdauung ankurbelt, ist übrigens auch ein Ammenmärchen, wie eine Studie des Universitätsspitals Zürich zeigt. Im Gegenteil: Alkohol bewirkt, dass der Käse einige Stunden länger schwer im Magen liegt, als wenn man Tee trinkt zum Fondue. Schnaps und Käseklumpen - das fühlt sich dann original so an, als würde man mit einem Gewicht an den Füßen in den See geworfen.

Für Fondue "Moitié-Moitié" braucht man 400 g Greyerzer, 400 g Vacherin Fribourgeois, 1 halbe Knoblauchzehe, 350 ml Weißwein, 4 TL Maisstärke, 1 TL Zitronensaft, 1 Glas Kirschwasser, Pfeffer und Muskat. Hat man einmal alles, braucht man für die Zubereitung nicht viel mehr als ein wenig Geduld: Caquelon mit Knoblauch ausreiben und den Greyerzer zusammen mit Weißwein und Zitronensaft unter ständigem Rühren schmelzen lassen. Wenn der Greyerzer flüssig ist, den Vacherin zugeben und weiterrühren. Am Ende die Hitze reduzieren, das Maismehl im Schnaps auflösen und unterrühren und alles mit Pfeffer und Muskat abschmecken. En Guete, wie der Schweizer sagt!

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