WM 2010: Paraguay - Spanien:Bahn frei für die EM-Revanche

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Europameister Spanien folgt Deutschland ins Halbfinale der WM - braucht beim 1:0 gegen Paraguay aber viel Elfmeterglück und den Auftritt seines einsamen Retters. Bundestrainer Joachim Löw steht ein entspanntes Videostudium bevor.

Michael König

Die Fans feierten, die Fans hyperventilierten vor Glück. Wer angesichts von fast 40 Grad im Schatten nicht mit Kreislaufschwierigkeiten zu kämpfen hatte, der fragte sich nach dem 4:0 der Deutschen gegen Argentinien unweigerlich: Wer kann uns noch stoppen?

Der Retter Spaniens, wieder einmal: David Villa vom FC Valencia. (Foto: getty)

Die Kandidaten für diese Aufgabe spielten zwei Stunden nach dem Triumph der DFB-Elf im Ellis Park vor: Spanien gewann nach einer mäßigen Leistung mit 1:0 gegen Paraguay und durfte sich bei seinem Torwart und -jäger dafür bedanken, dass nicht der Außenseiter aus Südamerika den Deutschen ins Halbfinale gefolgt ist.

Ohne Gesichtscreme

Joachim Löw wird sich diese Partie genau anschauen, und mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit wird er beim Videostudium keine Stirnfalten bekommen, die man mit teurer Gesichtscreme glätten müsste. Beide Mannschaften machten dort weiter, wo sie im Achtelfinale aufgehört hatten: Paraguay hatte sich zu einem 5:3 nach Elfmeterschießen gegen Japan gequält. Spanien war durch ein verdientes, aber knappes 1:0 gegen Portugal weitergekommen.

Umso höher war der Anspruch beider Teams im Viertelfinale: "Heute machen wir uns auf, Geschichte zu schreiben", posaunte etwa die spanische Sportzeitung Marca. "Unsere Stunde ist gekommen", tönte Abwehrchef Carlos Puyol. Auf Seiten der Paraguayer verkündete der Noch-Dortmunder Nelson Valdez, Spanien sei ein guter Gegner: "Wir haben nichts zu verlieren."

Die Verlierer waren zunächst eindeutig die Zuschauer. An Offensivfußball interessierte Menschen hätten den Fußball, den beide Teams zunächst boten, wohl als "Gewürge" bezeichnet. Das wäre allerdings despektierlich gegenüber der Defensive Paraguays gewesen, die emsig verteidigte und den potentiellen Spielmachern Spaniens auf die Füße trat: Xavi, Xabi Alonso und Andres Iniesta wurden stets von zwei oder drei Spielern angegriffen. Das Resultat war ein Angriffsspiel, das diesen Namen nicht verdient hatte. Paraguay aber konnte die Partie dadurch offen gestalten.

Qual für die Augen

Wenn Spanien zu Chancen kam, war das ausschließlich hohen, weiten Bällen geschuldet - der an schönem Fußball interessierte Zuschauer würde von "Langholz" sprechen. Alle fünf Torschüsse der ersten Halbzeit wurden von außerhalb des Strafraums abgegeben, hinzu kamen lediglich drei Flanken - das ist keine Bilanz, die eines Europameisters würdig wäre. Von Griechenland einmal abgesehen.

In der 7. Minute flankte Alonso aus dem Halbfeld hoch und weit in den Strafraum, doch die mit einem Haarband gebändigte Mähne des spanischen Verteidigers Sergio Ramos kam dem Spielgerät nicht nahe genug, torgefährlich zu werden. Bis zur nächsten Chance vergingen geschlagene 22 Minuten: Xavi legte sich den Ball selbst auf und schoss volley - über das Tor und aus gefühlten 50 Metern. Die Partie war eine Qual für die Augen, kein Vergleich zum Feuerwerk der Deutschen zuvor.

