Fußball und Mode:"Ein bisschen Brisanz ist das Beste, was einem Trikot passieren kann"

Lesezeit: 4 Min.

Ein Trikot, wie Fans es offenbar mögen: Das Leo-Muster wurde anhand von Daten aus einem Computerspiel entworfen. (Foto: Adidas)

Wünschen sich Fans tatsächlich ein Leibchen mit Leo-Muster oder Sternen-Galaxie? Designer Jürgen Rank erklärt, warum Trikots ein so emotionales Thema sind.

Interview von Silke Wichert

Seit diesem Donnerstag gibt es eine Sonderedition der Fußballtrikots von Manchester United: mit Leo-Muster. Beim neuen Trikot von Juventus Turin schillert das Weiß in Regenbogenfarben, und das Leibchen des FC Bayern hat Sterne. Die Trikots sind aufgrund von Daten aus einem Computerspiel entstanden, es hat sich gezeigt: Viele Fans stehen offenbar auf ausgefallene Entwürfe. Jürgen Rank (48), Trikot-Chefdesigner der Sportartikelfirma Adidas, erklärt, warum das so ist.

Süddeutsche Zeitung: Herr Rank, Leo-Muster, Regenbogenfarben, Sternchen - machen Sie sich schon auf einen Fan-Shitstorm gefasst?

Jürgen Rank: Ja, das wird sicher wieder eine Hass-Liebe bei den Fans und in den sozialen Medien kontrovers diskutiert werden. Auch wenn dieses sogenannte "vierte Trikot" nicht auf dem Rasen zu sehen sein wird. Die Trikots stammen aus dem Computerspiel Fifa 19, sie werden also lediglich digital gespielt. Aber die Fans können sie jetzt erstmals in echt tragen.

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Bei der Gestaltung von Fußballuniformen orientieren sich Designer seit Jahrzehnten am jeweiligen Zeitgeist der Mode. Das bietet Fallstricke.

Sie haben die Daten des Spiels ausgewertet, und danach nun die Trikots hergestellt. Heißt: Die Fans von Manchester wollen tatsächlich ein Leo-Muster, und die des FC Bayern ein Leibchen mit einer Sternen-Galaxie?

Sieht ganz so aus. Aus den Daten des Computerspiels wissen wir, welche Designs am besten ankommen. Die Klassiker, also die normalen Trikots natürlich auch, aber vor allem andere Farben und auffällige Designs. Die Richtung war also ganz klar: laut, anders, jung, frisch. Für uns als Designer ein Paradies.

Weil Sie sonst immer nur eine Raute nach oben und unten verschieben und die Schriftgröße bei den Rückennummern verändern können?

Genau. Das heißt es immer. Tatsächlich arbeiten wir rund zwei Jahre an einem Entwurf. Aber wir müssen uns an den ganzen Regelkatalog von Uefa und Fifa halten.

Zum Beispiel?

Die "Spielbarkeit" muss gewährleistet sein, das Trikot eindeutig hell oder eindeutig dunkel aussehen. Designs mit vielen Schattierungen fallen sofort durch. Hinzu kommen bei den Vereinen die Sponsoren-Logos. Und jeder Verein und jede Nationalmannschaft hat natürlich Mitspracherecht. Zu weit kann man sich da als Designer nicht aus dem Fenster lehnen. Aber ein bisschen was lässt sich schon rauskitzeln.

Das Trikotdesign der spanischen Nationalmannschaft zur EM 2016 kam bei den Fans folgendermaßen an: "Sieht aus wie ausgekotzte Paella."

Ach, das Paella-Trikot. Das nennen wir selbst intern auch nur noch so. Das war schon lustig. Ein bisschen Brisanz ist das Beste, was einem Trikot passieren kann.

Wieso das?

Wenn die Meinungen auseinander gehen, bleibt der Entwurf auch am ehesten in Erinnerung. Geht es zu ruhig zu, stimmt etwas nicht. Verkauft hat sich das Paella-Trikot tatsächlich gut. In zehn Jahren wird es ein absoluter Klassiker sein.

