WM 2010: Gruppe E:Fliegende Fackeln

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Japan zieht durch einen beeindruckend souverän herausgespielten 3:1-Erfolg über die dänische Seniorentruppe ins Achtelfinale ein. Die K.-o.-Runde hat einen weiteren, nicht zu unterschätzenden Teilnehmer - der allen anderen etwas vorauszuhaben scheint.

Dänemarks Seniorentruppe war am Donnerstagabend chancenlos beim Finaltreffen mit Japan in der Gruppe E, mit beeindruckender Leichtigkeit spielten die Asiaten einen hochverdienten 3:1 (2:0)-Sieg heraus. Zwei Freistoßtoren von Honda und Endo verrieten, dass Japan die Tücken des WM-Balles schon ganz gut beherrschen - und neuerdings imstande ist, ein Spiel nicht nur zu organisieren, sondern selbst zu gestalten.

Freistöße waren der große Vorteil der Japaner im Spiel gegen Dänemark. Hatten die Asiaten etwa ausgiebig mit dem vermeintlichen Flatterball trainiert? (Foto: rtr)

Der Held kam standesgemäß, er kam zu spät. Jerome Damon, letzter im Turnier verbliebener Südafrikaner, hatte schon angepfiffen, als Nicklas Bendtner auf den Rasen spurtete, aber der Mann, vor dem sich Japans Elf so sehr fürchtete, kam nie ins Spiel. Als sein Team die erste Großchance hatte, war es Stürmerkollege Tomasson, der am Ball vorbeisäbelte - mimische Antwort auf die Frage, wie es sein kann, dass er seit 30 Monaten nicht im Nationaldress getroffen hat.

Nach zwölf Minuten führte Referee Damon stolz vor, was er in der dreijährigen Fifa-Ausbildung Neues gelernt hat: Er zeigte Japans Endo die gelbe Karte, weil der vorm Freistoß zu lange überlegt hatte. Gleich darauf die erste gute Chance für Japan, als Matsui vor Dänen-Keeper Sørensen nur die Fußspitze an eine Flanke brachte. Der Sekundenzeiger hatte keine Runde gedreht, als Hasebe knapp übers Tor zielte. Wieder eine Umdrehung später schob auf der Gegenseite erneut Tomasson den Ball haarscharf am Pfosten vorbei. Ein herzhafter Schlagabtausch bahnte sich an, die Skandinavier mussten siegen, Japan reichte ein Remis.

Der bringt sich selbst um den Verstand

Aber sie wollten mehr - und bekamen es, nach 17 Minuten. Arglos hatte sich Keisuke Honda den Ball zum Freistoß zurechtgelegt, weit im rechten Halbfeld, 30 Meter vom Tor entfernt. Aber dann nagelte er Jabulani, das manchmal rätselhafte Fluggerät, mit einem Hufschlag hinter Sørensen ins Tor, der Keeper wurde übertölpelt, weil der Ball etwas später runterkam als berechnet.

Das 1:0 schockte die Dänen nicht, Trainer Morten Olsens Veteranen haben schließlich fast alles schon erlebt. Auch fiel allmählich auf, dass sich Japans Abwehr geradezu obsessiv auf die Beschattung Bendtners versteift hatte. Dem wuchtigen Arsenal-Stürmer gehörte die ungeteilte Aufmerksamkeit sämtlicher Abwehrspieler, was dem rüstigen Kollegen Tomasson nach 23 Minuten bereits die dritte Großchance eröffnete. Und wieder säbelte der dänische Kapitän, allein vor Torwart Kawashima, am Ball vorbei. Ob es sich hier am Ende um eine sorgsam einstudierte, besonders infame japanische Zermürbungstaktik handelte, nach dem Motto: Lasst ihn machen, der bringt sich selbst um den Verstand?

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Der Bayern-Stürmer bereitet das 2:1 der Niederländer gegen Kamerun vor, während sich die Abwehrspezialisten aus Japan gegen Dänemark ganz unjapanisch präsentieren und mit drei Treffern ins Achtelfinale einziehen.

Einstudiert hatten die Asiaten jedenfalls was anderes: Freistöße. Nach einer halben Stunde war der nächste fällig, alle blickten furchtsam zu Honda, doch dann zwirbelte Endo den Ball ganz klassisch aus 20 Metern mit viel Gefühl um die Mauer herum ins Toreck. Nun zeigten Olsens Mannen, sieben davon über 30 Jahre, Wirkung. Die Schritte wurden schleppender und die langen Pässe nach vorne länger; sie kamen kaum noch an.

Vertrautes Bild auch nach Seitenwechsel. Freistoß Japan, gut 40 Meter vorm Tor, für Endo die richtige Entfernung. Sein Fuß beförderte den Ball nach Art einer Frisbee-Scheibe in die Luft, während des Flugs drehte diese vom rechten Pfosten auf den linken zu, der verwirrte Sørensen stand da wie ein E-Jugendtorwart und kriegte gerade noch die Fingerkuppen an diese fliegende Fackel - und lenkte sie ans Torkreuz. Was langsam die Frage aufwarf: Hatte Sørensen die englische Krankheit befallen - oder haben die Japaner gemacht, was allen Turnierteilnehmern zu raten wäre: Akribisch mit dem eigenwilligen Spielgerät geübt?

Neuer Rekordtorschütze

Nichts Neues auch auf der Gegenseite: Tomasson scheiterte beim vierten Versuch, den bösen Tor-Fluch zu besiegen, aus dem Gedränge und kurzer Entfernung erneut an Kawashima. Es wuchs die Verzweiflung der Dänen im Minutentakt, Olsen verfiel auf den verwegenen Gedanken, einen 18-Jährigen einzuwechseln, Eriksen kam für Kahlenberg. Bendtner trat erstmals in Erscheinung, im Luftkampf setzte er den Ellbogen ein und sah Gelb. Dann wieder Tomasson, Klappe die fünfte: Diesmal traf er, aussichtsreich postiert, den Ball, schoss ihn sich aber selbst irgendwohin (69.).

Lange Bälle segelten immer wieder hoch in Japans Strafraum, und fast nie erreichten sie die baumlangen Stürmer Bendtner und Larsen. Dann knallt Larsen den Ball aus 20 Metern an die Latte. Und dann meint Referee Damon, nach einem kleinen Strafraumrempler Hasebes gegen Agger Elfmeter pfeifen zu müssen. Tomasson besaß die Frechheit, sich den Ball zu schnappen, sechster Versuch, natürlich parierte Kawashima das Schüsschen, den Abpraller aber, Klappe die siebte, schob er ins Tor, Dänemarks neuer Rekordtorschütze.

Folklore, mehr nicht. Auf der Gegenseite traf noch Okazaki nach Hondas brillanter Vorarbeit - mit Japan hat die WM-K.-o.-Runde einen weiteren nicht zu unterschätzenden Teilnehmer.

© SZ vom 25.06.2010 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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