Serie "Mythos New York":In New York ist es okay, ein modischer Nerd zu sein

Lesezeit: 3 Min.

Mode in New York: Nur die Dame auf dem Plakat staunt da. (Foto: Carlo Allegri/Reuters/Bearbeitung SZ)

Als Sonderlinge outen sich nur Besucher, denen beim Anblick grüner Haare und roter Männerlippen der Mund offen stehen bleibt.

Von Johanna Bruckner

Wer wissen will, was es mit der Modestadt New York wirklich auf sich hat, fragt am besten eine echte New Yorkerin. Iris Apfel sagte einmal in einem Interview: "Ich bin kein Pastell-Typ! Pastellfarben machen mich nervös." Man würde Apfel wohl als Fashionista bezeichnen, würde dieser Begriff nicht nach 16-jährigen Bloggerinnen mit labelverzierten Designer-Täschchen klingen. Apfel ist 95 Jahre alt, geboren in Queens, und eine Stilikone - offenkundig nicht von der Twinset-tragenden Sorte. Vor einigen Jahren widmete ihr das Metropolitan Museum of Art eine eigene Ausstellung und 2014 erschien "Iris", eine Dokumentation über die Frau mit dem grauen Pixie-Schnitt und den übergroßen, bunten Brillen.

Apfel symbolisiert jenen Modestil, der mit New York assoziiert wird und im Prinzip selbsterklärend ist. Wenn Berlin die Stadt der alternativen Coolness ist, Mailand und Paris für die modischen Grundtugenden stehen (Glamour, Eleganz, Exklusivität), ist New York: in your face. Zumindest auf den ersten Blick.

Iris Apfel, Stilikone, prägend. (Foto: AP)

Hier trägt die nette Barista im Lieblingscafé ihre langen Haare giftgrün gefärbt und in der U-Bahn sitzt ein junger Mann mit rotem Lippenstift und schwarzem Glitzernagellack. Doch was der staunende Tourist möglicherweise übersieht: Er ist vermutlich der Einzige, der angestrengt versucht, hinzugucken, ohne beim Glotzen ertappt zu werden. (Von anderen Urlaubern einmal abgesehen.) Denn tatsächlich ist New York vor allem eine Stadt, die modisch aufgeschlossen ist - nicht nur für das Extreme.

Ein Freund erzählte neulich beim Lunch: In New York fühle er sich zum ersten Mal modisch akzeptiert.

Er trägt oft Jeans und Karohemden aus Flanell, allerdings schreit die Kombination bei ihm nicht "Williamsburg-Hipster!", sondern sagt schlicht: "Cincinnati, Ohio" Als er noch nicht in New York lebte, habe er häufig das Gefühl gehabt, sich nicht cool genug zu kleiden, erklärte der Freund. Hier sei es vollkommen okay, ein Nerd zu sein.

Bei aller Diversität gibt es etwas, das jeder New Yorker im Schrank hat, häufig sogar mehrfach: Turnschuhe. Die sind in einer Stadt unabdingbar, in der die U-Bahn in etwa so zuverlässig ist wie das Wetter im April. Wer mit dem Sex-and-the-City-Klischee im Kopf nach New York kommt, dass die Frauen hier grundsätzlich in Manolo-Blahnik-Sandalen durch die Stadt stöckeln und mit einer strassbesetzten Clutch nach dem Taxi winken, wird enttäuscht. Wenn die New Yorkerin mehr als zwei Blocks laufen muss, schlüpft sie in die flachen Schuhe, die sie in ihrer geräumigen Handtasche immer griffbereit hat.

Ist New York also eine Stadt, in der alles kann, aber nichts muss?

Nicht ganz. Auch hier hat die modische Freiheit Grenzen. Häufig haben die mit dem Job zu tun. Eine andere Freundin trägt, wenn sie ins Büro auf der First Avenue geht, eine schwarze Perücke, die sie ein bisschen aussehen lässt wie Cleopatra. Darunter sind ihre Haare pink. Der Perücken-Trick als modische Diplomatie - das passt zum Job der Freundin: Sie arbeitet für die Vereinten Nationen.

Die großen New Yorker Designer sind auch nicht für punkigen Style bekannt, sondern haben der Welt den Büro-Chic gebracht: Calvin Klein, Ralph Lauren, Tommy Hilfiger, Marc Jacobs, Michael Kors - sie alle machen Businessmode im besten Sinn. Ihre Kunden geben viel Geld aus, um beim Geldverdienen gut auszusehen und sich auch damit für höhere Posten zu qualifizieren, um noch mehr Geld zu verdienen. Wer für eine weiße Bluse 400 Dollar bezahlt, investiert außerdem in ein gutes Gefühl, denn nirgends auf der Welt kommt Kapitalismus so verführerisch daher wie in New York.

Serie "Mythos New York"
:"Mal schauen" ist eine Antwort, die in New York nicht gilt

Job, Privatleben, Fitness - der New Yorker Workaholic arbeitet vor allem an einem: sich selbst. Das kann für Besucher inspirierend sein. Oder schmerzhaft. Aus der Serie "Mythos New York".

Von Johanna Bruckner

In ihrer Freizeit tragen New Yorkerinnen seit einigen Jahren bevorzugt Athleisure-Mode. Eine Art freiwillige Uniform aus Leggins, Muskelshirt und blitzendem Sport-BH. Aufgrund dieser Vorliebe auf eine entspannte Geisteshaltung zu schließen, wäre aber falsch: Die Trägerinnen sind allzeit bereit für einen Sprint zum nächsten Lebensplan-Etappenziel. Für Modeikone Iris Apfel ist dies kein Look für jeden Anlass. Lässig hat für die 95-Jährige oft mit sich gehen lassen zu tun.

In einem Gespräch für die Interviewreihe The Talks sagte sie: "Wenn ich in ein Restaurant gehe und rüber zum Nachbartisch gucke, mag ich es, wenn die Leute attraktiv aussehen; es hilft meiner Verdauung. Wenn ich ein Biest mit offenem Hemd und einer haarigen Brust sehe, verdirbt mir das den Appetit!" Mode-Toleranz hat Grenzen. Sogar in New York.

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