WM-Quali:Italien besingt den Abstieg von Buffon

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Am Ball vorbeigehechtet: Italiens Torwart-Legende Gigi Buffon bei der 0:3-Niederlage in der WM-Qualifikation gegen Spanien. (Foto: Claudio Villa/Getty Images)
  • Nach dem 0:3 gegen Spanien ist die direkte WM-Qualifikation für Italien in Gefahr.
  • Selbst Nationalhelden wie Tormann Gigi Buffon werden hart kritisiert.
  • Teamchef Gian Piero Ventura fehlt es an internationaler Erfahrung. Außerdem ersetzt er in der Defensive die Dreierkette durch eine Viererabwehr.

Von Birgit Schönau, Rom

Gigi Buffon ist nicht nur seit fast 20 Jahren Torwart der Squadra Azzurra und seit sieben Jahren ihr Kapitän. Buffon ist ein Monument, ein Nationaldenkmal, bei Kollegen und Gegnern gleichermaßen beliebt. Diese Saison soll auf eigenen Wunsch seine letzte werden, das Ende seiner Karriere bei Juventus Turin und in der Nationalmannschaft. Zum Abschluss möchte Buffon noch einmal die große Bühne bei der WM in Russland. Es wäre seine sechste, ein weiterer Rekord für diesen Ausnahmespieler, der es schaffte, 974 Minuten lang keinen Ball in sein Tor zu lassen. In der Ligasaison 2015/2016 war das, noch keine Ewigkeit her. Auch die vergangene Saison lief großartig für Buffon, er wurde mit Juventus zum sechsten Mal in Serie Meister, zum zweiten Mal innerhalb von drei Jahren stand er im Finale der Champions League - dass Juve gegen Real Madrid verlor, mochte ihm niemand ankreiden.

Doch plötzlich wird am Monument gekratzt. Nach dem 0:3 der Azzurri gegen Spanien am vergangenen Samstag hat Italien kaum noch eine Chance, sich direkt für die WM zu qualifizieren. Bleiben die Playoffs im November, zuvor muss am Dienstag in Reggio Emilia aber noch die Auswahl aus Israel bezwungen werden. Die Aufregung ist groß, der Chor der Kritiker fortissimo, besungen wird ausgerechnet der Abstieg des Helden im Tor. "Ich glaube, dass Buffon nicht mehr er selbst ist", verkündete im Fernsehen der einflussreiche Sportjournalist Mario Sconcerti. "Wenn man in die Jahre kommt, kann man die Schläge des Gegners nicht mehr kommen sehen. Und ich fürchte, für Buffon ist dieser Moment gekommen."

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Sconcerti ist übrigens 68 Jahre alt, ein Jahr jünger als Buffons Nationaltrainer Gian Piero Ventura. Zwei ältere Herren, die sich eigentlich eine schöne Rente verdient hätten; der eine trainiert die besten Spieler des Landes, der andere liest ihnen die Leviten, in aller Gemütlichkeit und unbelastet von allzu modernen Ideen. Beide könnten Vater von Buffon sein, der sich mit 39 jetzt anhören muss, was einst schon Dino Zoff vorgeworfen wurde. Der Alte könne nicht mehr richtig gucken, tönten damals die Kritiker, die erst verstummten, als der angeblich sehgestörte Zoff mit 40 noch mal eben die WM gewann.

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Der Triumph gelang 1982 im Bernabéu-Stadion zu Madrid, Finalgegner war Deutschland. Am selben Ort erlebte Buffon am Samstag sein persönliches Desaster: drei Tore von Spanien kassiert, zwei Treffer von Isco. Beim ersten, einem Freistoß, machte Italiens Capitano keine gute Figur. "Wenn zehn Personen vor dir herumstehen und du den Ball nicht siehst, wird es kompliziert", gestand Buffon. Tatsächlich hatte Andrea Barzagli Iscos Schuss leicht abgefälscht, bevor der Ball Richtung Buffon flog. Barzagli, Bonucci, Chiellini, diese Abwehrreihe war unter dem Kürzel BBC berühmt und gefürchtet. Diesmal musste Giorgio Chiellini wegen einer Verletzung passen, Leonardo Bonucci drehte sich just in jenem Moment weg, als Isco zum 2:0 abzog. Von seinen ehemaligen Juve-Teamkollegen hatte sich der frischgebackene Milan-Kapitän Bonucci schon distanziert, bevor die Nationalhymnen erklangen. Man stand auf Abstand zueinander.

Doch dass die famose BBC Geschichte ist, liegt vor allem an Gian Piero Venturas Entscheidung, die Dreierkette durch eine Viererabwehr zu ersetzen. In Madrid spielten neben Barzagli und Bonucci Matteo Darmian (Manchester United), der eine überzeugende Partie zeigte, und der dauerüberforderte Leonardo Spinazzola (Atalanta Bergamo). Die Gewichtsverlagerung in Venturas 4-2-4-System führte zwangsläufig zur numerischen Unterlegenheit im Mittelfeld, wo Daniele De Rossi es nicht schaffte, effektiv zu filtern, geschweige denn, offensiv zu gestalten. Marco Verratti wirkte konfus in der ihm zugewiesenen Rolle als zusätzlicher Verteidiger, dafür half der neapolitanische Angreifer Lorenzo Insigne mit seinen 1,63 Metern ebenso enthusiastisch wie sinnlos hinten aus. Insigne und seine Offensivkollegen Andrea Belotti und Ciro Immobile blieben chronisch unterversorgt, einzig Antonio Candreva versuchte sich an der Konstruktion von Spielzügen, die neben den Jubelkontern der Spanier aber viel zu verhalten blieben.

Der Anfang eines Projekts

"Wir sind menschlich, sie etwas weniger", hatte Ventura in Madrid den Spaniern geschmeichelt. In Wirklichkeit hat Spanien eine Vorstellung vom Spiel und Italien etwas weniger. Was durchaus daran liegen könnte, dass der Commissario Tecnico Ventura in den vergangenen 40 Jahren mit 18 verschiedenen Klubs der italienischen Fußballprovinz allerlei Erfahrungen sammeln durfte, außer jener, wie man mit den Großen spielt. Nie hat Ventura die internationale Bühne betreten, nie die Iscos dieser Welt austricksen müssen, nie Rede und Antwort gestanden für seine taktischen Einfälle. "Wir stehen am Anfang eines Projekts und ziehen das durch", verkündete er in Madrid. Es klang wie eine Drohung.

Vor nicht mehr als 14 Monaten hatten Buffon und seine Italiener die übermenschlichen Spanier im Achtelfinale der EM 2:0 besiegt. Der Nationaltrainer hieß damals Antonio Conte. Er wollte seinen Vertrag nicht verlängern, weil er sich von Klubs und Verband nicht genügend unterstützt fühlte. Mit eiserner taktischer Disziplin, körperlichem Höchsteinsatz und ungeahnter Spielfreude war seine Squadra Azzurra das Überraschungsteam der EM. Dass die Italiener das höchste Durchschnittsalter hatten, spielte keine Rolle. Gut ein Jahr später ist der Enthusiasmus komplett verflogen. Stattdessen wurschteln und wehklagen sie. Da wanken selbst die Monumente.

© SZ vom 05.09.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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