Essen & Trinken:Der Bauernhof in der Innenstadt

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Ein Salatfeld in der Hamburger Hafencity. (Foto: Farmers Cut)
  • In einer Halle am Hamburger Oberhafen wird auch im Winter Salat angebaut.
  • Indoor Farming oder Vertical Farming ist in Großstädten seit ein paar Jahren im Trend.
  • Auf neun Ebenen der sieben Meter großen Halle werden seit fünf Monaten Salat, Rettich und Kräuter angebaut - vor allem für die Gastronomie.

Von Peter Burghardt

Am besten man beißt erst mal in diese zarten Pflänzchen, es geht in der Geschichte ja außer um eine Vision auch um Geschmack. Ein Knopfdruck, ein Rolltor hebt und senkt sich, dahinter liegen viele blaue Paletten mit Salat in mehreren Lagen, beschienen von sanftem Licht.

Man zupft also ein Stück Baby Leaf ab, junge Blätter, die Foodszene liebt Englisch. Waschen ist unnötig, dieser Salat wächst sehr sauber auf, und das in nur gut zwei Wochen. Schmeckt kräftig und frisch - gewachsen mitten in einer norddeutschen Großstadt, mitten im eiskalten Februar. Um die Ecke liegen auf einem Fließband weitere ausgereifte Sorten wie Mustard Mix, grün-lilafarbene Blätter mit pikanter Senfnote. Auf dem Teller genügt da sicher ein ganz dezentes Dressing.

Die sanfte Laborwelt verbirgt sich in einer rustikalen Halle am Hamburger Oberhafen, 1200 Quadratmeter groß, zwischen Deichtorhallen und Großmarkt. "Farmers Cut" steht eher unauffällig auf einem Logo am Gittertor, das mit Stacheldraht und Eisenkette gesichert ist. Die Betreiber gehen mit ihrem jungen und sensiblen Feld vorsichtig um, vor dem Besuch wird misstrauisch gefragt, was man auf der Farm denn so vorhabe. Seit September 2017 will das Start-up beweisen, dass dieser urbane Bauernhof auch in der Hansestadt funktioniert. Und bald weit darüber hinaus.

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Neu ist so ein vertikaler Gemüsegarten unter Dächern einerseits nicht. Indoor Farming und Vertical Farming sind in vielen Ländern in Mode, als Trendsetter gilt der US-amerikanische Mikrobiologe Dickson Despommier, der 2010 das Buch "The Vertical Farm" veröffentlichte. Ein Kernanliegen von ihm war die Grundsatzfrage, wie die Welt im 21. Jahrhundert ernährt werden soll. Bis 2050 werden sich neun bis zehn Milliarden Menschen auf diesem Planeten drängen, zwei Drittel von ihnen in Metropolen, die oft sehr viel größer und trockener sind als Hamburg. Die Anbaufläche dagegen vergrößert sich kaum und wenn, dann meist zum Nachteil für die Natur.

Und so planen Architekten und Forscher seit einiger Zeit, drinnen zu säen. Nicht in herkömmlichen Gewächshäusern, sondern in Lagerbauten, die oft erstaunlich hoch sind. Und nicht nur nebeneinander, sondern auch übereinander. Nach diesem Konzept gedeihen Pflanzen auf engstem Raum unabhängig vom Wetter und nah am Verbraucher. Die Sonne wird ersetzt von LED-Leuchten. Statt Erde wird eine Nährlösung verwendet. Hydroponik nennt sich das und bekommt den Wurzeln offenbar hervorragend.

In Japan ist dieses nach außen abgeschlossene Modell seit Fukushima besonders beliebt, weil die Methode natürlich auch radioaktive Strahlung fernhält. Schadstoffe, Schädlinge und Pflanzenschutzmittel bleiben praktischerweise ebenfalls draußen. Inzwischen gilt das anfangs belächelte Prinzip der Großstadtfarmen als ein Milliardengeschäft der Zukunft. In Deutschland ist Vertical Farming aber vorläufig eher Neuland.

Das alles machte auch den abenteuerfreudigen Chef von Farmers Cut neugierig. Mark Korzilius war 2002 in Hamburg Gründer der inzwischen weltweit erfolgreichen Restaurant-Kette Vapiano, in deren Lokalen Pizza oder Pasta an der Theke zubereitet werden. Über die Konzeptküche mag er jetzt nicht mehr reden. Er sitzt an einem Vormittag im Winter in einem improvisierten Besprechungsraum von Farmers Cut und ist kaum zu bremsen, wenn es um seine aktuelle Leidenschaft geht. Und zum Fundament seiner Begeisterung für das Projekt gehört diese Erkenntnis: "Die ganze Wertschöpfungskette ist fucked up."

Im neuen Restaurant von Tim Mälzer ernten Gäste ihren Salat jetzt selbst - aus der Glasvitrine

Korzilius findet, dass die traditionelle Agrarwirtschaft bereits für die gut 7,5 Milliarden Zeitgenossen der reinste Horror ist, er gerät da schnell in Rage: Phosphate, Überdüngung, Gülle, multiresistente Keime. Glyphosat, dessen Gebrauch ein Minister im Handstreich verlängern ließ. Monokulturen, Gentechnik, Wasserverschwendung, ausgelaugte Böden, unsinnige Verpackungen, absurde Transportwege. Symbol des Exzesses sei das Plastikmeer bei Almería in Südspanien, ein Ozean von Planen, unter denen Gurken oder Tomaten gezüchtet und dann zum Beispiel 2500 Kilometer weit nach Hamburg verfrachtet werden.

