Traditionsmarke Hunter:Erweiterung der Gummizone

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Hunter Boots sind immer noch handgefertigt, aus 28 verschiedenen Teilen, die ausgeschnitten und dann innerhalb von drei Tagen zusammengesetzt werden. Das erklärt, warum der Klassiker nicht unter 125 Euro zu haben ist. (Foto: N/A)

Bislang kannte man ihn vor allem als Ehemann einer bekannten Designerin. Jetzt macht Kreativdirektor Alasdhair Willis die berühmte Gummistiefel-Marke Hunter eine Nummer größer.

Von Silke Wichert

Klar muss jetzt erst mal übers Wetter geredet werden. Schließlich sind wir in London, da ist das Thema ergiebig. Vor allem aber sitzt einem der Mann gegenüber, der ganz tief in der Materie drinsteckt, knietief, um genau zu sein: Alasdhair Willis ist seit drei Jahren der Kreativdirektor von Hunter, der bekanntesten Gummistiefel-Marke der Welt.

Das Unternehmen gehört seit 160 Jahren zum britischen Modeerbe, die berühmten Wellington Boots mit der Schnalle am Schaft werden von Queen Elizabeth bis Kate Moss getragen, kein Kind auf der Insel, das nicht irgendwann in "Hunters" durch Pfützen gerannt ist.

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Bekannt als Ehemann

Ob es heute noch regnen wird? Willis schaut aus dem Fenster, hellgrauer Nachmittagshimmel, schwaches Lüftchen. "Gut möglich", sagt er. Erst vor ein paar Tagen hat es hier richtig gekracht, es regnete stark, zeitweise musste sogar der Heathrow Express den Betrieb einstellen. "Unsere vier Kinder wurden alle aus dem Schlaf gerissen", erzählt Willis, "die Straßen waren regelrecht überflutet." Überflüssig zu fragen, mit welchem Schuhwerk sie wohl am nächsten Morgen das Haus verlassen haben.

Der Engländer Alasdhair Willis ist kein Unbekannter in der Modebranche, was allerdings weniger an ihm, sondern vielmehr an seiner Frau liegt: Stella McCartney, Designerin mit großem Namen, längst auch mit großem Erfolg. Ein Bild von ihr steht in einem silbernen Jugendstil-Rahmen auf seinem Schreibtisch im Firmensitz von Hunter nahe dem Hyde Park.

Willis war stets der gut aussehende Mann an ihrer Seite. Bei den Modenschauen in der Pariser Oper sitzt er mit den Kindern, manchmal plus Schwiegervater, in der ersten Reihe, auch bei den Kollektionspräsentationen für ihre Adidas-Linie in London sah man "Mr. McCartney" häufig. Meist saß er jedoch irgendwo abseits, beobachtete die Szenerie und hielt sich ans vegetarische Buffet.

Keine Lust mehr auf Schattendasein

Nicht, dass er keine eigene Karriere gehabt hätte: Willis war in den Neunzigern Mitbegründer des Wallpaper-Magazins, später brachte er die Möbelmarke Established & Sons groß raus und beriet David Beckham, das Auktionshaus Christie's oder Adidas. Doch bislang blieb der 46-Jährige lieber im Hintergrund. Bei Hunter ist er nun plötzlich das Aushängeschild, neulich ließ er sich für ein Hochglanzmagazin mit einer Ladung Spritzwasser im Gesicht fotografieren. Keine Lust mehr auf Schattendasein?

"Eigentlich mochte ich die Anonymität und habe viele Angebote abgelehnt, weil ich nicht in Erscheinung treten wollte", sagt Willis. Aber bei Hunter sei die Versuchung einfach zu groß gewesen. Schon seine eigene Kindheit in Yorkshire ist untrennbar mit dem Hineinschlüpfen in diesen Gummischaft verbunden. "Die Kunden haben eine unglaublich emotionale Bindung zu der Marke. Und alles basiert nur auf einem einzigen Produkt - einem Gummistiefel!"

