WM-Tagebuch "Blog do Brasil":Mit der Gondel ins Stadion schippern

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Schwerstarbeit in Recife, auch für diesen Autofahrer. (Foto: dpa)

Ein Stadion im Wasser, die Fans kommen mit dem Schiff - wäre das nix für Sepp Blatter? Recife, der Austragungsort des deutschen Wasserspiels gegen die USA, muss viel Spott ertragen. Was SZ-Reporter bei der WM erleben.

Von Thomas Hummel, Recife

Einmal mit der Gondel zum Stadion zu fahren. Vorbei schippern an bunten Häusern, an Wäldern und Seen, den Vögeln bei ihrem Gesang zuhören, die Stille des Bootfahrens genießen. Dieser Gedanke sollte eigentlich Sepp Blatter zugetragen werden. Es wäre mal was Neues für seine Hochglanz-Veranstaltung namens Fußball-Weltmeisterschaft. Diese First-Class-Tempel mit Rasen sind ja gut und schön, inzwischen aber auch profan normal.

Die sehr wichtigen Menschen auf dieser Welt brauchen neue Anreize, Attraktionen, sonst kommen sie vielleicht nicht mehr. Und das möge Gott verhindern. Besser gesagt Sepp und seine Entourage. Also Vorschlag: Ein Stadion im Wasser, die Leute kommen mit dem Schiff. Natürlich werden dort Sektgläschen und Erdbeeren gereicht. Vielleicht lässt sich für Katar 2022 ja noch was machen. Wobei: Am Donnerstag wäre es schon fast soweit gewesen. Wer in Recife am Morgen aus dem Fenster sah, der erkannte seine Umgebung kaum mehr. Da war doch gestern noch eine Straße...

Aus Straßen werden kleine Seen

Es schüttete so dermaßen, dass die örtliche Kanalisation dem Wasserdruck bei weitem nicht standhielt. Ergebnis war, dass aus Straßen Flüsse wurden, bisweilen auch kleine Seen. Das betraf nicht nur Nebenstraßen, sondern auch Hauptverkehrswege. Aus manchen Häusern gingen die Menschen barfuß, weil das Wasser bis zum Knöchel stand. Autos gerieten so tief in die Fluten, dass sie stehenblieben.

Für Touristen und Fußballfans geriet die Anreise zum WM-Spiel Deutschland gegen die USA zu einem großen Abenteuer. Manch einer kam so nass im Stadion an, als wäre er von der Gondel gefallen. Da aber trotz des Regens an die 30 Grad Celsius herrschten, ging es bald direkt zum Schwitzen über. Außen nass plus innen nass ergab am Ende vermutlich trocken.

Doch wie sollte man da Fußball spielen? Selbst die Spieler gaben später zu, dass sie fürchteten, die Partie könne nicht stattfinden. Es stellte sich aber heraus, dass die Drainage in der Arena Pernambuco wesentlich besser funktionierte, als jene in der Stadt Recife. Was wiederum ein Grund war, warum die Brasilianer das alles überhaupt nicht lustig fanden.

Die Welt lacht über Recife

Es ist Regenzeit im Nordosten des Landes, und Recife wird wegen seiner vielen Brücken und Buchten das Venedig Brasiliens genannt. Alles schön und gut, dennoch fühlen sich viele Heimische vor den Augen der Welt bloßgestellt. Endlich sind die Gäste da, Kameras senden Bilder über den Globus. Und dann führt ein schwerer aber nicht ungewöhnlicher Regen dazu, dass die Welt über Recife lacht. "Das ist der Grund, warum 70 Prozent der Brasilianer die WM nicht so toll finden", erklärte einer. Das Land habe so viele Probleme, das Geld aber werde für First-Class-Stadien verwendet, in denen auch nach 20 Tagen Dauerregen noch trockenen Fußes gegen den Ball getreten werden könne.

Die Zeitung Jornal do Commercio schrieb: "Die Naturkatastrophe - die keine war - korrespondiert mit unserer Katastrophe in Bürokratie und Politik." Sie klagte an, dass längst versprochen wurde, das Problem der Kanalisation zu lösen, doch bislang nichts geschehen sei. Am Freitag, so viel zur Beruhigung, schien wieder die Sonne über Recife. Die Straßen waren trocken, das Leben verlief wieder in gewohnten Bahnen. Die Gondoliere müssen wohl auf Katar warten, bis sie bei einer WM zum Einsatz kommen dürfen. Mindestens.

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