Würzburger Kickers:Ein Hauch von Hollerbach

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Lob der Leidenschaft: Die Kickers mit (v.l.) Hendrik Hansen, Nzuzi Toko und Dominic Baumann lieferten Fürth ein Kampfspiel. (Foto: Adam Pretty/Getty Images)

Die Würzburger gehen die ersten 90 Minuten nach Schiele pragmatisch an und lassen erahnen, wie der neue Trainer Antwerpen Fußball spielen lassen will.

Von Sebastian Leisgang

Das konnte wirklich nicht sein. Wer am Sonntagmittag auf der Tribüne des Würzburger Stadions saß, hatte beste Sicht und konnte deshalb ohne Probleme erkennen: dass unten ein Mann am Spielfeldrand stand, den man da zwar schon mal gesehen hatte, es war ein Mann, der schon eine ganze Weile nicht mehr da gewesen war - der Mann konnte aber beim schlechtesten Willen nicht derjenige sein, den man an dieser Stelle erwarten würde, wenn man das Spiel seiner Mannschaft beobachtete. Der Mann ruderte ab und zu mit den Armen und brüllte herum, und als er nach dem Spiel über den Auftritt seiner Elf sprach, da lobte er sie für ihren Einsatz, ihre Leidenschaft und ihre Arbeit gegen den Ball "auf verschiedenen Höhen". Dass seine Mannschaft fußballerisch unterlegen war, das sei "selbstverständlich".

Moment. Kennt man solche Töne nicht in Würzburg?

Nein, die Kickers haben Bernd Hollerbach nicht zurückgeholt. Als sie ihrem Trainer Michael Schiele zu Beginn der Woche offenbarten, dass er von nun an der ehemalige Trainer ist, da gaben die Kickers auch bekannt, wie der neue Mann heißt: Marco Antwerpen, 48, zuletzt bei Eintracht Braunschweig im Amt und nun in Würzburg mit dem Auftrag betraut, die Kickers vor jenem Schicksal zu bewahren, vor dem sie Hollerbach vor drei Jahren nicht bewahrt hat: dem Abstieg aus der zweiten Liga.

Beim 2:2 gegen Greuther Fürth stand also dieser Antwerpen am Spielfeldrand und durfte sich jener Vorzüge erfreuen, die Würzburg schon zu Hollerbachs Zeiten auszeichneten: Zweikampfhärte und einer guten Organisation. Damit kein falscher Eindruck entsteht: Es war nicht so, dass sich die Kickers an ihrem Strafraum verbarrikadierten, aber eines war das Würzburger Spiel in erster Linie eben schon - darauf angelegt, nach Möglichkeit ein Tor weniger zu kassieren als der Gegner.

Und vorne? Half erst ein Sonntagsschuss von Robert Herrmann nach nur 90 Sekunden, dann ein Elfmeter von Dominic Baumann. Wer da vorne in Zukunft auch noch helfen könnte, wäre Mitja Lotric, 26, der aus der höchsten Spielklasse Sloweniens nach Würzburg kommt. Wer den Kickers vorne eher nicht mehr helfen dürfte, ist Luca Pfeiffer, der unmittelbar vor einem Wechsel zum FC Midtjylland steht. Sollte der Transfer zum dänischen Meister tatsächlich über die Bühne gehen, so spielt Pfeiffer bald in der Champions League - gegen den FC Liverpool, Ajax Amsterdam und Atalanta Bergamo. Eine Bühne, auf der die Kickers, wenn es nach Felix Magath geht, irgendwann auch mal stehen sollen.

Vor ein paar Wochen hatte Investorenberater Magath den Europapokal als sehr fernes Fernziel ausgegeben, die derzeitige Realität heißt allerdings: Abstiegskampf in Liga zwei. Diesen zumindest nahmen die Kickers am Sonntag an. Sie spielten leidenschaftlich und forsch, zur Halbzeit stand es aber 1:1 nach Branimir Hrgotas Tor.

Dass das Spiel Erinnerungen an Hollerbach hervorrief, lag nicht zuletzt an der Schlusspointe: Maximilian Bauer traf in der Nachspielzeit nach einer Ecke zum 2:2. Und späte Gegentore - auch das kennen die Leute ja aus der Saison 2016/17, als die Kickers in der gesamten Rückrunde sieglos geblieben sind.

Am Tag nach dem Abstieg trat Hollerbach ab, und nach dem Missverständnis mit Stephan Schmidt kam schließlich Schiele, der nun gehen musste. Sein Aus sorgte im Umfeld für eine Menge Unmut, und deshalb war gegen Fürth ja auch das eine Frage, die sich vor dem Spiel gestellt hatte: Wie würden die Fans reagieren? Würden sie pfeifen? Würden sie Schiele besingen, obwohl da unten am Spielfeldrand ja längst der Mann stand, der später vor allem über die Arbeit gegen den Ball sprach?

Nur 1877 Zuschauer waren gekommen, obwohl die Behörden deren 2600 zugelassen hatten. Die erschienenen Fans pfiffen nicht. Sie besangen auch nicht Schiele, sie warfen den Verantwortlichen aber erst mit einem Spruchband vor, ihre Befindlichkeiten über das Vereinswohl zu stellen - dann flüchteten sie sich in Häme und skandierten: "Europapokal, Europapokal".

© SZ vom 05.10.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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