Da geht in Sachen Diversifikation natürlich noch einiges. Wer gern trockene Füße hat, will vielleicht auch am Körper nicht klatschnass werden. Was ist mit wasserdichten Rucksäcken? Regenschirmen? Hunter hat sein Angebot sukzessive erweitert, diesen Herbst führte Willis außerdem das neue "Core Concept" ein: Regenmäntel, Windbreaker, Vinyl-Ponchos in Knallfarben, Stiefelstrümpfe, gummierte Rucksäcke.

"Wir fangen jetzt nicht an, Abendgarderobe zu entwerfen", sagt Willis. "Die DNA muss immer dieselbe sein wie beim Original: regenfest, perfekt verarbeitet, klar im Design." 2015 stiegen die Umsätze um 19 Prozent, in Deutschland haben sich die Verkäufe zuletzt mehr als verdoppelt.

Dabei ist Alasdhair Willis keineswegs gelernter Designer. Er studierte Kunst am University College in London, zwei seiner Arbeiten hängen bei ihm im Büro, Bilder über einen Telefonanruf in Rom. Eine Anspielung auf das Ende einer früheren Beziehung, wie sich herausstellt. Sein Thema schon damals: Kommunikation.

Willis hat nicht nur ein gutes Auge, er weiß vor allem, wie man die Leute anspricht. Kennt er den deutschen Ausdruck: Es gibt kein schlechtes Wetter, nur die falsche Kleidung? Willis lächelt gequält. Der neue Slogan von Hunter lautet: "Rain starts play." Regen an, Spiel ab. Klingt nach mehr Spaß, weniger didaktisch. Tatsächlich sei er jetzt immer ein bisschen aufgeregt, wenn es anfängt zu regnen, sagt Willis.

Vom Funktionsprodukt zum Fashion-Statement

Von Oktober an herrscht verlässlich Hochsaison in den Läden, doch erstaunlicherweise schießen die Verkäufe auch im Sommer sprunghaft nach oben. Seit Kate Moss 2005 in Hotpants und schwarzen Wellington Boots beim Glastonbury-Open-Air durch den Matsch lief, sind die Wiesen des Festivals Hunter-Terrain. Von einem Tag auf den anderen waren die Stiefel nicht mehr nur Funktionskleidung, sondern Fashion-Statement. Im selben Jahr war Angelina Jolie in einer Szene des Films "Mr. und Mrs. Smith" mit einem Paar zu nichts als einem weißen Hemd zu sehen. Dass Gummistiefel sexy sein könnten - vorher undenkbar.

Nebenbei halten sie auch tatsächlich trocken. Hunter Boots sind immer noch handgefertigt, aus 28 verschiedenen Teilen, die ausgeschnitten und dann innerhalb von drei Tagen zusammengesetzt werden. Das erklärt, warum der Klassiker nicht unter 125 Euro zu haben ist.

Bliebe noch eine wesentliche Frage: Was sagt Frau McCartney zur Konkurrenz im eigenen Haus? Willis winkt ab, kein Problem, die Produkte seien ja ganz verschieden. "Wir versuchen zu Hause sowieso so wenig wie möglich übers Geschäft zu reden." Aber natürlich beraten sie sich gegenseitig. Stella McCartney hat gerade ihre erste Herrenkollektion herausgebracht, da war der eigene Ehemann der perfekte Prototyp.

Auch bei Hunter haben sie vor allem bei den Männern Nachholbedarf. Frauen greifen viel eher zu Gummistiefeln, manche von ihnen tragen sie schon bei minimaler Regenwahrscheinlichkeit, einfach so, als Stiefel zu Leggings oder mit der schmalen Jeans im Schaft.

Männer hingegen schlüpfen, wenn überhaupt, eher auf dem Land oder bei der Gartenarbeit in die "Field Boots" von Hunter, Modelle mit Profilsohle. In der Stadt wüssten viele von ihnen einfach nicht, wie sie sie kombinieren sollten, sagt Willis. Nämlich? "Na, mit der Hose im Schaft natürlich!", antwortet er entschieden. Hose über Gummistiefel, offensichtlich eine geradezu absurde Vorstellung.

© SZ vom 10.12.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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