Stimmt der Eindruck, dass die Fans rückblickend das alte plötzlich gar nicht mehr so schlimm finden, sobald ein neues Design vorgestellt wird?

Wenn die ersten Zeichnungen irgendwo geleakt werden, schreien erst mal alle. Wenn es zum ersten Mal auf dem Platz gespielt wird, sagen bereits viele: "schaut doch gar nicht so schlecht aus". Und je öfter es gesehen wird, desto mehr etabliert sich das Design.

Nike zahlt pro Saison angeblich 150 Millionen Euro an den FC Barcelona. Der FC Bayern bekommt von Adidas rund 70 Millionen. Beim FC Barcelona wurden 2017 zwei Millionen Stück verkauft, bei Real Madrid rund 2,3 Millionen - zum Preis von 89,95 Euro. Wird das Trikot immer mehr zum Lifestyle-Produkt?

Ganz klar. Das haben auch unsere Nachforschungen vor der WM 2018 ergeben. Trikots haben einen immer größeren Einfluss auf die Freizeitkleidung. Retro-Designs, aber auch neue Sachen, wenn sie anders sind.

Spielt es eine Rolle, wie weit eine Mannschaft im Trikot kommt?

Nehmen Sie das gold-orangefarbene Holland-Trikot 1988: Das mochten auch die Spieler erst überhaupt nicht. "Wir sehen aus wie Goldfische in den Dingern!", hieß es. Das stimmte sogar ein bisschen, aber dann haben sie die EM damit gewonnen und dadurch wurde das Trikot legendär. Wäre es nur ein einfaches orangefarbenes Trikot gewesen, wäre es nie so ikonisch geworden. 2014 gab es eine riesige Debatte um die weißen Hosen bei der deutschen Nationalmannschaft. Gegen Frankreich spielte die deutsche Elf kürzlich wieder komplett in Weiß und plötzlich heißt es: "Oh, das sieht aber edel aus!" Trikots sind ein hochemotionales Thema.

Barcelona spielte Anfang November gegen Inter Mailand in Pink - die "Mädchenfarbe" kam bei den Fans nicht gut an.

An Pink müssen die Leute immer wieder erinnert werden. Der HSV spielte schon in den Siebzigern einmal in dem Farbton.

Der Sänger Drake postete auf Instagram ein Foto von sich im pinkfarbenen Juventus-Trikot.

So etwas bewirkt extrem viel bei den Fans. Ein weißes Trikot würde der sich ja nicht anziehen. Das Leo-Shirt von Manchester wollte ein englischer HipHopper, der es vorab gesehen hat, sofort auf der Bühne anziehen.

Leo-Muster war zuletzt auf dem Laufsteg ein großer Trend. Orientiert sich das Trikotdesign immer mehr an der Mode?

In jedem Fall. 1988 war der Knackpunkt. Davor war alles einfarbig, dann wurde mit Grafiken angefangen. Seitdem wurden im Design immer neue Reize gesetzt. In den Neunzigern ging außerdem das Merchandising in der Fußballwelt los, dadurch haben sich die Lebenszyklen von Trikots verkürzt. Früher waren die Heimtrikots meistens zwei Saisons lang die gleichen, mittlerweile haben fast alle Vereine jedes Jahr ein neues Heim-, Auswärtstrikot und noch ein drittes Trikot für die Champions League. Die Leute wollen immer etwas Neues.

Die Trikots für Uruguay von Puma waren die letzten Jahre hauteng. Wenn die Ausrüster immer mehr mit der Mode gehen, wo die Neunziger gerade ein Revival feiern, müssten die Schnitte bald wieder weiter werden.

Wir hören von den Spielern allerdings, dass sie nicht so rumlaufen wollen wie in den Neunzigern, als selbst M-Träger auf dem Platz XL anzogen. So weit wird es nicht mehr kommen.

Wenn die Entwurfsphase zwei Jahre dauert, sitzen Sie jetzt gerade am Deutschland-Trikot für die EM 2020 ....

... richtig.

Wie werden die aussehen?

Das kann ich nicht verraten, sorry, aber: in jedem Fall sehr anders als das 2018er-Trikot.

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