Dessous:Die Scheu der Frauen vor großen Körbchen

Lesezeit: 6 Min.

Wie finde ich die perfekte BH-Größe? Ausmessen heißt das Zauberwort. (Foto: staras/Fotolia)

Sara stellt mit 40 Jahren fest, dass sie immer die falsche BH-Größe getragen hat. So geht es vielen Frauen. Doch es gibt Abhilfe.

Von Ruth Schneeberger

Sara steht in einem Dessous-Laden in Berlin Mitte und kann es nicht fassen: 70 C statt 85 B. Kann das wirklich wahr sein? Die Verkäuferin bringt einen BH nach dem anderen, manche scheußlich, andere hübsch, aber die Größe ist immer dieselbe - und sie passt wie angegossen.

Kein Wunder, schließlich wurde Sara zuvor fachgerecht "ausgemessen", wie das im Wäschefachverkäuferinnen-Jargon heißt. Dazu wird ein Maßband recht straff um den Brustkorb gelegt, einmal unter der Brust, einmal über die Mitte. Die Zahl steht für den sogenannten Unterbrustumfang, der Buchstabe für die Körbchengröße. Ihren BH ablegen muss sie dazu nicht, nur gepolstert sollte er nicht sein, das verfälscht.

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:Ich trage gerne BHs

Unsere Autorin versteht nicht, warum Feministinnen auf einmal den BH wieder als Unterdrückungsinstrument betrachten. Sie trägt ihn nämlich gerne. Macht sie das nun zur Anti-Feministin?

Nun ist Sara, 40, aus Berlin, die ihren vollständigen Namen hier nicht lesen möchte, also eine 70 C. Und hat somit die Hälfte ihre Lebens die falsche BH-Größe getragen. Das verblüfft sie selbst am meisten. Klar habe sie öfter mal BHs in verschiedenen Größen anprobiert, sich aber in der von ihr selbst ausgesuchten Größe immer wohl gefühlt. Mehr oder weniger. Um das Thema hat sie sich sonst nicht groß gekümmert.

Bis sie ein Schild mit der Aufschrift "Heute BH-Fitting kostenlos" in den Wäsche-Laden lockte. Also ist Sara hineinspaziert. Und kam mit einer besseren Figur heraus, ganz ohne Schönheits-OP. Denn eine 70 C steht nach aktuellem Mode- und Figurverständnis für attraktivere Maße als eine 85 B: Der Oberkörper ist deutlich schmaler als gedacht, der Busen größer. Oder etwa nicht?

Die Hamburgerin Laura Gollers kennt das Problem, dass die meisten deutschen Frauen - bis zu 80 Prozent - die falsche BH-Größen tragen. Weil sie entweder ihre richtige Größe nicht kennen oder es diese schlicht nicht zu kaufen gibt. Auch sie und ihre Schwester Sabrina Schönborn, mit einer nach durchschnittlichen Vorstellungen großen Oberweite gesegnet, wurden in herkömmlichen Wäscheläden nie richtig fündig. Sie haben alles ausprobiert: Internet-Versand, Boutiquen im Ausland, Marken für Extra-Größen. So gut wie nie war etwas dabei, das passte - und dabei nicht nach Brustpanzer oder Sex-Shop aussah.

Immer mehr Frauen fürchten sich vor XL

Also gründeten die Schwestern kurzerhand eine eigene BH-Linie und wurden damit sogar ein bisschen berühmt: Als "Sugarshapes" eroberten sie 2016 die "Höhle der Löwen" und gewannen die TV-Show auf VOX, bei der Firmengründer mit erfolgsversprechenden Startup-Ideen gesucht werden. Der Deal mit dem Investor ist nach der Show zwar geplatzt. Der TV-Auftritt hat sich trotzdem ausgezahlt: Dreimal so viele Bestellungen wie zuvor gingen seither bei ihnen ein, erzählt Gollers, die ihre Wäsche selbst entwirft.

