Größte Konsumgütermesse der Welt:Schöner Staub fangen

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Libellen aus Messing und Pilze aus Keramik. Sie sitzen herum und fangen Staub. Machen diese Gegenstände unsere Welt aus? Die Einrichtungsmesse "Ambiente" erfindet Trends, die keiner braucht und jeder kauft.

Rebecca Casati

Es ist Freitag in Frankfurt, der Eröffnungstag der Messe. Die Taxifahrer haben schon mal vorgeschlafen, die Aussteller bis tief in die Nacht hinein ihre Stände dekoriert. Manche sehen nun aus wie Läden, andere wie Hotellobbys.

Diese Lampen heißen "Stella" und kosten etwa 100 Euro. In Deutschland fließt jeder sechste Euro in die Konsumgüterbranche. (Foto: dpa)

Die Nachricht, dass es der Wirtschaft schlechtgeht, ist hier noch kein Grund zum Pessimismus, denn wenn die Menschen kein Geld haben, bleiben sie zu Hause. Und wenn sie zu Hause sind, wollen sie es da ja hübsch und abwechslungsreich haben. Ketten wie "Butlers" oder "Depot" jedenfalls expandieren fröhlich an jeder Finanzkrise vorbei. Allein in Deutschland fließt jeder sechste Euro in die Konsumgüterbranche. Weltweiter Umsatz: 9,5 Billionen.

Die Besucher kommen aus allen Himmelsrichtungen. Italiener erkennt man an ihren exakt sitzenden Winterjacken aus Nylon, die Briten tragen die modernsten Haarschnitte, die Dänen, diesmal Partnerland, sind auch diesmal sehr blond, und die Deutschen tragen wie immer graue Flanellhosen. Kilometerlange, teppichbelegte Marathonstrecken werden sie in den nächsten Tagen zurücklegen, an 4500 Ausstellern vorbei. Asiaten sieht man übrigens so gut wie gar nicht, kein Wunder, was hier ausgestellt ist, wurde zum großen Teil in ihrer Nachbarschaft produziert.

"Shabby Chic": Neues soll althergebracht wirken

Die "Ambiente" ist die größte Konsumgütermesse der Welt, nur Fachpublikum darf rein, was bedeutet: Die Besucher sind Einkäufer, ihr Anliegen ist konkret. Hier werden sie bestellen, was in den kommenden Monaten und Jahren Wohnungen und Herzen der Menschen erobert. Dementsprechend konzentriert ist die Atmosphäre. Verkäufer umkreisen Einkäufer, lassen sie kurz die Ware taxieren, bevor Annäherung und Zugriff erfolgen. "Diese hier, die Eisenviecher!" sagt gerade eine dieser Einkäuferinnen. Sie steht in der Halle mit dem Titel "Giving" (es gibt noch "Dining" und "Living"), an einem Stand mit Neuem, das althergebracht wirken soll: korrodierte Eisendrahtkörbe, scheinbar zum 22. Mal weiß übertünchte Holzmöbel, Leinenschürzen, Vogelkäfige, der sogenannte Landhausstil oder auch: Shabby Chic.

Die Frau stammt hörbar aus dem Hessischen und wirkt auch sonst nicht nach Kuscheln auf Lavendelkissen, eher nach No Nonsense. Ihr Interesse ist auf vier Tiere gerichtet; Marienkäfer, Libelle, Ameise, Schnecke. Die Eisenviecher halt.

"Laufen denn die Dinger immer noch?" will sie wissen. "Nicht totzukriegen", antwortet ihr der Verkäufer, wobei er ziemlich perfekt ihren spöttischen Tonfall imitiert. Dann lächeln beide synchron; da wären sie also ausgemacht, die Schlingel. Die Frau legt los: "Schnecken 20, Libellen 25, Ameisen 20." Die Frage nach den Marienkäfern verkneift sich der weise Verkäufer, nickt anerkennend, tippt alles in sein elektronisches Handlesegerät, durch das er später noch mal ihre Kreditkarte ziehen wird. Man stellt sich an diesem Punkt vor, dass er wahrscheinlich ein sensationell guter Verkäufer ist. Und dass sie, zu Hause, in ihrer Boutique, genau die Strenge ausstrahlt, mit der man auch noch die albernsten Dinge an die Käufer bringt. Wie sollten diese beiden stahlharten Profis auch sonst über etwas an sich Törichtes wie Messinglibellen reden?

