Zum Schluss mied er seine Freunde, seine Fans. Seinen Verwandten machte Tito Vilanova vor, alles werde gut, als wollte er sie nicht leiden sehen an seinem Leid. Obschon man es ihm ansah, wenn er sich doch einmal im Stadion zeigte, im Camp Nou, oder in einem Restaurant mit seiner Frau, dass es wohl nie mehr gut werden würde. Nun ist der frühere Trainer des FC Barcelona und ehemalige Vize von Pep Guardiola zu Zeiten des "größten Barça der Geschichte" mit 45 Jahren an Krebs gestorben.
Durch die spanische Sportwelt zieht sich eine einzige große Hommage an diesen geraden, geerdeten und geschätzten "Marqués" aus dem Hinterland der katalanischen Stadt Girona. So, der Marquis also, nannten sie Vilanova, als er noch aktiv Fußball spielte. Er war Mittelfeldspieler, ein eleganter mit Hang zur Technik. Doch zur ganz großen Karriere reichte es ihm nicht, auch wegen kleinerer Ungerechtigkeiten, die den Weg vieler säumen.
Mit 14 trat Vilanova in die Masia ein, Barças Fußballakademie - als "residente". Er wohnte also im Klub, und der Klub sorgte sowohl für die fußballerische wie die schulische Ausbildung. Auch Pep aus Santpedor war damals "residente", ebenfalls Mittelfeldspieler. Sie wurden enge Freunde, spielten auch im B-Team Barças noch zusammen, der Vorstufe zur Glorie. Pep schaffte den letzten Aufstieg, Tito scheiterte. Es stand ihm ein junger Holländer vor dem Licht, Danny Muller, von dem es hieß, er sei nur zu Ehren gekommen, weil er der Verlobte von Johan Cruyffs Tochter Chantal gewesen sei. Cruyff war damals Trainer in Barcelona.
Vilanova spielte später drei Jahre für Celta Vigo in der Primera División, der restliche Parcours führte ihn durch die Welt der spanischen Fußballprovinz: Badajoz, Mallorca, Lleida, Elche, Gramanet.
Der Wechsel ins Traineramt fiel ihm entsprechend leicht. 2002 kehrte Vilanova zurück zu Barça und übernahm die Ausbildung der 14-Jährigen der Masia. Und jener Jahrgang hatte es in sich: Leo Messi war dabei, Gerard Piqué und Cesc Fabregas. Als man Pep Guardiola 2007 die Verantwortung des Nachwuchsteams anvertraute, die in der vierten Liga dämmerte, wünschte der sich seinen alten Freund Tito als "Segundo", als Assistenztrainer.
Die beiden führten Barça B eine Liga höher und wurden gleich befördert - völlig überraschend. Viele Fans dünkte die Promotion des jungen und noch unerfahrenen Guardiola zum Cheftrainer ein kopfloses Wagnis. Es sollte anders kommen, die Ära 2008 bis 2012 wandelte sich zur goldenen für Barça mit ihren 14 Titeln und den tausend Elogen.
Vilanova stand zwar immer im Schatten seines charismatischen Freundes, der da am Spielfeldrand eine so gute Figur machte und der die Spieler motivieren konnte. Er aber war der analytische Kopf des Duos. Man sagte auch, er sei "mehr Pepist als Pep selber" - oder anders: Die Spielphilosophie Guardiolas war jene Vilanovas, sie prägten sie zusammen, Vilanova war noch einen Tick radikaler. Guardiola ließ den "Segundo" auch oft Interviews geben, weil der sehr genau und geduldig erklären konnte, warum nun wer wo und wie spielte.
Als dann Pep 2012 aufhörte, berief die Vereinsleitung über Nacht den "Segundo" zum Nachfolger. Man wollte die Lebensdauer des gefeierten Modells verlängern, mit einem ihrer Urheber. Wahrscheinlich kränkte diese schnelle Nominierung Guardiola, wahrscheinlich hätte er sich gewünscht, dass sein abrupter Abgang noch etwas nachhallt.
Bei der Vorstellung verkündete der Vorstand, Vilanova sei auch wieder ganz genesen. Ein halbes Jahr davor hatten die Ärzte den Tumor an der Ohrspeicheldrüse entdeckt und operiert. Man sprach nicht mehr davon. Doch dann, im Dezember seines ersten Amtsjahres, erlitt Vilanova einen Rückfall, musste wieder operiert werden und ging zur Kur nach New York, in jene Stadt also, in der Guardiola mit seiner Familie das Sabbatical beging.
Tipps am Telefon
Später hieß es, die beiden hätten sich während all der Wochen nicht einmal gesehen. In der katalanischen Presse, die viel Anteil nahm an Vilanovas Krebsleiden, erfuhr Guardiola dafür viel Kritik, die er wiederum für unfair und "politisch" motiviert hielt.
Die Barça-Spiele sah Vilanova sich in New York am Fernseher an - und rief seinen Stellvertreter Jordi Roura auf dem Handy an, um ihm taktische Anweisungen zu geben, Tipps für die opportunen Auswechslungen auch.
Technische Sitzungen liefen über Skype. Als er zurückkam, trug er ein Tuch, das seinen Hals vollständig deckte, schien aber wieder recht guter Dinge zu sein, machte allen Mut. Und gewann die Meisterschaft mit rekordhohen 100 Punkten.
Dennoch: Das Team war müde, das Modell ausgefranst. Die beiden Niederlagen gegen den FC Bayern im Halbfinale der Champions League, dieses 0:7 insgesamt, deuteten den Niedergang an.
Im Sommer dann erkrankte Vilanova erneut und gab auf. Er wolle sich dem Kampf gegen den Krebs widmen, sagte er, ganz privat. Mit Guardiola traf er sich, legte die Missverständnisse bei. Ohne Medien, ohne Show. Sie war nicht nötig, es blieb so wenig Zeit. Der "Segundo" stand immer für einen schönen Teil des einzigartigen Erfolgs, den Guardiola feierte.
In Peps Barça steckte viel Tito.