WM 2010: Presseschau:Im Auftrag von Kim Jong Il

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Die Presseschau "Indirekter Freistoß" befasst sich heute mit Nordkoreas Mission, Geschäftemachern im Fußball, der ewigen Frage nach der Schönheit des Spiels und der deutschen Innenverteidigung.

Indirekter Freistoß ist die Presseschau für den kritischen Fußballfreund. Fast täglich sammelt, zitiert und kommentiert der Indirekte Freistoß die schönsten und wichtigsten Textausschnitte und Meinungen aus der deutschen, während der WM auch aus der internationalen Presse. Täglich auf sueddeutsche.de und www.indirekter-freistoss.de.

"Die deutsche Abwehr hatte schon mal größere Probleme als kalte Hotelduschen", befindet Fußballkommentator Michael Rosentritt vom Tagesspiegel kurz vor dem Start der Fußball-WM. (Foto: dpa)

Bernhard Bartsch (FR) beschreibt die schwierige Mission der Fußballer Nordkoreas in Südafrika: "Nordkoreas Nationalspieler treten nicht nur im sportlichen Wettbewerb an, sondern auch im politischen. Sie sollen das miserable Image ihrer Heimat polieren und ihrem 'Geliebten Führer' Kim Jong Il wenn schon nicht den Pokal, so doch wenigstens viele Sympathiepunkte mit nach Hause bringen." Eine besondere Rolle kommt Stürmer Jong Tae Se zu. Er ist der Star des Teams, der "Wayne Rooney des Volkes", schreibt Bartsch: "Jongs Verpflichtung ist für Pjöngjang sportlich wie politisch ein Coup, denn er ist einer der wenigen Auslandskoreaner, die sich offen und freiwillig zu Nordkorea bekennen. In Japan als Sohn eines nordkoreanischen Vaters und einer südkoreanischen Mutter geboren, besitzt er die nord- und die südkoreanische Staatsangehörigkeit. Obwohl Jong auch in Südkorea ein Star ist und dort Werbeverträge hat, besteht er darauf, Nordkoreaner zu sein."

Ob die Fans in der Heimat allerdings ihre Lieblinge in Südafrika bestaunen können, steht noch in den Sternen, denn die Übertragungsrechte für die ganze koreanische Halbinsel liegen bei einem südkoreanischen Privatsender, der diese diesmal allerdings nicht umsonst weitergeben will: "Die teuren Rechte kann sich Pjöngjang zwar kaum leisten, aber notfalls die Übertragung auch einfach aus einem anderen Land klauen. Selbst wenn die Fußballer sich einer sauberen Spielweise rühmen - ihre Regierung ist für ihre Fouls berüchtigt."

Donald McRae vom englischen Guardian sprach mit Kameruns Kapitän und Superstar Samuel Eto'o über die erste Fußball-WM auf dem afrikanischen Kontinent, Roger Milla und Rassismus in europäischen Stadien. Besonders das Problem Fremdenhass, wünscht sich Eto'o, könnte durch die Weltmeisterschaft gemildert werden: "Ich hoffe, dass es einen Wandel gibt, denn ich habe dieses Jahr in Italien darunter sehr gelitten. Rassismus ist aber auch in anderen Ländern ein großes Problem. Um diese Belohnung, die WM in Südafrika, zu erhalten, musste ich viel aushalten. Doch jetzt spielen wir in dem Land, in dem mein Idol Nelson Mandela lebt. Das ist unglaublich."

