Dünne Models:Warum die Empörung über dünne Models scheinheilig ist

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Heidi Klum bei der Vorstellung der drei Finalistinnen v l Ivana Teklic 18 Jolina Fust 16 un

"GNTM" ist das einzige deutsche TV-Format, das mit einer jährlichen Demo geadelt wird. Hier die drei Finalistinnen (v.l.) Ivana Teklic. Jolina Fust und Stefanie Giesinger zusammen mit Heidi Klum bei der Staffel im Jahr 2014.

(Foto: imago/APress)

Das Körperbild in "Germany's Next Topmodel" ist ungesund, jugendgefährdend und frauenverachtend. Ach ja? Seltsam nur, dass so viele mitmachen beim großen Dünnerwerden.

Essay von Tanja Rest

Seit zwei Wochen läuft im Fernsehen wieder "Germany's Next Topmodel", das heißt, die paar wenigen Mädchen zwischen zwölf und 18 Jahren, die noch nicht depressiv, verhaltensgestört und anorektisch sind, werden es notwendig in Kürze sein. Diesen Eindruck jedenfalls bekommt, wer dem Schwarm der Kritiker glaubt, die diese Sendung seit elf Jahren schreiend und keifend begleiten wie die Möwen Captain Ahabs weißen Wal ("Wal, da bläst er!").

Die Deutsche Presse-Agentur weist auf eine Studie hin, wonach "GNTM" Essstörungen begünstigt. Die feministische Protestorganisation Pinkstinks beklagt "das überzogene Schönheitsideal einer perfiden Modeindustrie" und lädt zum Anti-Heidi-Konzert nach Berlin, mit freundlicher Unterstützung des Bundesfamilienministeriums ("GNTM" ist das einzige deutsche TV-Format, das mit einer jährlichen Demo geadelt wird, Glückwunsch). Spiegel-Online-Kolumnistin Margarete Stokowski wünscht der Show "einen Laster voller Mädchenkotze, mit Erbrochenem von bulimiekranken Mädchen".

Unseretwegen. Die Frage ist nur: Woher kommt der Hass?

"GNTM" ist eine durch und durch professionell gemachte Sendung, die man je nach Interessenlage amüsant, sterbenslangweilig oder frauenverachtend und jugendgefährdend finden kann. Sie unterscheidet sich hierhin in nichts von all den anderen nicht totzukriegenden Rausschmeiß-Shows, über die sich aber keine Sau mehr aufregt. Auf RTL konkurriert mittwochs ein Harem langhaariger und mit Make-up verklebter Frauen um einen schmierigen reichen Junggesellen ("Bachelor"), am Samstag lassen sich überwiegend junge Menschen vom blonden Alpha-Affen des Einwegpop erniedrigen ("DSDS"), auf Sat 1 haben kürzlich Achtjährige mit den Hüften gewackelt wie Shakira in ihren geilsten Zeiten ("Got to Dance Kids"); die prekären Madenfresser vom "Dschungelcamp" sind derweil in den Feuilletons angekommen und waren für den Grimme-Preis nominiert.

Nach "GNTM" zeigt Pro Sieben eine Show, in der sich eine Frau mit Augenbinde von ihr unbekannten Männern die Zunge in den Rachen schieben lässt. Empörung, anybody?

Nicht jedes dünne Mädchen ist magersüchtig

Noch einmal die Frage: Warum regen sich so viele Leute ausgerechnet über diese eine Sendung so sehr auf? Die Antwort kann nur lauten: Weil es bei "Germany's Next Topmodel" naturgemäß um perfekte Körper geht. Bei diesem Thema versteht die Mehrheit heute keinen Spaß. Einen Körper haben wir schließlich alle. Autsch.

Jetzt kommt ein großartiges Zitat von Stevie Schmiedel, Gender-Forscherin und Pinkstinks-Aktivistin, vor drei Jahren in einem Interview mit der taz. Achtung: "Seit 2006 gibt es die Topmodel-Show. 70 Prozent fühlten sich damals laut der Dr.-Sommer-Studie wohl in ihrem Körper. Und 2012 sind es nur noch 47 Prozent." Ahaaa . . . ! Heidi die Modelhexe hat das Wohlsein der jungen Menschen in nur sechs Jahren um ein Viertel weggehext! Wussten wir's doch.

Ein paar unbequeme Wahrheiten, erstens: Laufstegkleider sehen an dünnen Frauen besser aus. Zweitens: Einige der "GNTM"-Kandidatinnen hätten im echten Model-Business keine Chance, weil sie nicht dünn genug sind. Drittens: Nicht jedes dünne Mädchen ist magersüchtig. Viertens: Magazine mit korpulenten Frauen auf dem Titel verkaufen sich nicht. Fünftens: Wenn Ihnen Dior gehörte, würden Sie korpulente Frauen auf den Laufsteg schicken? Sechstens: In "Laufstegkleider sehen an dünnen Frauen besser aus" liegt die Betonung auf Kleider. Ob man die dünnen Frauen darin schön findet, ist wie so vieles Geschmackssache.

Das Streben nach dem perfekten Körper ist heute nicht mehr feministisch korrekt, aber natürlich originär menschlich. Bereits vor viertausend Jahren quetschten sich die Kreterinnen in eine Art Mieder, das den Busen hochschob und die Taille verschlankte. Im Frankreich des Sonnenkönigs bekamen schon dreijährige Mädchen ein Korsett verpasst, im Biedermeier galt ein Taillenumfang von 40 Zentimetern als Inbegriff der Erotik, und was ist man froh, dass einem das erspart geblieben ist. Zwischendurch schwoll der Traumkörper auch mal auf Moppelmaße an, und zwar immer dann, wenn das Volk gerade nichts zu beißen hatte; demokratisch war Schönheit noch nie. Seit den Sechzigerjahren hat der Körper schlank zu sein, nur die Umfänge von Busen, Hüften und Hintern variieren. Wenn wir das heute verwerflich finden, so haben wir das Heikelste doch hinter uns: Niemals war der Körperkult zynischer als in den Neunzigern, die den Magersucht-Look feierten, skelettierte Gestalten mit eingefallenen Gesichtern, die Augenringe fingerbreit. Auch das hat die Menschheit überlebt.

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