Die Kulturwissenschaftlerin weiß: "Viele Frauen haben ein vorgefertigtes Bild von Cup-Größen. Das geht so weit, dass manche eine 90 A tragen, in Wirklichkeit aber eine 70 E bräuchten. Sie sehen sich gar nicht in dieser Größe." Das liege auch daran, dass Körbchengrößen in der Gesellschaft ähnlich stark emotionalisiert würden wie Kleidergrößen. Immer mehr Frauen würde gerne in XS passen - und fürchten sich wahnsinnig vor XL.

Deswegen haben die Schwestern aus Hamburg in ihrem Wäscheversand gleich ganz neue Maße eingeführt - ohne Körbchengrößen. Sie lassen die Kundin mittels Maßband erst einmal ihre beiden Brustumfänge messen, Busen und Brustkorb. Das Ergebnis, durch einen Rechner im Netz geschickt, entspricht dann gleich der bestellbaren BH-Größe. Eine 80 C, wie es dem Standard entspricht, wird da schon mal zur 70/92,5. Oder aber zur 100/125. Weil Frauenkörper nun mal sehr unterschiedlich sein können.

Laura Gollers und ihre Schwester fanden nie die richtige BH-Größe. Heute produzieren sie sie einfach selbst. (Foto: Sugarshape)

Gollers erklärt: "Man muss erst messen und dann umrechnen. Ein B-Cup ist nämlich nicht bei allen Größen gleich groß. Das Ausrechnen macht es genauer - zugleich entziehen wir uns dieser Buchstaben-Phobie. Das macht das Kaufen von BHs unemotionaler und somit einfacher. Man mag ja sonst gar nicht erzählen, wenn man eine sehr große Größe hat."

"Der Verkauf muss personalisierter werden"

Menschen stülpen mittlerweile ihr Innerstes nach außen, präsentieren ihre Geschlechtsteile möglichen Sexualpartnern per MMS, speisen die Cloud mit intimsten Daten ihrer körperlichen Fitness. Im TV werden die absurdesten sexuellen Vorlieben öffentlich diskutiert und dank jederzeit verfügbarer Pornos im Netz wissen schon Siebenjährige über anatomische Besonderheiten Bescheid. Doch die anatomischen Besonderheiten der weiblichen Brust scheinen nach wie vor ein Tabu zu sein.

Vielen Frauen falle es außerdem nicht besonders leicht, nackt in einer Umkleidekabine von einer Verkäuferin begutachtet und womöglich noch auf vermeintliche Makel aufmerksam gemacht zu werden, die nicht in Massenware passen. Manche haben etwa unterschiedliche Brustgrößen. Auch da gibt es Tricks, etwa durch die Einstellung von Trägern. "Viele Verkäuferinnen kennen sich damit aber nicht aus", so Gollers. "Die Wäsche-Branche ist arg verstaubt." Insgesamt gelingt es den Herstellern offenbar nur selten, dem weiblichen Körper eine individuell passende und zugleich ansehnliche Unterstützung auf den Leib zu schneidern. Wie ist das möglich?

Nein, es sind nicht die 68er schuld, obwohl diese den BH gleich ganz abschaffen wollten. Sondern deren erklärter Feind, das Patriarchat. Glaubt zumindest Laura Gollers. "In den Unternehmen von Wäscherherstellern sitzen häufig ältere Personen in den höheren Positionen, meist Männer." Diese sähen keinen Bedarf an einer Änderung oder einem Beratungsangebot, es betreffe sie ja nicht. "Die BHs wurden bisher ja gekauft, auch wenn sie nicht richtig passten."

Erst allmählich merke man bei den alteingesessenen Firmen, dass die Konsumenten mündiger werden und ernstgenommen werden wollen. "Man muss mit ihnen kommunizieren, auf ihre Bedürfnisse eingehen. Der Verkauf muss personalisierter werden - und das Produkt muss auch ein bisschen Spaß machen."

