Es ist Zeit für eine Klarstellung. Fangen wir mit dem Offensichtlichen an: Liebe Fußballgucker und Tierliebhaber, die ihr den Ausgang der ersehnten Weltmeisterschaft kaum abwarten könnt, ihr müsst euch endlich einer Wahrheit stellen. Eine große Lebenslüge sei hiermit aufgedeckt: WM-Orakel können die Zukunft nicht voraussehen. Wirklich nicht. Alles Schmu. Sorry.
Alles was kreucht und fleucht, fiepsen oder grunzen kann, wird nun wieder mit beflaggten Futternäpfen konfrontiert oder soll - je nach Beweglichkeit des Getiers - den WM-Ball "Brazuca" gefälligst ins baldige Siegertor katapultieren. Da wären: Elefantendame Nelly (trainiert von Sepp Maier), Kakaduweibchen Lizzy, Gürteltier Norman, Gürteltier Flitz, Krake Regina. Und viele viele mehr. Darf das sein? Wo sind die Aktivisten von Peta, wenn man sie braucht? Im Zoo? Fußballgucken?
Gut, die Orakelei muss Warzenschwein und Opossum nicht per se den Tag vermiesen, womöglich kann die Motivation zur Spielerei sogar ganz positiv für die Gehirnaktivitäten der kleinen Genossen sein. Dann wäre allerdings auch ein kontinuierliches Training wünschenswert - und nicht nur alle zwei Jahre. Warum also nicht Tiere als Lösung für alle möglichen Entscheidungsmomente des Lebens heranziehen: SPD oder die Grünen wählen? Die Hauskatze darf ran. Himbeer- oder Schokoeis? Nachbars Eichhörnchen muss befragt werden. Godzilla oder X-Men? Lasst den Hamster entscheiden! Das erscheint hanebüchen? Aha!
Täglicher Spielplan zur Fußball-Weltmeisterschaft 2014 in Brasilien mit Gruppeneinteilung und allen WM-Spiel-Terminen.
An dieser Stelle sei auch eine Warnung ausgesprochen: Was sollen nur die Fußballer denken, wenn Frettchen mit erhöhtem Fressbedürfnis über den Ausgang ihres Viertelfinals bestimmen? Alles Training umsonst, alles Schwitzen in Brasilien vergebens - lasst mal die Argentinier laufen, wir gewinnen ja eh?
Stilloser als das Original
Dem Hinweis, dass WM-Orakel durchaus Kinder und Jugendliche zum Wettspiel anstiften könnten, steht der üble Beigeschmack gegenüber, dass das alles ein abgezocktes Geschäft mit der Niedlichkeit ist: Pünktlich zur Beginn der WM werden aus Zoos Herbergen der Fußballbegeisterung. Zugegeben: Während einer Weltmeisterschaft mag die Schnittmenge zwischen Fußball- und Tierparkfan üppig sein. Doch vielleicht täte so mancher Tierherberge ein Image als Oase abseits des Lederspektakels ganz gut. Nach dem Motto: "Überall ist WM - wir geben Ihnen eine Pause!" Das täte auch jenen gut, die schnell das Vorrunden-Aus ihres favorisierten Teams verkraften müssen. Weg vom Fernseher, rein in die Unterwasserwelt mit Säbelfisch & Co. Ohne kalkulierte Werbung für zufällige Neigungen eines Kraken.
Apropos Unterwasser (und Kraken): Ja es gab Paul, und Paul war ein guter. Klar war auch er das kühne Objekt eines Marketinggags - aber unabhängig davon, erfüllte er seine Aufgabe mit Anmut und Eleganz. Bei der WM 2010 in Südafrika tippte er den Ausgang aller deutschen Spiele und des Finales richtig. Zufällig, aber mit Leidenschaft. Paul ist im Orakeln aufgegangen. Er war der erste, der es zu Weltruhm schaffte. Und er hätte der letzte sein sollen. Mit den Paul-Nachahmern ist es wie mit Kopien der Balotelli-Übermachts-Pose: Sie werden immer stilloser sein als das Original.
Bleibt also die Frage: Wie loskommen vom Orakel-Wahn? Die Auswahl der Tiere ist heute so willkürlich, dass alles zum Futtertrog tapsen muss, was sich in irgendeiner Weise bewegen kann. Ein Kriterium, das nicht auf Lebewesen exklusiv zutrifft. Also ginge auch folgendes als Orakel (nur nicht so niedlich!): Hefeteig beim Hochgehen: Sieg für Deutschland! Drei Ampelphasen in gleicher Farbe passieren: Sieg für Deutschland! Gekochte Nudel bleibt an der Wand kleben: Sieg für Deutschland! Wobei letzteres in einer Begegnung mit Italien Fragen aufwerfen würde. Aber auch das ist reine Definitionssache.