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Die Fifa versprach Südafrika große Gewinne durch die WM. Diese halten sich bisher aber in Grenzen, auch weil die von der Fifa beauftragte Firma Match Hospitality ihre viel zu teuren Tickets in Kombination mit geblockten Hotelbetten nicht los wurde, wie Bartholomäus Grill auf Zeit Online berichtet: "Die Wucherei von Match löste im ganzen Land eine Preisexplosion aus, die weniger betuchte Fans aus aller Welt abschreckte. Als das Geschäft wider Erwarten schlecht lief, gab die Firma im März kurzerhand 441.695 Betten zurück. Den Kollateralschaden tragen die Hotels - sie klagen kurz vor dem Anpfiff über Buchungsraten von unter 40 Prozent. Einer der vier Teilhaber von Match Hospitality ist übrigens die Infront Sports & Media AG aus Zug in der Schweiz. An deren Spitze steht Philippe Blatter - ein Neffe des Fifa-Chefs. Seit sich die Vetternwirtschaft am Kap herumgesprochen hat, reden alle von der WM-Mafia. Und ein Buch, in dem Andrew Jennings die dunklen Machenschaften der Fifa beschreibt, verkauft sich in diesen Tagen besonders gut. Sein Titel: 'Foul!'"

WM 2010: Deutsche Mannschaft
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Die deutsche Nationalmannschaft ist in Südafrika und startet in die letzte Woche der WM-Vorbereitung. Der Flug verlief reibungslos, allerdings hatte sich der Start verzögert - wegen eines Popstars.

Peter Körte (FAS) begibt sich vor der WM auf die schwierige, weil subjektive Suche nach dem aktuellen Ästhetikideal des Fußballspiels: "Es lässt sich nicht entscheiden, ob nun das Robben-Solo über siebzig Meter schöner ist als Messis Dribbling, welches wie eine Kopie von Maradonas Alleingang wirkte; ob die Abspiele eines Xavi Hernandez kreativer sind als die in einer Computeranalyse sichtbare, makellose Verschiebung einer Viererkette, die antizipiert, wo sich Räume öffnen; ob der holländische 'Totaalvoetbal' der siebziger Jahre eher auf der Höhe seiner Zeit war als der 'Schalker Kreisel' der dreißiger Jahre; ob das 'Tiki-Taki' genannte Kurzpassspiel der spanischen Nationalmannschaft ansehnlicher ist oder Kompaktheit und Vertikalspiel von Manchester United in der vorletzten Champions-League-Saison."

Dennoch findet Körte nach langer Suche den Reiz des heutigen Spiels: "Es ist eine agonale Ästhetik, dem Rhythmus einer komplizierten Choreographie vergleichbar, in der Schmerz und Scheitern, Triumph und Genie immer wieder neu ausbalanciert werden müssen; und in der aus einem schlichten Regelwerk und einem Minimum an Material eine immense Fülle von Möglichkeiten entsteht. Und genau deshalb freut man sich schon jetzt auf Freitag, auch wenn die Partie Südafrika gegen Mexiko nicht gerade die Erfüllung des Traums vom schönen Spiel verspricht."

Für Michael Rosentritt (Tagesspiegel) ist die Abwehrzentrale mit Mertesacker und Friedrich ebenfalls die bestmögliche Option: "Die deutsche Abwehr hatte schon mal größere Probleme als kalte Hotelduschen. Etwa im Frühjahr 2006, als sie kurz vor der Weltmeisterschaft von den Italienern sturmreif geschossen wurde. Gilardino und del Piero ließen die langen Innenverteidiger Mertesacker und Huth aussehen wie antike römische Säulen. Im Nachhinein lässt sich sagen, dass die 1:4-Niederlage damals eine Art Aufweck-Charakter für die Deutschen hatte. Bei der WM dann war die deutsche Innenverteidigung die zweikampfstärkste des gesamten Turniers. Vielleicht übernehmen das nun die kalten Duschen, von denen einige Spieler nach ihrer ersten Nacht im WM-Mannschaftsquartier des Velmore Grande bei Pretoria überrascht wurden."

Einen sehr interessanten Blick auf die deutsche Formation wirft die englische Internetseite Zonal Marking und kommt zu folgendem Schluss: "Nachdem wir erfahrene, langweilige und effektive deutsche Mannschaften gewöhnt waren, werden wir nun mit einem jungen, aufregenden und unvorhersehbaren Team konfrontiert. Absolut untypisch für Deutschland."

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