Der echte Stoff schmeckt scharf. Manchmal so scharf, dass Sie husten müssen? Das ist kein schlechtes Zeichen, im Gegenteil. Edles, reales Extra Vergine Olivenöl kann sogar ein bisschen bitter sein. Die Farbe wiederum ist nicht so wichtig. Dunkelgrün bedeutet nicht unbedingt besonders gut. Keinesfalls jedoch sollte das Öl modrig, fleischig, schmierölartig oder metallisch schmecken. Vielleicht wissen Sie das bereits. Vielleicht wissen Sie auch, dass im Großteil des sogenannten und deshalb teuer verkauften Extra Vergine Olivenöls nicht besonders viel wirklich extra ist. Oder, wie es einmal ein italienischer Ölverkoster ausdrückte, nachdem er ein besonders geschmackloses Supermarktöl probiert hatte: "Was ist an diesem Öl jungfräulich? Nuttig träfe es besser."
Anders gefragt: Wie viel geben Sie für eine Flasche eines sogenannten Extra Vergine aus? Ein paar Euro für eine Flasche mit lauschigem Olivenhain-Aufdruck, die Sie im Discounter entdeckt haben? Mit ziemlicher Sicherheit haben Sie ein zwar genießbares Öl im Schrank. Aber Extra Vergine? Wohl kaum. Mit dem Extra Vergine Öl ist es in den letzten Jahren wie mit Balsamicoessig. Wer kulinarisch auf sich hält, der macht beides mehr oder weniger überall rein. Auch wenn es gar nicht passt. Oder wenn es sich gar nicht eignet, wie Extra Vergine für besonders heißes Brutzeln (oder Balsamico bei mindestens zwei Dritteln aller Salate).
Dumm ist nur, dass gar nicht so viel Extra Vergine existiert, wie die Welt glaubt zu verbrauchen. Das Ergebnis? Ist dann ein bisschen so wie mit dem Chianti - oder zumindest mit dem Wein, den man dafür hält. Und sich wundert, warum man so viel Geld ausgeben sollte für etwas, das dann so grandios auch nicht schmeckt.
Das liege aber, meint Tom Mueller, Autor des Buches "Extra Vergine", eben auch daran, dass viele von uns gar nicht wissen, wie echtes Extra Vergine schmeckt, wie viele unterschiedliche Geschmacksrichtungen auf höchstem Niveau existieren. Und dann beschreibt er Ölverkostungen, die großen Weinproben nicht unähnlich sind, bis in die Sprache: Ein gutes Öl schmeckt da nach grünen Tomaten, riecht wie frisch gemähtes Gras, wie Kiwi - und eben nicht schlammig, ranzig, stichig, modrig.
Mueller, ein New Yorker, der in Ligurien lebt, ist dem Extra Vergine eindeutig verfallen. Was nicht schadet, eine gewisse Besessenheit braucht man wohl, um jahrelang die Höhen der Herstellung zu recherchieren - und die Abgründe. Denn das Fälschen von Extra Vergine ist ein großes Geschäft geworden. In den letzten Jahren ist der Verbrauch allein in den traditionellen Märkten Südeuropas um 35 Prozent gestiegen, in Nordamerika, wo man das Öl eher spät entdeckt hat, um über hundert Prozent. Allein die Binnennachfrage in Italien, rechnet einer der führenden Ölimporteure vor, liege bei 600.000 Litern. Dazu kämen noch einmal 400.000 für den Export. Nur: Italien produziere nur ungefähr 300.000 Liter.
Sicher, es werden neue Olivenplantagen angelegt, von Amerika bis Australien, aber grundsätzlich werden nur um die fünf bis acht Prozent der Ernte zu Extra Vergine verarbeitet. Zu einem Öl also, das laut EU-Vorschriften nur mechanisch und bei einer Temperatur von höchstens 27 Grad extrahiert werden darf und das einen bestimmten, sehr geringen Säuregrad nicht überschreiten darf. Öl, das diese und ein paar Dutzend weitere Vorgaben nicht erfüllt, darf sich nicht so nennen. In der untersten Kategorie heißt es: Lampate, Lampenöl.
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Zumindest ist das die Theorie. Die Praxis funktioniert nach der alten Regel: Was selten, teuer und begehrt ist, lädt zu Betrug, zum Panschen und zu anderen Tricksereien ein. Und so kommt es, dass es so etwas wie eine Olivenöl-Mafia gibt. Extra Vergine wird aus so ziemlich allem gemacht, was möglich ist. Es fängt damit an, dass in den meisten italienischen Extra-Vergine-Ölen gar nicht so viel Italien drin ist. Denn in der Ortsbezeichnung muss nur der Ort der Abfüllung angegeben werden - was dazu führt, dass tonnenweise griechisches, türkisches oder nordafrikanisches Öl dazugemischt wird. Was an sich nicht schlimm wäre, handelte es sich um echtes Extra Vergine. Das ist aber oft nicht so.
2005 beispielsweise knackten Carabinieri einen Fälscherring, der über ganz Italien agiert hatte, und konfiszierten hunderttausend Liter gefälschtes Öl - das mit billigem Soja- und Canolaöl vermischt und mit industriellem Chlorophyll schön grün gefärbt und mit Beta-Carotin geschmacklich aufgehübscht worden war. Geschätzter Wert: Sechs Millionen Euro. Ein findiger italienischer Unternehmer schickte seine Einkäufer nach Tunesien, in die Türkei und Spanien, von wo sie günstiges Haselnussöl oder minderwertiges Olivenöl nach Hause schickten. Es gibt die kleinen Fälscher, die ihr Produkt mit gewöhnlichem Öl dressieren - und Hightech-Labore, in denen gewiefte Chemiker am Werk sind. "Olivenöl gehört zu den Lebensmitteln in der EU, die am häufigsten verfälscht werden", schreibt Mueller.
Das Absurde an dieser Situation: Viele der kleinen, feinen Olivenbauern stehen immer knapp vor dem Ruin. Denn vor allem die Ernte ist extrem arbeitsintensiv - für wirklich gutes Öl müssen die Oliven gepflückt werden, sie dürfen keine Schadstellen haben, später kann jede noch so kleine Unterbrechung der Kühlkette das Öl zerstören. Haben Sie Ihr aktuelles Öl auch bei der netten Bäuerin in Apulien gekauft, in der kleinen Bretterbude im Olivenhain? Da, wo vorher die Sonne stundenlang auf die durchsichtigen Glasflaschen geknallt ist? Vergessen Sie's. Und investieren lieber in den echten Stoff. ( weitere Tipps auf Tom Muellers website)