Es ist schwer, so etwas wie das verbindende Element in den Arbeiten des Giovanni Ponti, genannt Gio Ponti, zu benennen und dem Mann ein griffiges Attribut zu verpassen. Nicht deshalb, weil der Mailänder fast sechs Jahrzehnte lang mit enormem Arbeitseifer die Welt gestaltete, vom kleinsten Keramikobjekt bis zum seltsamsten Hochhaus der Stadt. Und nicht, weil er die wichtigsten Stilsprünge des 20. Jahrhunderts (und zweier Weltkriege) von der späten Sezession bis zu Pop-Art mit seinem Werk begleitete und dabei viele Strömungen vorwegnahm. Auch nicht, weil er immer in ganz unterschiedlichen Professionen gleichzeitig, vom Dichter bis zum Industriearchitekten, in Erscheinung trat. Sondern weil der Kunstbegriff des Gio Ponti im Ganzen schlicht nicht zu fassen ist, zumindest nicht in herkömmlichen Sortierschubladen - er ist einfach zu groß, steht immer vorne und hinten raus.
Das ist der eigentliche Triumph dieses Ausnahmearchitekten und Ausnahmeitalieners, dessen gewaltigem Schaffen der Taschen-Verlag jetzt endlich ein ebenso gewaltiges Buch gewidmet hat. Der Effekt, den Hunderte große Seiten voller Interieurs, Hotelentrees, Kreuzfahrtschiffe, Möbel, Kunstobjekte, Leuchten und Baupläne auf das winter- und lockdownmüde Gemüt haben, ist erstaunlich: Das erfrischt alles ungemein.
Übrigens auch, weil das gezeigte Italien so erfrischend anders wirkt, weil das Land mal fortschrittlich und selbstbewusst in die Zukunft eilte. Das schwere Buch jedenfalls fühlt sich ganz leicht an, und das ist, wenn man so möchte, Pontis letztes großes Meisterstück: Dass die Abbilder seiner Bauten, Projekte und Pläne sechs Kilo Papier und Karton zum Schweben bringen. Gut, der Berliner Artdirector Karl Kolbitz, der diese Sammlung so detailreich und elegant aufbereitete, hat sicher auch etwas damit zu tun. Der Betrachter flaniert also mit diesem Werk durch einige der dekorativsten Aspekte des 20. Jahrhunderts, es quellen ihm so viel Schöpfungsfreude, Technikbegeisterung und gesammelte Kunstgeschichte entgegen, so viele Capri-Farben und so viel aufgeklärtes Bürgertum, dazu die unterschiedlichsten Definitionen von Moderne, dass er sich für die Zeit der Lektüre und noch eine ganze Weile danach italophil und tief europäisch bewegt fühlt.
Wer war dieser Gio Ponti, dieser Super-Urheber und Ober-Maestro? Leichter zu sagen ist, was er nicht war: Bauhäusler zum Beispiel oder Purist, wie seine Zeitgenossen Le Corbusier und Walter Gropius. Deren Strenge fand er interessant, sie war ihm aber auch zu langweilig und die Predigt vom Purismus einfach zu engstirnig, als dass sich darin wirklich die Weisheit einer neuen Formgebung verstecken könnte. Nein, er wusste zeit seines Lebens immer beides zu schätzen: klare Struktur und dekoratives Element. Es schien ihm ganz gegen die menschliche Natur, dass nur eines davon richtig sein sollte. So war er, der begnadete Zeichner, immer auch ein Meister der veredelten Oberfläche, und gerade diese Meisterschaft lässt ihn heute so unheimlich trendbewusst erscheinen. Man denke nur an seine variationsreichen blau-weißen Kacheln im Parco dei Principi Hotel in Sorrent, seine unterhaltsamen Fassadengestaltungen. Ponti malte Fresken, mischte wildfarbige Bodenbeläge oder verpasste Leuchten einen Stern als Wandabdeckung. Also total instagramable! Unakademisch ausgedrückt war seine Gestaltungsphilosophie eigentlich ganz simpel: Langweile nicht.
Auch wenn Ponti heute generell als Wegweiser der Moderne deklariert wird, greift das nicht wirklich, wie dieses Buch beweist. Es ist nur die weiteste Klammer, die man öffnen kann. Näher an der Wahrheit ist vielleicht: Ponti wollte überhaupt keine Archetypen und Stilschulen entwickeln und auf diese Weise andere zur wahren Form anhalten. Eher ging es ihm bei seinen Arbeiten um das, was man heute Flow nennen würde. Den haben seine Gebäude und Interieurs ohne Zweifel, wenn auch nicht immer so auffällig wie sein berühmtestes Bauwerk, das Pirelli-Hochhaus in Mailand. Das ist ja Flow pur, mit seiner stromlinienförmigen, gequetschten Grundform, dem schwebenden Dach und der genialen Konstruktion, die die Büroetagen ganz ohne Stützpfeiler auskommen ließ. Es ist damit bis heute eines der schönsten, lässigsten Hochhäuser Europas. Der "Pirellone" machte Ponti für Dekaden zum einzigen italienischen Architekten von Weltrang. Es bescherte ihm eine Menge Folgeaufträge auf der ganzen Welt - Regierungsgebäude im Irak, Museumsbauten, Kathedralen oder Kaufhäuser. Ponti plante, zeichnete und baute. Nebenbei entwarf er mal eine Kaffeemaschine für Pavoni, quasi als Aufenthaltsort der italienische Seele, mal seinen Superleggera-Stuhl, der bis heute Maßstäbe in Sachen Leichtbau und Eleganz setzt. Und wenn man ihn partout nur mit der Moderne verknüpfen möchte, dann vielleicht so: Er fand immer die menschlichste Moderne von allen.
Eindrucksvollen Flow muss Herr Ponti übrigens auch in seiner Persönlichkeit ausgedrückt haben. Menschen, die ihn kannten, beschreiben ihn als stets schlagfertigen, funkensprühenden Universalkreativen, einen Professor, der niemals lehrte, sondern immer begeisterte. Besonders eindrücklich hat sich diese Persönlichkeit in seinen Zeitschriften niedergeschlagen, denn er war ja auch noch ein begnadeter Verleger, Grafiker und Redakteur. Die Magazine für Wohnkultur, erst Domus und dann Stile, die er schon früh kuratierte, betrachtete er vor allem als Gelegenheit, seine Interessen mit anderen zu teilen. Ponti hatte erkannt, dass die Zukunft der Architektur auch in der Kommunikation liegen würde, und machte es mit seinen kunstvollen Heftausgaben vor, in denen er schon in den 1920er-Jahren eine eklektische Themenmischung platzierte: Es ging da bereits um Messen und Kunstausstellungen, um Werbegrafiken und Schiffsbau oder das neue Genre der Kunstfotografie.
Heute würde Ponti bloggen und twittern. Damals schrieb, zeichnete und editierte er, er forderte und förderte talentierte Zeitgenossen, brachte sich und andere ins Gespräch und wollte, dass seine Klientel - gehobenes Bürgertum, aus dem er selbst stammte, sein Onkel war sogar Bürgermeister von Mailand gewesen - durch die Lektüre seiner Magazine aktiv an den Veränderungen der modernen Welt teilnahm. Die vielleicht schönste Erkenntnis für den Betrachter von heute: Es war für Ponti ganz selbstverständlich, dass Künstler diese Veränderung vorantreiben mussten.