Millionen Menschen hungern, eine übersatte Minderheit schmeißt die Hälfte weg. Zum Verzweifeln, trotz Bio und Öko. Mark Korzilius findet es irre, dass auch hierzulande enorme Flächen "halb tot" gespritzt würden, um Salatköpfe anzubauen, oder dass Basilikum-Töpfchen mit Humus im Supermarkt stehen. Er schimpft über die Doppelmoral der Kunden und das verklärte Bild mancher Bauern. "Wir zeigen einen Lösungsweg", sagt er, das ist der Plan.

Seit fünf Monaten gibt's Salat aus der Hansestadt

Es begann bei ihm eher zufällig, als Korzilius im Berliner November in auffällig köstliche Salatblätter biss. Sie kamen nicht aus Südländern oder Gewächshäusern, sondern aus einem Gebäude der Hauptstadt. In mehreren deutschen Städten wird inzwischen mit vertikalen Farmen experimentiert, in München ist die Association for Vertical Farming zuhause.

Der Hamburger Korzilius, 54, tat sich mit Gleichgesinnten zusammen, zu seinen Partnern gehört Isabel von Molitor, 28, die in New York gearbeitet und dort den Boom von local und organic erlebt hatte. Ungefähr 2,5 Millionen Euro wurden bisher in Farmers Cut investiert. Seit fünf Monaten wird produziert.

Bislang würden hier jeden Tag 80 bis 100 Kilo geerntet, heißt es, wenn die neun Ebenen der sieben Meter hohen Anlage belegt seien. 800 bis 1000 Portionen, im Vergleich zu konventionellen Großbetrieben ein Klacks. Mehrere Sorten Blattsalate, dazu Pak Choi, Rettich-Sprossen oder Kräuter. Etwa die Hälfte wird vorläufig für die eigene Forschung verwendet, der andere Teil geht vor allem in die Gastronomie, darunter an Tim Mälzers "Die gute Botschaft" an der Alster. Da können Gäste ihren Salat aus der beleuchteten Vitrine ernten. So ähnlich macht es das Lokal "Good Bank" in Berlin.

Mark Korzilius, Chef von "Farmers Cut". (Foto: Farmers Cut)

Noch kriegt man solches Grün nur an ausgewählten Orten. Auch versichert Mark Korzilius, man werde sich aus den Eisbergsalaten heraus halten. Er schwärmt von dem mineralstoffreichen Substrat bei Farmers Cut. In 16 Tagen seien die Pflanzen gebrauchsfertig. "Harvest on demand", Ernte nach Bedarf. Für die Verfechter sind das unschlagbare Argumente: Vertical Farming geht schnell, spart entscheidende Mengen an Wasser, Platz und Dünger und hält die Wege kurz.

100 Gramm Salat kosten 2,50 Euro

Im Idealfall ist diese Produktionskette ein geschlossenes System, das Wasser (aus der Leitung) wiederverwendet. Das Saatgut stammt bei Farmers Cut von mittelgroßen Anbietern statt von Konzernriesen. Das Licht? LED wird immer besser, Hersteller haben das Potenzial erkennt. Sie leuchten täglich 18 Stunden, bei 21 Grad Celsius. Sechs Stunden lang ist Nacht in diesem Hamburger Brutkasten.

Allerdings braucht Kunstlicht Strom. "Rechnet sich das?", fragt Uwe Schmidt, Professor für Gartenbautechnik an Berlins Humboldt-Universität. Bei Farmers Cut kommt der Strom vom Großmarkt nebenan, 17 Cent pro kWh, so Korzilius. 100 Gramm Salat würden für zwei bis 2,50 Euro verkauft. Der Wissenschaftler Schmidt hat Zweifel, ob Stapelfarmen auch für eine große Kundschaft funktionieren, mit welchem Gemüse und auf welchen Flächen. Außerdem sei dies kein Perpetuum Mobile: Energie, Co² (für die Fotosynthese) und Dünger müssten zugesetzt werden, und noch sei die Sonne deutlich stärker als LED. Vieles müsse sich erst zeigen, doch auch Uwe Schmidt findet die Sache durchaus sehr interessant. Er hat sich Farmers Cut in Hamburg kürzlich angesehen.

Mark Korzilius und Isabel von Molitor halten Vorträge in Wien oder Atlanta, das Netzwerk der Branche ist global. Sie setzen auf Märkte wie im Mittleren Osten, die vom Import abhängig sind und sich mit Vertical Farming helfen könnten, mit Strom aus Photovoltaik. "Wir wollen kein Monopol, wir haben nicht die Weisheit mit Löffeln gefressen", sagt Korzilius. Noch seien sie eine Nische - aber zukunftsweisend. Was das Dressing für seine Salate betrifft, so empfiehlt er ein wenig Essig, wegen der Enzyme, und eine Spur Öl, für die Vitamine, "es muss diskret sein".

© SZ vom 17.02.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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