Autodesign:Die Frau, die Maseratis männlich macht

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Im Designzentrum des Sportwagenherstellers in Turin experimentiert Elisa Nuzzo mit Farben und Formen. (Foto: Max Montingelli/SGP)

Die italienische Marke ist legendär - und legendär maskulin. Doch in bestimmten Bereichen des Unternehmens haben sich Frauen mittlerweile durchgesetzt, so wie Elisa Nuzzo.

Von Silke Wichert

Seit Kurzem weiß man , dass Raubkatzen auf "Calvin Klein Obsession for men" abfahren, weil in Indien gerade versucht wird, eine besonders mörderische Tigerdame mit diesem Duft einzufangen. Schon ein bisschen länger ist dagegen bekannt, dass Männer selbiges bei Frauen gern mit protzigen Sportwagen probieren. Vor zehn Jahren bekamen sie sogar pseudowissenschaftliche Unterstützung für diese Methode: In einer Studie hatte man Frauen und Männern per Blindbeschallung verschiedene Motorengeräusche vorgeführt, um anschließend ihren Testosterongehalt im Speichel zu messen. Tatsächlich stieg der Wert nach dem lauten Röhren auch bei den weiblichen Probanden sprunghaft an, allerdings nicht bei allen Marken gleich: Maserati machte die Frauen besonders an, noch mehr als Lamborghini und Ferrari.

Elisa Nuzzo hat diesen gewaltigen Sound tausendfach gehört, erst gerade wieder, als der blaue SUV von Maserati zu ihr in die große Vorführhalle gefahren wurde. Immer wieder imponierend, klar. Aber die Italienerin mit dem tiefen Seitenscheitel hätte gern, dass noch ein paar andere Dinge an diesem Auto beeindrucken, und zwar Männer wie Frauen, und Letztere bitte nicht nur auf dem Beifahrersitz. Die 45-Jährige ist Chefdesignerin für den Bereich "Color and Trim" im Designzentrum in Turin. Heißt: Sie hat das Sagen, wenn es um die Außenlacke sowie die Farben und Materialien im Innenraum geht. Nuzzo ist damit eine ziemliche Ausnahmeerscheinung bei der italienischen Autolegende. Über ihrem Schreibtisch, im anderen Gebäudetrakt, hängt ein Foto, das sie mit Kollegen beim Autosalon in Genf zeigt. Die Designer, Techniker, Produktmanager, Projektleiter - alles Männer.

Sportwagen gelten heute oft als zu machohaft. Aber Maserati verkauft so viele wie noch nie

Allerdings spielten die "Macchinas" bei den Nuzzos zu Hause auch schon immer eine größere Rolle als in anderen italienischen Familien. Ihr Vater arbeitete 30 Jahre in der Logistikabteilung von Fiat, seinetwegen zog die Familie in den Siebzigerjahren von Apulien in die Autostadt Turin. Als Mädchen verbrachte sie unendliche Stunden im Auto, wenn es vollgepackt mit Einweckgläsern und Orecchiette aus den Ferien wieder gen Norden ging. Die beiden Töchter suchten stets die Farben für Papas Neuwagen aus - zuletzt ein dunkles Lila. Der Vater nahm Elisa sogar manchmal mit zur Arbeit, hierher auf das berühmte "Mirafiori"-Gelände, früher eine der größten Fabriken der Welt, weil sich die Tochter für Design und Architektur interessierte. "Und trotzdem wäre ich nie auf die Idee gekommen, hier zu arbeiten", sagt Nuzzo. Autodesigner hießen Battista Pininfarina, Giuseppe Bertone, später Walter de Silva, Luc Donckerwolke. Für die Marken Maserati, Alfa Romeo und Fiat, die alle zum Fiat-Chrysler-Konzern gehören, ist mittlerweile der Deutsche Klaus Busse verantwortlich. Lediglich der BMW Z4 wurde vor ein paar Jahren von einem weiblichen Duo neu gestaltet, ansonsten war der Platz von Frauen in der Sportwagenbranche traditionell eher, nun ja, auf der Motorhaube.

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Also studierte Nuzzo Architektur, arbeitete in Büros für Interiordesign und kam bei einem Beratungsjob 2008 doch wieder in dieses Gebäude, nur diesmal in eine Abteilung, in der Stoffproben, Farbkarten, Carbonteile und Moodboards herumlagen - ihr heutiger Arbeitsplatz. "Ich wusste nicht, was genau die Leute dort machten, aber es faszinierte mich, also bewarb ich mich sofort", sagt Nuzzo. Wenn sie heute Fremden erzählt, wo sie arbeitet, fällt denen regelmäßig die Kinnlade herunter. Die italienische Marke ist legendär - auch legendär maskulin. Der überdimensionierte Kühlergrill mit dem Dreizack im Logo, inspiriert von einer Neptun-Statue in Bologna, wo die Brüder Maserati einst anfingen, steht für Stärke und Vitalität: ein Wagen zum Aufgabeln.

In dem weitläufigen Büro, das sich Nuzzo mit den Designern der anderen Marken teilt, hängt ein Poster von Lightning McQueen an der Wand. Der Held aus den "Cars"-Trickfilmen bekam für den dritten Teil letztes Jahr - feministisch wertvoll - eine Renntrainerin zur Seite gestellt. Das Bild entspricht noch nicht ganz der Realität, aber immerhin bei den "Soft Spots", den Bereichen des Autos, die man anfassen und fühlen kann, haben sich die Frauen mittlerweile durchgesetzt. "Wir sind hier der Girlsclub", sagt Nuzzo scherzhaft, aber manche Geschlechterklischees stimmen einfach. Sie zeigt auf die braune Lederverkleidung im Auto: "Wenn ich hier über verschiedene Farbtöne grübele, mal mit mehr Gelb- oder Grünanteil, schauen mich die männlichen Kollegen verständnislos an und sagen: Sieht doch alles gleich braun aus." Ihr Einfluss wird gern unterschätzt, dabei geht er viel weiter, als den meisten bewusst ist. "I dress the car", sagt Nuzzo. Sie zieht dem Auto etwas Passendes an. Damit es einen mit seinem Äußeren anlockt und, einmal drin, nicht mehr loslässt.