Geschenkartikel zum Herumsitzen und Staubfangen

Die Tiere werden, wie so viele andere Geschenkartikel, in China produziert und über die ganze Welt, in die für derartige Waren zuständigen Boutiquen verteilt. Von dort aus nisten sie sich ein; in den Wohnungen, Büros und Großhirnrinden der zumeist weiblichen Käuferschaft. Manchmal für drei, manchmal auch für die nächsten dreißig Jahre. Worin genau ihr Sinn besteht? Das ist es ja, danach fragt keiner. Sie bereiten Freude, dann werden sie entweder ausrangiert oder gehören dauerhaft zum Inventar, erwerben sich durch simples Herumsitzen und Staubfangen das Recht auf Familienzugehörigkeit.

Ein paar Meter weiter, an einem Stand, der vor allem Weihnachtsartikel präsentiert, diskutiert man gerade in ähnlicher Konstellation: Sie Einkäuferin, er Verkäufer, beide vor einer 40 Zentimeter großen, stehenden Stoffmaus, die ein Schild in der Pfote trägt. "Ich mein', ned falsch verstehe", sagt die Frau. "Ich selber find' sie supersüß; aber die Frag' isch doch - versteht der Kunde die Message?"

Die auf dem Schild kann sie nicht meinen, denn da steht "Frohes Fest". Vielmehr geht es wohl um: Warum sagt das eine Maus? Und warum ohne Weihnachtsmütze? So bauchgesteuert das Geschäft erscheint, so folgt es doch einer Logik. Die Dinge brauchen Verankerung, im Unterbewusstsein oder in der Tradition. Der Verkäufer jedenfalls nickt verständnisvoll und bugsiert sie vor den Christbaumschmuck, dieses Jahr in den Trendfarben Lindgrün und Beige und Greige, einem Ton zwischen Beige und Grau, ist doch mal ein Kontrapunkt zum Violett der vergangenen Jahre . . .

Die Lieblingsfarben des Jahres: so ziemlich alle und Pastell

Was einen hier leicht in den Wahnsinn treibt, ist die Art, mit der die Dinge überhöht werden, in einer Sprache, die alles will: sinnlich daherkommen, ausufernd präzise beschreiben. In dem hier täglich stattfindenden Vortrag des Trendbüros Bora. Herke. Palmisano. über die wichtigsten Strömungen 2012 sind Designs "niedlich und elegant zugleich". Punkte sind "generell auf verschiedenen Oberflächen denkbar". Die "Lieblingsfarben 2012" werden schon mal behauptet (so ziemlich alle, und vor allem Pastell). Und nach so einem Vortrag fühlt man sich einerseits sehr seifig, andererseits gar nicht frischer. Warum trägt denn nun die Maus das Weihnachtschild? Vielleicht weil jeder bereits etliche Rentiere im Keller rumstehen hat. Eine Neueinführung ins Unterbewusstsein braucht Zeit. Ist dann aber umso langlebiger.

Da ist zum Beispiel dieses sonderbare Aufkommen, um nicht zu sagen: Comeback von Eulen. Die Eule war in den siebziger Jahren schon mal modern, wer alt genug ist, erinnert sich an die Exemplare aus Makramee. So eine Eule steht für Weisheit. Walt Disney war besessen von Eulen, weil er mal versehentlich eine tötete, und als Reparationszahlung baute er sie in viele Filme ein. So. Und damit enden die Argumente für die Faszination und Vorzugsbehandlung von Eulen auch schon wieder.

Vor etwa fünf Jahren tauchte sie dannerneut auf, der angesagte amerikanische Designer Jonathan Adler entwarf Eulen-Vasen, der Modedesigner Marc Jacobs Eulenkleider. Und seither, auch auf der Ambiente 2012, sieht man Eulen als Kissen, Anhänger oder Halsschmuck, denn auch den gibt es hier. Gleichzeitig weiß man nicht, ob das überhaupt etwas bedeutet, denn man sieht hier auch viele andere Dinge ständig. Wie Geweihe. Oder Pilze aus Keramik. Oder Glasglocken, unter denen man früher Blumen gezüchtet hat. Und heute alles Mögliche ausstellt, Pilze aus Keramik beispielsweise.

