Die Deutschen wurden wegen ihres eintönigen Speiseplans lange als "Krauts" und "Kartoffelköpfe" verhöhnt, doch damit dürfte es endgültig vorbei sein. Denn das Land arbeitet gerade hart daran, zur Avocado-Nation zu werden. Und gemessen am fantastischen Image dieser Frucht soll das endlich mal ein Kompliment sein.
Um sagenhafte 22 Prozent gegenüber dem Vorjahr ist 2017 der Absatz von Avocados in Deutschland gestiegen, wie das Statistische Bundesamt meldet. Auf 57 Millionen Kilo. Vergleicht man die Zahlen mit denen von 2013, dann hat sich der Konsum weit mehr als verdoppelt. Damit gehört Deutschland zu den am schnellsten wachsenden Märkten für Avocados, wie die World Avocado Organization (WAO) jubelt. Deren Chef, Xavier Equihua, spricht von einem "Siegeszug". Kein Wunder also, dass Lieferdienste von Supermärkten inzwischen mit Fahrrädern im WAO-Design herumgurken und in Berlin gerade die ersten zwei Avocado-Restaurants eröffnet haben.
Doch wie konnte es ausgerechnet die Avocado so weit bringen, eine Riesenbeere aus Mexiko, die bei uns mal als fade Butterfrucht verschmäht wurde? Die schlichte Antwort: Sie lässt sich perfekt als Lifestylelebensmittel vermarkten. Mild, cremig und vielseitig, ist sie eine der wichtigsten Zutaten der veganen Küche, ob im Eis, oder Smoothie, als Salat oder Cappuccino, als Pommes oder Brotersatz für Burger. Zudem ist ihr Fleisch hübsch grün, die neuen Avocado-Gastronomen messen den Erfolg von Gerichten auch daran, wie oft sie fotografiert werden. Acht Millionen Instagram-Bilder zu #Avocado können nicht lügen.
Vor allem aber gelten Avocados als extrem gesund: Antioxidantien, ungesättigte Fettsäuren, Vitamine - die Liste ihrer Vorteile ist lang. Ein "Superfood", das den Cholesterinspiegel senkt. Das satt macht, aber nicht dick, wie Fitness- und Ernährungsberater dozieren, seit sie zwischen bösen und guten Fetten unterscheiden. Sie stilisierten die Avocado zur Wunderfrucht - und verschwiegen dabei ihren größten Makel: So hervorragend ihre Energiebilanz für Menschen zu sein scheint, so erschütternd ist sie für die Umwelt.
Da wäre vor allem der Wasserverbrauch: tausend Liter für ein Kilo Avocados (etwa drei Stück), Tomaten benötigen nicht einmal ein Fünftel davon. Schlecht bei einer Pflanze, die vor allem in Ländern mit Wasserknappheit wächst. Ihr Anbau ist langwierig und teuer, was Agrarkonzerne begünstigt. Und mehr als 80 Prozent des deutschen Avocado-Imports - im Container aufwendig runtergekühlt auf sechs Grad Celsius - legen Tausende Kilometer zurück, bevor er auf dem Teller landet.
Die Probleme sind Thema im Geografie-Unterricht der Gymnasien. Doch den Siegeszug der Avocado hält das nicht auf. Weitere 15 Prozent Wachstum erwartet man bei der World Avocado Organization, die den Juni zum "Welt-Avocado-Monat" ausgerufen hatte. Ein Münchner Luxushotel beging dieses Ereignis mit einem "AvoYogaLunch". Vielleicht war der ja so entspannend, dass die Teilnehmer ihre Lieblingsfrucht künftig nüchterner sehen. Und verstehen, dass selbst ein Nackensteak umweltverträglicher sein kann. Wer aber ganz sichergehen will, der kehrt zu Kraut mit Kartoffeln zurück.