Mode:Das letzte Hemd

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"Wir wollen eine ewige Kollektion, unsere Partner können damit langfristig planen und investieren", sagt August Bard Bringéus von der Firma Asket. (Foto: Asket)

Es muss nicht immer H&M sein: Das Unternehmen Asket aus Stockholm will den Kleiderkonsum verändern - mit einer einzigen Kollektion, die so zeitlos ist wie nachhaltig.

Von Max Scharnigg

Anfang des Jahres 2015 hatten zwei Studenten in Stockholm ein komisches Gefühl. Es rührte, vereinfacht gesagt, von einer Statistik her, wonach jeder Europäer im Durchschnitt zwar knapp hundert Kleidungsstücke besitzt, aber bei weitem nicht alle davon gerne trägt. Das, sagt August Bard Bringéus, sei ihm und seinem Kumpel Jakob Dworsky paradox vorgekommen. Obwohl sie mit Mode nichts am Hut hatten, überlegten sie, was man an diesem fehleranfälligen Klamottenkonsum ändern könnte. Und weil beide BWL studierten, wurde daraus eine Geschäftsidee.

Ihr erster Ansatz war ebenso einfach wie hochtrabend: Man müsste den Menschen Kleidungsstücke verkaufen, die sie wirklich brauchten und benutzten. Um nicht nur in kurzen Modezyklen zu funktionieren, müssten diese Sachen hochwertig hergestellt und zeitlos designt sein. Fünf Jahre statt fünf Wäschen Lebensdauer, so lautete die interne Vorgabe. Mit diesem Anspruch fingen die beiden an, zunächst ein T-Shirt zu entwickeln. Eines, das alle anderen T-Shirts überflüssig machen sollte. Sie starteten einen Crowdfunding-Aufruf und merkten bald, dass ihre Überlegungen mehrheitsfähig waren - die Kickstarter-Kampagne, mit der sie Geld für das T-Shirt einsammeln wollten, endete jedenfalls mit dreimal so vielen Vorbestellungen wie geplant. Ein starkes Signal an die Jungunternehmer, aber auch die Verpflichtung zu liefern. "Wir kannten uns ja noch überhaupt nicht mit der Textilbranche aus, wir hatten einfach mal nach T-Shirt-Produzenten gegoogelt" erinnert sich August Bringéus an die Anfangsphase.

Nachhaltige und hochwertige Produktionsbedingungen gehörten für die Schweden zu den Selbstverständlichkeiten einer Langzeit-Garderobe. Der höhere Preis bei der Herstellung sollte durch den Direktvertrieb und ihre strikte "online only"-Strategie ausgeglichen werden. Keine Margen für Zwischenhändler, keine Kosten für Verkaufsräume, keine Werbung, dafür völlige Transparenz vom Baumwollpflücker bis zum fertigen Shirt. Aber damals wussten sie noch nichts von den komplizierten Verhältnissen der globalisierten Textilbranche oder auch nur, dass heute kein Kleidungsstück mehr in nur einem Land hergestellt wird. Viele Hersteller beantworteten ihre Frage nach einem "Dauer-T-Shirt" dann auch nicht mal. Also klapperten sie persönlich ein paar T-Shirt-Fabriken ab und hatten schließlich bei einem kleinen Betrieb in Portugal "ein gutes Gefühl".

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Schon bei den Verhandlungen dort zeigte sich, wie ungewöhnlich ihr Ansatz für die Branchenangehörigen klang. Andere Modemarken, egal ob günstig oder edel, produzieren jedes Jahr ein halbes Dutzend Sortimente und wählen dafür immer den Hersteller, der für die geplanten Designs den günstigsten Preis anbieten kann. "So entsteht nie eine echte Verbindung zwischen Marke und Produkt. Wir wollen eine ewige Kollektion, unsere Partner können damit langfristig planen und investieren", sagt Bringéus. Das geht so weit, dass heute Näherinnen mit der gewachsenen Asket-Gemeinschaft über ihre Arbeit an einem Shirt chatten - eine in der Modewelt absolut ungewöhnliche Verbindung von Produzent und Konsument.

Jedes neue Kleidungsstück kommt erst mal in eine monatelange Testphase

Für die Schnittmuster des ersten Shirts heuerten sie einen Experten in Stockholm an, Trage- und Materialtest machten die beiden erst selbst, danach zogen sie die Prototypen ihren Freunden an, mit der Bitte um genaues Feedback - wie ist die Ärmellänge, wie die Baumwolle, wie fühlt sich der Kragenbund an? Dieser volksnahe Test gehört immer noch zur Asket-Strategie, jedes neue Teil kommt in eine monatelange Beta-Phase. "Das ist ein Vorteil, wenn man die Kollektion nicht innerhalb von sechs Monaten losschlagen muss - wir haben Zeit, alles zu optimieren."