Sportwagen gelten in der heutigen Vernunftsgesellschaft als Anachronismus auf vier Rädern. Zu laut, zu teuer, zu verschwenderisch, zu machohaft. Aber Maserati geht es so gut wie noch nie. 2017 wurden mehr als 50 000 Fahrzeuge ausgeliefert, gut zwanzig Prozent mehr als im Vorjahr - was nicht zuletzt daran liegt, dass Maserati bei den Frauen aufholt. Der SUV Levante, der vor zwei Jahren auf den Markt kam, verkauft sich fast so gut wie der Porsche Cayenne. Während Maserati zu fahren in Europa noch Männersache ist, sind in Amerika mittlerweile zwanzig Prozent der Käufer weiblich, in China sogar mehr als dreißig. Die dort am häufigsten bestellte Farbe? Nuzzo grinst. "Ganz klar: Rot." Keine falsche Zurückhaltung.

Ihr erstes Projekt war ein pinkfarbener Fiat 500, ein Barbie-Sondermodell

Wobei Rot bei Maserati natürlich "Rosso Trionfale" heißt. Englische Namen wären für die Italiener undenkbar, entsprechend heißt das Blau des SUV in der Halle "Blu nobile". Die Chefin gibt dem Techniker ein Zeichen: Scheinwerfer an, einmal drehen bitte. Eigentlich bevorzugt Nuzzo das Tageslicht im Hof, um Lacke vorzuführen. Aber das Wetter in Turin ist oft launisch, vom Firmengelände aus sieht man die schneebedeckten Alpen. Also investierten sie in eine Leuchtdecke mit zwei Dutzend Scheinwerfern, die jede Nuance aus dem Lack herauskitzeln, ständig schimmert das "Blu" ein bisschen anders. "Wir haben drei Schichten statt zwei lackiert", erklärt Nuzzo "die letzte enthält feine Glaspartikel, eine ganz neue Technik." Das funkelnde Blau hatte sie in einer Parfumwerbung für Chanel gesehen und in monatelanger Arbeit versucht, in Lackfarbe umzusetzen. Inspiration findet sie überall.

Nuzzos erstes Projekt, als sie 2008 zunächst bei Fiat anfing: ein pinkfarbenes Barbie-Sondermodell des Fiat 500. Dabei fuhr sie privat einen schwarzen Flitzer von Alfa Romeo. Mittlerweile fährt die Designerin selbst einen Fiat 500, allerdings in Weiß. "Ich mochte die Aufmerksamkeit, die ich mit dem Alfa bekam, aber damit einzuparken, war irre anstrengend." Richtig bequem war die Sitzposition leider auch nicht. Frauen sind praktisch veranlagt, die Dinge müssen schön sein, aber auch funktionieren. Im Unternehmen erzählen sie gern, dass sich die Freundinnen des langjährigen Ferrari-Chefs Luca di Montezemolo in den Siebzigern ständig über sein ungemütliches Auto beschwerten.

Maseratis sind die Limousinen unter den Sportwagen. Groß, bequem, mondän. Das noble Image litt aber immer wieder unter massiven Verarbeitungs- und Qualitätsproblemen. Diese Zeiten sollen jetzt endgültig der Vergangenheit angehören. Neuerdings wird sogar Seide von Zegna im Innenraum verwendet. "Das hat uns zwei Jahre Entwicklung gekostet", sagt Nuzzo. Denn reine Seide ist eigentlich viel zu empfindlich für die starke Beanspruchung. Wenn man 100 000 Euro aufwärts für sein Auto hinblättert, soll nicht irgendwann abgeriebener Stoff unter dem Hintern zum Vorschein kommen.

Außerdem haben sie für die Türen Carbon mit geflochtenen Aluminiumdrähten eingeführt, das wie das Fischgrätmuster in Anzügen aussieht. Im Moment experimentieren sie mit neuen Fußmatten, in einem großen Showroom liegen dafür Proben von hochflorigem Samt. Gern würde Nuzzo auch einmal die Mittelkonsole oder ein Stück in der Tür unverkleidet lassen und das raue Aluminium mit Schwarz kombinieren.

Obendrein haben die Kunden immer häufiger Sonderwünsche. Der eine will Krokoleder, der andere von seinem Lieblingskünstler gestaltete Konsolen. Serienreif ist das natürlich nicht, aber theoretisch ist jeder Sonderwunsch hier möglich. Die bekannte Produktdesignerin Patricia Urquiola mutmaßte in einem Interview bereits, durch selbstfahrende Autos werde der Innenraum bald noch mehr zum verlängerten Wohnzimmer. Man könne dort dann lümmeln wie auf dem Sofa, die Füße hochlegen, während das Auto einen durch die Gegend kutschiert. Nuzzo glaubt nur teilweise an diese Vision. Bei manchen Autos sei das sicherlich denkbar, meint sie. "Aber bestimmte Motoren, mit bestimmtem Sound - die wollen die Leute immer noch selbst fahren."

© SZ vom 20.10.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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