Umgangsformen:Umsonst ist hier gar nichts

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Vielleicht eine Einladung zum Grillen? In Corona-Zeiten wohl schwierig. (Foto: Dar1930 - stock.adobe.com)

Wer heute von wildfremden Menschen die freundliche "Einladung" bekommt, etwas zu tun, sollte genauer hinschauen.

Von Jan Kedves

Krisen verändern Menschen und deren Sprachgebrauch. So gesehen könnte die Corona-Krise endlich Gelegenheit bieten, der inflationären Verwendung des Wortes "Einladung" ein Ende zu setzen. Man wurde doch, bevor es losging mit Covid-19, andauernd zu allem Möglichen eingeladen - nicht nur zum Konzertabend oder zum Essen bei Freunden. Zum Beispiel erlebte der Autor dieses Textes noch wenige Tage vor dem Corona-Shutdown in einer Yogastunde, dass die Lehrerin dazu einlud, "die nächste Ausatmung als Einladung des Körpers zu betrachten, sich noch tiefer in die Position sinken zu lassen".

Oder Doris Dörrie. Sie veröffentlichte vor einigen Monaten mit "Leben, schreiben, atmen" ein Buch, in dem sie die Freuden des autobiografischen Drauflosschreibens preist. "Eine Einladung zum Schreiben" steht als Untertitel auf dem Cover drauf. Dieses Buch ist also eine Einladung zu etwas, das man dann doch selbst machen muss - denn natürlich nimmt Dörrie einem das Schreiben nicht ab.

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Das ist in etwa so, als würde man die Freunde zum Essen einladen, und dann duftet in der Küche aber gar nichts, sondern der Gastgeber zeigt auf den Kühlschrank und sagt: "Kochen müsst ihr!" Vielleicht wird es noch einmal umso deutlicher, wenn man sich daran erinnert, wie der Duden die Einladung, diese Substantivierung des Verbs einladen, definiert: als Äußerung, mit der man eine Person nicht nur "als Gast zu sich bittet", sondern "zu einer kostenlosen Teilnahme an etwas" auffordert. Kostenlos kann man es aber nicht nennen, wenn die Einladung letztlich nur die verkleidete Aufforderung dazu ist, selbst Arbeit in etwas zu investieren - in den eigenen Körper, in die literarische Ego-Ergründung, in die angeblich hilfreiche Selbstoptimierung, was auch immer.

Sehnsucht nach Einladungen, die ihren Namen verdienen

Warum dieser strenge Blick auf ein so schönes Wort? Vielleicht vermisst man eben, je länger die Krise anhält, mit jedem Tag schmerzlicher die echten Einladungen - jene, die ihren Namen verdienen. Das ausgelassene Herumsitzen mit Freunden, Familie oder Wahlfamilie um den großen Tisch herum - und eine Person hat sich um alles gekümmert. Oder der Kinobesuch, für den man nichts zu bezahlen braucht.

Muss man da nicht enttäuscht oder allergisch reagieren, wenn man schon wieder zu etwas eingeladen wird, das de facto eine Belehrung ist, eine Unterweisung, eine Anregung zum Entwickeln neuer Ideen? "Eine Einladung" lautet der Untertitel des kürzlich veröffentlichten Bestsellers "Unsere Welt neu denken" der Nachhaltigkeitsforscherin Maja Göpel. Keine Frage, dass unsere Welt dringend neu gedacht werden muss - aber per Einladung? So wird da nichts draus. Notruf wäre besser.

Kurz: Die Einladung ist heute in mindestens 80 Prozent der Fälle keine Einladung. Vermutlich konnte das Wort deswegen so Karriere machen, weil es soft, freundlich und wohlwollend klingt. Und weil sich kaum noch jemand gerne direkt sagen lässt, was zu tun ist. Achtsame Sprache hat sich in den vergangenen Jahren zunehmend verbreitet und zu einer Vernebelung und Verniedlichung der Ansagen geführt - jede Person soll jederzeit das Gefühl vermittelt bekommen, dass sie selbst die Wahl hat. Direktheit ist unerträglich. Und die Person, die "einlädt", ist aus dem Schneider - sie muss ja nicht mehr die Verantwortung dafür tragen, was die anderen aus der Einladung machen. Es stand doch allen offen, sie auszuschlagen!

So betrachtet hätte Angela Merkel also kürzlich auch in ihrer Fernsehansprache die lieben Mitbürgerinnen und Mitbürger dazu einladen können, im Interesse des deutschen Gesundheitssystems und der diversen Risikogruppen das Coronavirus als Einladung zu betrachten, die nächste Einladung zum sozialen Miteinander lieber abzusagen. Dass sie es nicht getan hat, dass Merkel stattdessen klar von "Regeln" sprach und der "Aufgabe", diese zu "befolgen", dass sie auch mehrmals das böse Verb "müssen" benutzte: Es war wohltuend. Und, so wie es auf den Straßen aussieht, einigermaßen wirkungsvoll.

Anleitung, Anregung, Aufforderung, Befehl, Gelegenheit, Chance: Würde man all diese Worte endlich wieder benutzen, würde das zu einer Resensibilierung der Sprache führen, gerade durch den Verzicht auf flauschige Formulierungen. Dann könnte man es auch wieder angemessen bizarr finden, wenn der Chef der deutschen Firma Recaro, Weltmarktführer für Economy-Sitze, in einem Interview mit Aero.de, der deutschen Website für Luftfahrtnachrichten, sagt: "Die Corona-Krise ist eine Einladung für die Airlines, ihre Ausstiegsklauseln zu nutzen" - sprich: Airlines stornieren in der Krise ihre Bestellungen von Flugzeugsitzen.

Corona als Einladung? Auch die sozialen Medien sind natürlich voll von solchen Formulierungen - das Virus sei eine Einladung des Lebens, eine Einladung zur Erneuerung, und so weiter. Das sollte man mal denjenigen erzählen, die gerade ihre Liebsten an Covid-19 verlieren. So gesehen traf der WDR es kürzlich sehr gut, als er über einen Meinungsbeitrag zur Krise die Überschrift setzte: "Corona kommt ohne Einladung".

© SZ vom 18.04.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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