Existenzkampf in der zweiten Liga:Grausam und unkalkulierbar

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Mit Manschette im Abstiegskampf: St. Paulis Trainer Ewald Lienen. (Foto: dpa)
  • Im Abstiegskampf der zweiten Liga macht sich Panik breit - angesichts der finanziellen Einbußen im Falle eines Abstiegs kein Wunder.
  • St.-Pauli-Trainer Ewald Lienen bricht sich die Hand, der FSV Frankfurt wirft den Trainer raus, der VfR Aalen zieht vors Schiedsgericht.
  • Hier geht es zur Tabelle der zweiten Liga.

Von Philipp Selldorf, Frankfurt

"Fakt ist, dass wir auch de facto reingeraten sind in die Abstiegszone", fasste Benno Möhlmann die in der Tat nicht zu leugnenden Tatsachen des Tages zusammen. Und dann teilte er noch mit, was Trainer in so einer plötzlich äußerst unguten Situation oft zu verbreiten pflegen: dass man es aber "nach wie vor in eigener Hand" habe, und "dass wir in der nächsten Woche weiterarbeiten werden, um die Situation positiv zu gestalten". Fakt ist jedoch, dass Möhlmann am Montag de facto nicht mehr der Trainer des FSV Frankfurt war, weshalb er auch nicht mehr mit der Mannschaft weiterarbeiten darf, die am Sonntag beim 1:3 gegen Union Berlin zum elften Mal hintereinander nicht gewinnen konnte und deshalb auf den drittletzten Platz in der zweiten Liga abgerutscht ist.

Möhlmanns 501. Spiel als Zweitligatrainer bleibt vorerst das letzte, das Frankfurter Saisonfinale am Sonntag bei Fortuna Düsseldorf wird Tomas Oral dirigieren, der am Sonntag bereits als Tribünengast zugegen war. Auch der Sportdirektor Uwe Stöver musste auf Geheiß der Vereinsführung seinen Abschied nehmen. "Man könnte das auch als Panikaktion bezeichnen", bewertete die Frankfurter Rundschau den äußerst kurzfristigen Eingriff.

"Alle Klubs wehren sich mit Händen und Füßen"

Panik ist allerdings niemandem zu verdenken, der einen Zweitligaklub am Rande der Drittklassigkeit zu lenken hat und das Unheil kommen sieht. Allein der Unterschied bei den Fernseheinnahmen zwischen zweiter und dritter Liga hat - nicht nur für kleine Klubs wie den FSV Frankfurt - existenzielle Bedeutung. Grob überschlagen, gab es in der zweiten Liga zuletzt mindestens sechs Millionen Euro pro Klub aus der TV-Vermarktung, in der dritten Liga waren es nur 750 000 Euro. Mit jenen 5,2 Millionen, die den Graben zwischen beiden Klassen bilden, ließe sich ein kompletter Spielerkader unterhalten, der SV Darmstadt 98 gibt dazu gerade ein leuchtendes Beispiel; der Klub war erst vorigen Sommer in die zweite Liga aufgestiegen und steht nun vor dem Aufstieg in die erste.

Umgekehrt fällt es schwer, das Budget nach jahrelanger Zweitligazugehörigkeit so zurückzustutzen, damit wirtschaftliches und sportliches Überleben gelingen können. Der Präsident des am Wochenende de facto aus der zweiten Liga abgestiegenen VfR Aalen erklärte angesichts von Einnahmeausfall und Verbandsauflagen, die dritte Liga sei "nicht finanzierbar". Allerdings hat Aalen ohnehin Geldprobleme, weshalb die DFL für die laufende Saison strafhalber dem Tabellenkonto zwei Punkte entnommen hat. Zwar hat der VfR nun das Schiedsgericht angerufen, aber die Erfolgsaussichten gelten als gering. Es droht sogar der Fall in die Regionalliga.

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Der Abstiegskampf in der zweiten Liga ist mindestens so grausam und so unkalkulierbar wie der Abstiegskampf in der ersten Liga. Sechs beteiligte Klubs nehmen am letzten Spieltag an der Reise nach Jerusalem teil, zwei werden keinen rettenden Platz finden. Qualitativ ist es ein besonders hochwertiger Abstiegskampf, "alle sind hoch motiviert und in Top-Form", hat Ewald Lienen am Wochenende feststellen müssen. Unter seiner erfahrenen Regie hat der FC St. Pauli zuletzt von sieben Spielen fünf gewonnen - und muss trotzdem das Ärgste befürchten, wenn er sich zum finalen Match in Darmstadt versammelt.

Unter gewöhnlichen Umständen wäre die Ewald-Lienen-Story in Hamburg eine rührende Erfolgsgeschichte: Beim Klub, für den er eigentlich immer schon bestimmt war, hat er sich in allen Belangen bewährt, Lienen arbeitet erfolgreich und praktiziert symbiotische Übereinstimmung mit den Klub-Idealen. Den Fans gefällt es, dass er ihre Treffen und Feste besucht und auch dann nicht davonläuft, wenn dort die alte Hamburger Anarchopunk-Band Slime aufspielt.

Beim Coachen der Profis hat sich der 61-Jährige den Arm gebrochen und ist gleich nach der OP auf den Trainingsplatz zurückgekehrt, aber am Sonntag nach dem 5:1 gegen Bochum hat Lienen dann erleben müssen, dass all sein Einsatz an Grenzen stößt, solange die Konkurrenz so viel Glück hat wie 1860 München beim 2:1 gegen Nürnberg, das unter seltsamer Beihilfe des Schiedsrichters zustande kam. Kleiner Trost: Auch die Löwen müssen am letzten Spieltag bei einem Aufstiegsanwärter - dem Karlsruher SC - antreten.

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Verschwörungstheorien wurden aus Hamburg wegen der Münchner Vorkommnisse jedoch nicht laut. "Genauso wie wir wehren sich auch alle anderen mit Händen und Füßen", sagt Lienen. Der FC St. Pauli ist seit dem Winter eingestellt auf den möglichen Sturz in die dritte Liga, er könnte die Belastungen verkraften. Die meisten Spielerverträge gelten nicht mehr im Abstiegsfall, zuletzt hat der solide gewordene Verein fünf Jahre lang schwarze Zahlen geschrieben, sein neues Stadion ließe sich auch in der dritten Liga bewirtschaften.

In Frankfurt beim FSV hatte man sich indessen eines sorglosen Winters und eines sorglosen Frühjahrs erfreut, der Klub galt vor zwei Monaten bereits als gerettet, mit dem nun eingetretenen Unheil habe ja keiner gerechnet, sagte Möhlmann am Sonntag. Keiner - außer ihm: "Ich habe immer darauf hingewiesen, dass es sinnvoll wäre, die nötigen 40 Punkte möglichst bald zu sammeln." Keiner hörte ihn, und als der 60-Jährige vor knapp vier Wochen nach einer weiteren Niederlage drohend seinen Rücktritt in Aussicht stellte, wies das Management diesen Gedanken gleich zurück. Im Winter, in besseren Zeiten, hatte Möhlmann den Vertrag bis 2016 verlängert. Nun hat der Verein andere Fakten geschaffen.

© SZ vom 19.05.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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