WM-Tagebuch "Blog do Brasil":Singen ausdrücklich erlaubt!

Lesezeit: 1 min

Brasilianische Fans, durchaus stimmgewaltig. (Foto: Getty Images)

Fußballfans im Personennahverkehr sind häufig ein Ärgernis, sie erschrecken Rentner und Kinder, und sie tun auch der Musik als solcher keinen Gefallen. Anders in Rio de Janeiro: Dort klingen schon die Namen der U-Bahn-Stationen nach Oper. Was SZ-Reporter bei der WM erleben.

Von Claudio Catuogno, Rio de Janeiro

Die U-Bahn-Züge in Rio de Janeiro sind innen mit Aluminiumblechen verkleidet, man kann sie hervorragend als Trommel benutzen. Wenn man mit dem Handballen dagegen schlägt, gibt es ein schepperndes Geräusch. Die Argentinier sind an der Station Botafogo eingestiegen, sie haben eine hellblau-weiße Fahne und ungefähr einhundert Handballen dabei. Die Fahne spannen sie quer durch den Waggon, damit geht es los.

Es dauert dann nicht lange, bis man sich nicht mehr sicher ist, was hier genau den Takt schlägt, ob das noch das Trommeln gegen die U-Bahn ist oder schon die U-Bahn selbst, die jetzt langsam in Richtung Maracanã hüpft. Das ist aber auch egal. Denn die Argentinier haben auch noch ungefähr fünfzig Kehlen und hundert Stimmbänder dabei.

Singende Fußballfans im öffentlichen Personennahverkehr sind häufig ein Ärgernis, sie erschrecken Rentner und kleine Kinder, und sie tun auch der Musik als solcher keinen Gefallen. Wer zum Beispiel einmal mit einer Horde Hertha-Fans in einer Berliner S-Bahn unterwegs zum Olympiastadion war, fragt sich unweigerlich, was man als erstes verbieten müsste, die Berliner S-Bahn, die Hertha oder das Singen.

In Rio klingen schon die Namen der U-Bahn-Stationen nach Oper. Bei Flamengo besingen die Argentinier die Schönheit der argentinischen Prärie, bei Largo do Machado besingen sie das liebliche Buenos Aires, bei Glória besingen sie die saftigen argentinischen Steaks, bei Cinelândia besingen sie die Kraft der argentinischen Literatur, bei Carioca besingen sie den gottgleichen Diego Maradona, bei Uruguaiana besingen sie Lionel Messi. Zumindest das mit Maradona und Messi kann man mit Gewissheit sagen. Das mit der Prärie und den saftigen Steaks und so stellt man sich aber womöglich auch nur vor.

Frage an einen, der Spanisch versteht: Was singen die denn da?

"Was sie immer singen."

Tod den Engländern. Dass irgendwer schwul ist. Dass man Chile in die Luft sprengen soll.

Die U-Bahn hüpft durch die Station São Cristóvão. Die Argentinier singen. Manchmal ist die Musik einfach stärker als das Wort.

© SZ vom 18.06.2014 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: