WM 2010: Gastgeber:Afrika atemlos: Es geht wirklich los!

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Stolz, Euphorie, ein Triumphzug vor dem ersten Spiel: Noch nie hat sich ein Land so darauf gefreut, eine Fußball-WM auszutragen wie Südafrika. Auch wenn ein bisschen Angst dabei ist.

Thomas Hummel, Johannesburg

Am Mittwoch um 12 Uhr mittags kam zum Vorschein, wie viele Menschen in diesem Woolworth arbeiten. In einem schmucklosen Einkaufszentrum im Johannesburger Stadtteil Melville versammelten sich die Angestellten des Supermarkts zu einem wippenden, tanzenden Haufen, der immer größer wurde und schließlich angereichert mit Kunden den ganzen Eingangsbereich einnahm. Die meisten tröteten mit dem Lärminstrument Vuvuzela was die Lunge hergab. Vor den Nachbarläden bildeten sich die gleichen wippenden, tanzenden, auf jeden Fall trötenden Haufen und weil das Einkaufszentrum ein geschlossenes Dach besitzt, rauschte durch das Gebäude ein Trommelfell-zerreißendes Infernal.

Ganz Südafrika schien in diesem Moment die Vuvuzela zu blasen. Radio- und TV-Stationen hatten die Menschen aufgefordert, aus vollster Lunge die 19. Fußball-Weltmeisterschaft einzutröten. Und damit auch ihre Solidarität mit dem eigenen Team, der Bafana Bafana, den Jungs, zu demonstrieren. Die Menschen taten, wie ihnen aufgetragen: Sie verließen ihren Arbeitsplatz, versammelten sich auf den Straßen von Johannesburg und tröteten die WM ein, die schon jetzt, einen Tag vor dem Eröffnungsspiel, eine ganz besondere ist.

Triumphfahrt im offenen Doppeldeckerbus

Vielleicht noch nie in der Geschichte von Fußball-Weltmeisterschaften hat sich eine Bevölkerung derart darauf gefreut, Gastgeber sein zu dürfen. Wer das in Zweifel zieht, der hat den Triumphzug im Stadtteil Sandton nicht gesehen. Dort versammelten sich am Mittwoch mehrere zehntausend Menschen und huldigten ihren Helden. Einige Spieler der Mannschaft, die am Freitag ihr Auftaktspiel gegen Mexiko bestreitet, fuhren im offenen Doppeldeckerbus durch die Menge und winkten hinunter in die euphorische Menge. Solche Auftritte wurden eigentlich für Teams erfunden, die nach dem Turnier ihrem Volk den Weltpokal mitbringen. Doch die Südafrikaner brauchen den Pokal nicht, um sich schon jetzt wie die Weltmeister zu fühlen.

Trainer Carlos Alberto Parreira stand auch da oben in dem Doppeldeckerbus. Der Brasilianer hat einen guten Anteil daran, dass die Menschen nun auch einen Erfolg ihres Teams zumindest erhoffen dürfen, nachdem die südafrikanischen Fußballer jahrelang nur Niederlagen eingesteckt hatten. Seit der nüchterne, etwas mürrische Parreira, 67, wieder die Leitung übernommen hat, spielen Bafana Bafana plötzlich respektablen Fußball. Doch gerade weil Parreira so nüchtern, bisweilen auch mürrisch ist, und nichts mehr verabscheut als eine unprofessionelle Vorbereitung, fand er die Jubelarie nicht ganz so toll: "Ich habe so etwas noch nie erlebt. Wir brauchen das nicht, zwei Tage vor einem großen Spiel." Wie sollen sich seine Spieler jetzt noch konzentrieren?

Fast koloniale Vorurteile

Die Südafrikaner spüren: Endlich geht es los. Und das hat ihnen ja lange keiner zugetraut. Das Ausland rumorte unentwegt, die Afrikaner kriegten das ja doch nicht hin, eine solch immense Veranstaltung zu organisieren: Das können die halt nicht mit ihrer Korruption, ihrer Kriminalität, und überhaupt die Afrikaner, na ja.

Fast koloniale Vorurteile wurden ausgetauscht - das hat den Südafrikanern, allen Afrikanern, weh getan. Umso größer ist nun der Stolz, da die WM nun wirklich beginnt. Nach allem, was man hört, sogar pünktlich: Johannesburg, Soccer City, Freitag, 16 Uhr. "Diese WM ist eine große Möglichkeit, den Afro-Pessimismus zu zerstören, den Glauben im Ausland und sogar in Afrika selbst, dass wir es nicht schaffen", schreibt Kirsten Nematadandi, Chef des südafrikanischen Organisationskomitees Safa.

WM 2010: Eröffnungskonzert
:Anstoß mit Shakira und Franz

"Das ist der wahre Anpfiff der WM": Mit einem großen Konzert feiert Südafrika den Beginn der Fußball-Weltmeisterschaft. Ein schlimmer Schicksalsschlag für Nelson Mandela überschattet die Party. Das Eröffnungskonzert in Bildern.

Eine südafrikanische Journalistin beschreibt die Gefühle ihrer Landsleute mit dem Wort "katatonisch". Katatonie ist in der Psychiatrie ein Ausdruck für totale, zumeist krankhafte Anspannung des Körpers. Es fühle sich an, als könne die Nation vor Vorfreude auf das Ereignis kaum mehr atmen, als wisse sie nicht, wohin mit dem angestauten Adrenalin. Es entlädt sich dann in einem Vuvuzela-Fest auf den Straßen, in den Einkaufszentren - oder in einem würdevollen Lächeln.

"Wir sind eine glückliche Nation, wir dürfen die erste WM für Afrika ausrichten", sagt ein etwa 50-jähriger schwarzer Taxifahrer und lächelt. Zu welcher Mannschaft er seine Fahrgäste nun bringen solle? Serbia? Er macht nicht den Eindruck, jemals etwas davon gehört zu haben. Aber er lächelt wieder, die Welt ist eben zu Gast in seinem Land. Was kann es Schöneres geben und er verdient auch noch ein bisschen daran.

500 Rand für ein ganzes Jahr

Sein Staatspräsident Jacob Zuma verkündete: "Derartigen Enthusiasmus und freudige Erwartung, die die ganze Nation in den vergangenen Tagen erfasst haben, hat es nicht mehr gegeben, seit Präsident Mandela aus der Haft entlassen worden ist." Das war Anfang der neunziger Jahre.

Dabei sind die Probleme für europäische Verhältnisse immer noch unvorstellbar groß, die soziale Kluft zwischen Arm und Reich, zwischen Weiß, Farbig und Schwarz augenfällig. In Johannesburg grenzt das "weiße" Sandton, wo sich die wohlhabenden Bewohner hinter Mauern und Stacheldraht zurückgezogen haben, genau an Alexandria, wo Abertausende in Wellblechhütten hausen. Auf der einen Seite gibt ein Mensch 500 Rand - gut 50 Euro - für sein Make-up aus, bevor er ausgeht, auf der anderen Seite muss jemand mit 500 Rand durch das ganze Jahr kommen.

Von ihrer besten Seite

Daraus folgt bisweilen ein wenig Chaos - und die vor allem im Ausland so gefürchtete Kriminalität. Auch die WM ist davon schon erfasst. Vor dem Testspiel Nigeria gegen Nordkorea drängten zu viele Menschen ins Stadion, 16 wurde verletzt, einer schwer. Am Mittwoch überfielen mehrere bewaffnete Täter ein Hotel etwa 120 Kilometer nordwestlich von Johannesburg, in dem mehrheitlich Journalisten wohnen. Sie raubten die Zimmer von zwei portugiesischen Reportern und einem spanischen Kollegen aus, einem Fotografen hielten sie dabei die Pistole an den Kopf. Ein Vorfall, den die Südafrikaner mit einem Achselzucken zur Kenntnis nehmen. Ein Vorfall aber auch, der nicht zu häufig vorkommen sollte - andernfalls würde der Ruf dieser WM leiden.

Es ist die große Angst der Südafrikaner, dass das Turnier die Vorurteile aus dem Ausland bestätigt. Oder schlimmer, dass wirklich etwas massiv schiefgehen könnte. Dann würde mindestens eine weitere Generation behaupten: Ach ja, die Afrikaner, die können es eben nicht.

Bis es aber soweit ist, haben sich die Menschen fest vorgenommen, sich von ihrer besten Seite zu zeigen. So freundlich, so ausgesprochen zuvorkommend, sagen selbst die Bewohner, hätten sie ihre Mitmenschen noch nie erlebt. Und wenn jemand als Gast identifiziert wird, strahlen sie ihres weißestes Lächeln. Und versichern: Keine Sorge, euch passiert hier nichts. "South Africa is safe!"

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