Auf der Homepage asket.com ist unter dem T-Shirt, mit dem alles begann, eine kleine mathematische Gleichung zu sehen. Sie gehört bei jedem Produkt dazu und soll den Preis aufschlüsseln. Im Fall des fertigen T-Shirts liest sie sich so: Stoff 6,20 Euro + Arbeitskosten 4,10 Euro + Transportkosten 0,50 Euro ergeben reine Herstellungskosten von 10,80 Euro pro Stück. Billiger, so Bringéus, kann ein qualitatives T-Shirt in Europa nicht gemacht werden. Asket verlangt dafür 35 Euro, zunächst waren es nur 30 Euro.

"Anfangs haben wir uns ein bisschen verkalkuliert", sagt August, und das brachte die Unternehmung mehrmals ins Straucheln. So konnten sich die beiden Männer in den ersten zwei Jahren trotz guter Auftragslage selbst kein Gehalt auszahlen. Ein Büroraum von Freunden musste als Hauptquartier, Lager und Vertriebsraum herhalten, von dem aus sie den ersten Sommer lang die vorbestellten T-Shirts in die Welt schickten. Alles war anstrengender und teurer als gedacht. Aber die Rückmeldung der Kunden war gut, und so fingen sie an, das Sortiment zu erweitern, immer ausgehend von der Frage: Was braucht jeder Mann? So kamen ein Oxford-Hemd, ein Merino-Pullover und 2017 die erste Chinohose dazu. Alles in der namensgebenden, asketischen Schlichtheit, ohne Logo und Muster und in nur wenigen gedeckten Farben - dafür in vielen Größen.

Herkunft zählt: Asket-Hemden werden in einem Familienbetrieb im portugiesischen Felgueiras zugeschnitten und genäht. (Foto: Asket)

Denn als Besonderheit bietet das kleine Label zum Beispiel Shirts nicht nur in den üblichen Konfektionsgrößen an, sondern auch in drei Längen. "Ein bisschen blauäugig war das schon, jetzt müssen wir von jedem Teil 15 verschiedene Größen in vier Farben auf Lager halten", sagt Bringéus. Eine schwedische Bank half ihnen mit einem Kredit, später wurden Investoren auf die Firma aufmerksam. Denn was die Quereinsteiger da vormachten, schien auf einmal in der ganzen Branche Thema zu werden: Nachhaltigkeit, Fairness und Transparenz gehörten plötzlich zu jedem guten Markenimage dazu. Soweit wie Asket (nicht zu verwechseln mit der Marke Arket des H&M-Konzerns) gehen trotzdem nur wenige. Etwa wenn es heißt, bis hin zu Knopf und Verpackung anzugeben, wo die Sachen herkommen. Oder Gehälter, Arbeitsbedingungen und Fotos der Produktionsstätten offenzulegen.

Drei Jahre lang suchten sie eine nachhaltige Produktionsstätte für ihre Jeans

Mit jedem Stück, das neu aufgenommen werden soll, beginnt die Suche nach dieser "richtigen" Produktion von vorn. "Das Oxford-Hemd hat viel Mühe gemacht und alle üblen Vorurteile gegenüber der Branche und ihrem Verschleiß von Ressourcen bestätigt. Es ist unglaublich, wie viele Menschen rund um die Welt an einem einfachen Hemd arbeiten", sagt August Bringéus. Auch ihre Produktionskette ist noch eindrucksvoll: Die Baumwolle kommt aus Kalifornien, wird in die Türkei zu einer Spinnerei verschifft, der Faden dann nach Portugal transportiert, wo die Garnrollen eingefärbt werden und weiterwandern zu einem Betrieb, der aus dem Garn die Stoffbahnen webt, die dann an die Produktionsstätte gehen, wo Hemdteile geschnitten und vernäht werden.

Noch aufwendiger war die Sache mit der Jeans. Drei Jahre lang suchten sie eine nachhaltige Produktion, denn die tiefe Indigofärbung verbraucht immense Mengen an Wasser und Chemikalien. Schließlich wurden sie bei einer modernen Weberei in Japan fündig, in der sogar herumfliegende Flusen wieder verwendet werden. "Ich habe meine Hand in das Abwasserbecken gehalten, und sie sieht noch aus wie vorher", sagt August Bringéus mit skandinavischem Bubencharme. Das Risiko hat sich gelohnt, die Raw Denim Jeans mit lückenlosem Herkunftsnachweis gehört zu den Bestsellern der Schweden, die mit ihrer Anti-Mode mittlerweile recht erfolgreich sind. Zehn Angestellte gibt es heute in dem Atelier in Stockholms Vasastaden-Viertel und Kunden auf der ganzen Welt. Wie geht es jetzt weiter? "Tja, irgendwann wird unsere Kollektion komplett sein." Ein ungewöhnlicher Satz für einen Modeunternehmer, aber wer mit dem Ziel antritt, nur nötige Basics anzubieten, kann eben nicht endlos weiterwachsen. Dann geht es nur noch um Verfeinerung. "Oder wir wagen uns an eine Damenkollektion", sagt Bringéus. Mut haben sie ja bereits bewiesen.

© SZ vom 11.05.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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