WM 2010: Mexiko:Die, die verlieren müssen

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90.000 Vuvuzelas, ein ganzes Land und die ganze Welt gegen elf Mann: Wie die Mexikaner damit umgehen, im Eröffnungsspiel der Fußball-WM doch bitte Steigbügelhalter für eine Party zu sein.

Thomas Hummel, Johannesburg

Wie fühlt man sich nun, Herr Franco, wenn die ganze Welt hofft, dass Sie das erste Spiel doch bitte, bitte verlieren möchten? Bis auf ihre 110 Millionen mexikanischen Landsleute vielleicht. Aber sonst? Wer würde den Südafrikanern nicht einen Erfolg in ihrem Eröffnungsspiel bei ihrer WM gönnen? Es würde der Veranstaltung so viel mehr Euphorie, so viel mehr Freude bringen, wenn der Gastgeber diese erste Partie gewänne. Dem entgegen stehen Guillermo Franco und die Mexikaner.

Die mexikanische Mannschaft um Guillermo Franco (links) und Carlos Salcido hat ein Problem: Gewinnt sie das Eröffnungsspiel, versaut sie den Südafrikanern die WM-Party. (Foto: rtr)

"Es ist normal, dass die Erwartungen vor diesem Spiel in Südafrika groß sind", sagt der Mittelfeldspieler, auch ihm sei die Aufregung rund um Bafana Bafana, der heimischen Elf, nicht entgangen. Der 33-Jährige von West Ham United zieht mit typisch lateinamerikanischer Geste die Mundwinkel nach unten, legt den Kopf quer, zieht die Augenbrauen nach oben. "Aber wir werden nicht darauf achten, was rund um das Stadion passiert, sondern uns auf das konzentrieren, wofür wir hergekommen sind." Eben nicht den Steigbügelhalter zu mimen für eine große afrikanische Party.

Es ist die undankbarste Aufgabe bei dieser 19. Fußball-Weltmeisterschaft: Schon seit Tagen können Südafrikaner kaum mehr atmen bei einem Gedanken an das Eröffnungsspiel, derart aufgeregte Vorfreude hat das Land ergriffen. Am Mittwoch lief quasi die gesamte Bevölkerung von Johannesburg um 12 Uhr auf die Straßen, um eine Stunde lang in die Vuvuzelas zu blasen, zu hupen, zu singen, zu tanzen unter dem Motto: "Unite for Bafana Bafana."

Beschimpfungen und Schläge

Was allerdings nicht heißt, dass die Südafrikaner deshalb den Gegner verschmähen, oder sogar anfeinden. Im Gegenteil. Als die Mexikaner in diesen Tagen trainierten, versammelten sich ein paar tausend Zuschauer um den Platz, applaudierten, winkten und bereiteten den Gästen rundherum einen schönen Empfang. Von Aggressionen keine Spur. Aus dem mexikanischen Lager heißt es, man sei anderes gewohnt, bei Gastspielen in der nord-/mittelamerikanischen Qualifikation zum Beispiel. In El Salvador oder Honduras sei die Mannschaft samt Gefolge mit Beschimpfungen und sogar Schlägen empfangen worden.

Ihre körperliche Unversehrtheit scheint auch bei einem Erfolg garantiert, dennoch musste sich Guillermo Franco einer Frage stellen, die mehr nach Vorwurf klang: Sie könnten der Partybreaker sein! Franco blieb unbeeindruckt: "Es ist eine große Ehre, eine WM eröffnen zu können."

Diese Ehre erlebten Francos Vorgänger in der Tri, der mexikanischen Nationalmannschaft, bereits viermal. Und erwiesen sich zweimal im Duell mit den Gastgebern als artige Festbesucher: 1950 beim 0:4 gegen Brasilien und 1958 beim 0:3 gegen Schweden. Bei der ersten WM 1930 in Uruguay gab es ein 1:4 gegen Frankreich, und nicht einmal 1970, als Mexiko selbst Gastgeber war, konnte die grün-weiß-rot gekleidete Mannschaft gewinnen: 0:0 gegen die UdSSR. Die Mexikaner sind, so scheint es, Experten darin, den Gegnern höflich einen schönen WM-Start zu ermöglichen.

"Die Mischung stimmt"

Doch diesmal, por supuesto, jawohl, diesmal soll alles anders werden. Mexiko glaubt daran, endlich einmal lange im Turnier zu bleiben. Das Viertelfinale 1986 im eigenen Land ist der bislang größte Erfolg in der langen WM-Geschichte, meistens war nach der Vorrunde Schluss. Vor vier Jahren in Deutschland gab es eine Niederlage im Achtelfinale gegen Argentinien, nach hartem Kampf in der Verlängerung und einem Traumtor von Maxi Rodríguez. Doch genau das macht den Mexikanern nun Hoffnung.

Denn einige der damaligen Mannschaft sind noch dabei, wie Kapitän Rafael Márquez, der Stuttgarter Ricardo Osorio oder Linksverteidiger Carlos Salcido aus Eindhoven. Sogar Cuauhtémoc Blanco, 37-jähriger Stürmer mit bunten Schuhen und dem Hang zu spielerischer Extravaganz, soll in kritischen Momenten Entscheidendes bewirken. Dazu hat Trainer Javier Aguirre vor allem für den Angriff hochgelobte Talente nominiert: Giovani dos Santos (Galatasaray Istanbul), 21, Carlos Vela (FC Arsenal), 21, oder Javier Hernández, 21, der in der neuen Saison für Manchester United stürmt. Und auch das ist neu: Viele der mexikanischen Auswahl spielen in Europa, früher rekrutierten sich die Profis fast ausnahmslos aus der eigenen Liga. "Die Mischung im Team stimmt", glaubt Franco.

Ob das reicht, um dem Druck von 90.000 Vuvuzelas am Freitag in Soccer City standzuhalten? Den Erwartungen eines ganzen Landes, nein, der ganzen Welt, Mexiko möge doch bitte, bitte dieses Spiel verlieren? Immerhin hat sich Staatspräsident Felipe Calderón angekündigt als Zuschauer in Johannesburg. Er immerhin steht schon als Verlierer fest, wenn es um die Aufmerksamkeit für die Staatsgäste geht: Zur Eröffnungsfeier vor dem Spiel hat sich Nelson Mandela angekündigt.

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