Es kommt nicht nur darauf an, wie die Brust im BH aussieht

Ähnlich sieht das Yvonne Herrmann-Wittig aus der Berliner Hunkemöller-Filiale, in der Sara fündig wurde: Viele Frauen müssten überhaupt erst mal erfahren, wie wichtig es ist, die Brust auszumessen. Deshalb hat ihr Arbeitgeber sich darauf verlegt, das Angebot zu bewerben - per Aufsteller vor der Tür. Dankbar dafür seien vor allem Kundinnen mittleren Alters. Für die junge Generation bis Mitte 20 sei das Thema dagegen mit viel Scham behaftet. "Die haben eher ein Problem damit, ihren Körper anderen zu zeigen." Dabei lohne sich das Ausmessen schon in jungen Jahren. Die Spezialistin selbst hat auch erst durch ihren Job die richtige BH-Größe gefunden. "Ich hatte immer einen zu kleinen Cup. Dass der eingeschnitten hat, habe ich erst später bemerkt."

Manche Kundinnen wollen sich gar nicht umgewöhnen und tun sich schwer, ihre neue Größe zu akzeptieren. "Heute früh hatte ich eine angebliche 85 A im Laden. Das gibt es eigentlich kaum. Sie war dann eine 75 B, konnte sich aber nicht daran gewöhnen, dass sie jetzt in die Cups reingucken konnte von oben. Dabei ist das nun mal so bei Frauen mit besonders weichem Brustgewebe. Die Brust soll sich ja im BH frei bewegen können." Es komme außerdem auch darauf an, wie der Oberkörper bekleidet aussehe - nicht nur im BH.

"Darauf habe ich noch nie geachtet", lacht Sara, und hat sich vor lauter Begeisterung über ihre neue Größe gleich sechs BHs gekauft, plus die dazugehörigen Slips. Die Beratung hat sich also gelohnt - für beide Seiten.

Falls Sie auch manchmal ratlos sind angesichts fleischfarbener Dessous-Albträume, hier ein paar Tipps für das passende Untendrunter:

Das erste Geheimnis lautet: Unterbrustumfang. Sobald Sie diesen kennen (einfach per Maßband eng ausmessen), ist schon das meiste geschafft. Denn das Unterbrustband eines BHs soll 80 Prozent des Gewichts auffangen. Die Träger sind nur zur Feinkorrektur gedacht. Das erklärt auch, warum es ungünstig ist, wenn der Umfang falsch ist: Viele Frauen tragen aus Gründen der Bequemlichkeit einen zu breiten BH - erkennbar etwa daran, dass das Band sich hinten hoch zieht. Das kann in schweren Fällen zu Nackenverspannungen und Kopfschmerzen führen, wenn das Gewicht der Brust die Muskulatur verspannt.

Das zweite Geheimnis ist die Körbchengröße. Die meisten Frauen mit kleinen Brüsten würden sich niemals träumen lassen, dass sie eigentlich einen C- oder E-Cup brauchen anstelle von A oder B. Doch die Körbchengrößen werden an den Unterbrustumfang angepasst. Wer also einen 65- oder oder 70er-Umfang anstelle eines vermuteten 80er-Umfangs neu ausgemessen hat, muss daran denken, dass er dann ein größeres Körbchen braucht - und umgekehrt.

Das dritte Geheimnis: Zahlen und Fakten sind schön und gut - helfen aber wenig, wenn man sich in seinem BH nicht wohlfühlt. Die genaue Passform ist von Hersteller zu Hersteller sowieso verschieden, und, noch wichtiger: Jeder Körper ist anders. Für den perfekt sitzenden BH hilft nur: Ausmessen und dann ausprobieren. Sowohl im Laden, zuhause, als auch im Alltag. Auch die Passform ist wichtig. Vom Balconette-BH bis zur Plunge-Form gibt es viele Variationen. Nicht jede ist für jede Brust geeignet. Mittlerweile bieten immer mehr Läden "Bra-Fitting" an, auch im Netz lässt sich recherchieren (etwa hier oder hier). Die meist von Frauen geführten Blogs propagieren außerdem das Motto "Accept every body" und machen sich stark für Mode, die frei von Körperbewertungen ist.

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