Bundestrainer Löw und sein Chef-Scout Urs Siegenthaler werden angesichts der ersten Halbzeit beim Videostudium wohl regen Gebrauch von der Fernbedienung machen. Es lohnt sich allerdings ein genauer Blick auf die 41. Minute, als der Außenseiter Paraguay jubelte - wenn auch nur kurz. Der Möchtegern-Torschütze Valdez stand im Abseits, fand der Linienrichter. Valdez sah es naturgemäß anders. Dem Tor so nah kam Paraguay nur noch einmal: in der 87. Minute scheiterte der ehemalige Bayern-Profi Roque Santa Cruz frei vor dem Tor. Da war die Partie allerdings schon zu Ungunsten der Südamerikaner gelaufen.

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Dass sich die zweite Halbzeit besser entwickelte, lag maßgeblich an Schiedsrichter Carlos Batres aus Guatemala, der binnen fünf Minuten drei Elfmeter ausführen ließ: Zunächst für Paraguay, nachdem der spanische Innenverteidiger Pique seinem Gegenspieler Cardozo im Zweikampf beinahe die Schulter ausgekugelt hatte. Cardozo nahm die Angelegenheit selbst in die Hand - und scheiterte an Schlussmann Iker Casillas.

Beim direkten Gegenangriff fiel Spaniens Torjäger David Villa im paraguayischen Strafraum um, nachmdem ihm Alcaraz in die Beine gelaufen war. Wieder pfiff Batres, Alonso trat an - und traf. Doch der Schiedsrichter wollte erkannt haben, wie Alonsos Teamkameraden Millisekunden zu früh in den Strafraum eingedrungen waren. Also ließ er den Elfmeter wiederholen.

Ein vierter Elfmeter?

Alonso schnappte sich den Ball erneut, er guckte betont cool drein - und verschoss. Der Torwart leitete den Ball nach außen, wo der eingewechselte Cesc Fabregas auf den Nachschuss lauerte. Dazu kam Fabregas aber nicht, weil der Keeper ihm in die Beine sprang. Ein neuerliches Foul, ein vierter Elfmeter? Diesmal blieb die Pfeife stumm.

Die Spanier waren von so viel Pech geschockt, und sie waren auch geschockt von der Leistung von Fernando Torres, der kurz zuvor für Fabregas ausgewechselt worden war. Zur Erinnerung: Der blonde Stürmer vom FC Liverpool war es, der die Deutschen im Finale der Europameisterschaft 2008 beinahe im Alleingang besiegt hatte. Sein Raketentempo bekamen damals Philipp Lahm und Jens Lehmann zu spüren, die Torres' Siegtreffer zum 1:0 nicht verhindern konnte.

Spaniens große Hoffnung

Mittlerweile trägt Torres eine dunkle Haarfarbe - und eine dazu passende traurige Körperhaltung, die an die Auftritte von Mario Gomez erinnern. Und wie der deutsche Stürmer hat Torres bei der WM noch nicht getroffen, obwohl er schon deutlich mehr Spielzeit bekommen hatte. Vor Torres, das wird Löw auffallen, müssen die Deutschen diesmal keine Angsthaben. Anders verhält es sich mit David Villa.

Der Mann vom FC Valencia ist Spaniens größte Hoffnung - wenn nichts anders hilft, hilft immer noch Villa. Vier Tore hatte er vor dem Viertelfinale erzielt, und in der 83. Minute erhöhte er diese Zahl auf fünf.

Freigespielt von Iniesta, traf Villa zunächst den rechten Pfosten, dann prallte der Ball an den linken Pfosten, und von dort tropfte der Ball zum erlösenden 1:0 für Spanien ins Netz. Zuvor hatte schon Pedro den Pfosten getroffen. Es war der Höhepunkt eines kuriosen Spiels, das so unattraktiv angefangen hatte und später an Fahrt gewann, weil sich beide Teams Regelwidrigkeiten leisteten. Und wegen David Villa.

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