Auf die Nachfrage eines Fernsehreporters, was denn so die Trends 2012 seien, bestätigt die Ambiente-Chefin Nicolette Naumann: "Wir hatten ein sehr starkes Thema Eulen." Tröstlich, denn so weiß man, dass man zumindest nicht paranoid ist. Allerdings sei das Thema am Abklingen - wiewohl: "Vögel werden bleiben."

Kompensation für Dinge, die wir nicht haben

Natürlich, heißt es überall, seien Nachhaltigkeit und Recycling riesengroße Trends, wobei man sich schon fragt, ob diese Perspektive nicht auch ein bisschen gefährlich ist. Ansonsten läuft es eigentlich immer wieder auf eines der drei Szenarien hinaus, in denen das bessere Leben dauerhaft verortet wird; im Mid-Century Skandinaviens, in der Provence, siehe Eisendrahtkorb. Oder in einem von Sonne und Salzwasser verwitterten Strandhaus - maritime Streifenkissen! - in den Hamptons. Dinge, die uns in den Schwebezustand versetzen zwischen dem, was wir wollen, und dem, was wir nicht haben. Das ist auch der Grund, warum die Puristen dieser Welt solche Dinge verachten; weil sie Kompensation sind. Ein Therapeut würde vielleicht auch von Versinnbildlichung sprechen, die Abstraktes gegenständlich macht, um damit zurande zu kommen. So wie Walt Disney mit seinen Eulen. Von denen nun ja wiederum wir verfolgt werden.

Es gibt viele schöne, kostbare Dinge in den Riesenhallen hier. Es gibt sinnvolle, banale, auch ein recht paar trostlose. Am Stand des norddeutschen Unternehmens "Depesche" zum Beispiel, das, gemessen an seiner Hallen-Platzierung und Produktfülle, ziemlich erfolgreich zu sein scheint. Und sich auf den Vertrieb von "Top-Trendartikeln" spezialisiert. Zum Beispiel auf eine Produktreihe unter dem Titel "Topmodel Biz". Es gibt Bürsten oder Taschen oder Bettwäsche, auf die Comic-Mädchen gedruckt sind, die modische Kleidung und Stripperinnen-Namen tragen und Augen haben, die dreißigmal so groß sind wie ihre Nasen. Auf einer Geldbörse sieht man eine davon - ist es Lexy, Talita, Candy . .? - in einem T-Shirt mit der Aufschrift: "I love Money". Schade, denkt man, dass nun also auch diese Message in die Welt rausgeht. Und sicher genauestens verstanden wird von den schätzungsweise acht- bis dreizehnjährigen Kundinnen.

"Das Ding stand früher bei uns auf dem Kaminsims"

Irgendwann, nach mehreren Stunden in diesen hermetischen Hallen, glaubt man übrigens, dass es bald tatsächlich nicht mehr ohne weiteres laufen wird, da draußen in der wirklichen Welt, ohne die baldige Anschaffung eines Briefbeschwerers aus Kunstharz, in den Oblaten eingegossen sind. Natürlich ist das die beste Erklärung für diese Trends, und das Erfolgsrezept von Waren dieser Art: die überwältigende Schlagzahl, in der man sie präsentiert bekommt. Wenn eine Sache in einem Jahr funktioniert, dann wird der Konsument im nächsten Jahr damit aus vollen Rohren beschossen. Was überhaupt nicht despektierlich gemeint ist, wie könnte es das; diese Menschen hier tun viel mehr als Behauptungen aufstellen. Sie verwalten die Zukunft unserer Erinnerungen.

"Das Ding stand früher bei uns auf dem Kaminsims", werden die Kinder vielleicht irgendwann über die Eisen-Libelle sagen, wenn sie in zwanzig Jahren den Haushalt ihrer Eltern auflösen. Und ihn schon deshalb nicht wegwerfen können; diesen wertlosen, unbezahlbaren Zeugen ihres Daseins.

© SZ vom 18.02.2012 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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