WM 2010: Eröffnungsspiel:Elf Mann für 48 Millionen

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Trainer Carlos Parreira hat den Südafrikanern den Glauben zurückgegeben, eine gute WM spielen zu können - und setzt dabei auf eine neugewonnene Stärke. Doch der Druck auf seine Mannschaft im Eröffnungsspiel ist enorm.

Thomas Hummel, Johannesburg

Am Tag nach diesem irrwitzigen Triumphzug strahlte Carlos Alberto Parreira demonstrativ Lockerheit aus. Beim Abschlusstraining in Soccer City winkte der 67-Jährige einer Gruppe kreischender Teenager-Mädchen zu, die daraufhin noch lauter kreischten. Und vor der internationalen Presse verkündete er, seinen Frieden gemacht zu haben mit dieser unwirklichen Szenerie des Vortags.

WM 2010: Eröffnungskonzert
:Anstoß mit Shakira und Franz

"Das ist der wahre Anpfiff der WM": Mit einem großen Konzert feiert Südafrika den Beginn der Fußball-Weltmeisterschaft. Ein schlimmer Schicksalsschlag für Nelson Mandela überschattet die Party. Das Eröffnungskonzert in Bildern.

Da wurden ein paar Spieler und auch der brasilianische Trainer der südafrikanischen Fußballmannschaft gebeten, doch bitte in einen offenen Bus zu steigen und ein paar Leuten zuzuwinken, die sie auf den Straßen in Johannesburg willkommen heißen und ihnen viel Glück wünschen wollen. Unter dem Motto "Unite behind bafana bafana" - zusammen hinter Bafana Bafana, der südafrikanischen Nationalmannschaft - kamen dann aber mehr als 100.000, die ihnen in gelben Trikots mittags um zwölf Uhr extatisch zujubelten. So als würde Carlos Parreira schon den Weltpokal in Händen halten.

Der Trainer und selbst einige Spieler wie der ehemalige Dortmunder Steven Pienaar fühlten sich ein wenig überrollt von der Zuneigung der Johannesburger Fans. "Wir haben zwei Tage vor dem Eröffnungsspiel der WM gehofft, ein bisschen mehr Ruhe und Konzentration zu genießen", sagte Parreira, doch inzwischen habe er eingesehen, dass man "die Gefühle der Menschen in diesem Land verstehen muss". Er und seine Spieler "haben die Freude und die Glückseligkeit gespürt".

Auch die Weißen feuern an

Unausgesprochen fügte Parreira an: Und er hoffe, dass dies den Spielern im ersten Gruppenspiel am Freitag um 16 Uhr gegen Mexiko Kraft gibt. Denn es ist ja schön zu spüren, dass nun neben den mehr als 90.000 Besuchern in Soccer City auch alle 48 Millionen Einwohner des Landes den elf Jungs, den Bafana Bafana, ihre 96 Millionen Daumen drücken, bis sie blau werden.

Auch die weißen Einwohner drücken übrigens, obwohl die bislang nichts von Fußball hören wollten, weil das in Südafrika vornehmlich der Sport der Schwarzen ist. Doch so viel Unterstützung, so viel Erwartungen können auch ganz schön Druck ausüben auf so ein paar Fußballerseelen. Vor allem, wenn sie kaum internationale Erfahrung haben. Noch gegen Ende des vergangenen Jahres erwarteten die Südafrikaner von ihrer Mannschaft: nichts.

Nach dem ordentlichen Confederations Cup mit knappen Niederlagen gegen Brasilien (0:1) und Spanien (2:3) erlebte Bafana Bafana unter dem Trainer Joel Santana einen regelrechten Niedergang. Es setzte acht Pleiten in neun Spielen. Im November 2009 zog der nationale Verband die Notbremse und holte den Mann zurück, der schon einmal da, aus persönlichen Gründen aber ausgeschieden war und Landsmann Santana empfohlen hatte: Carlos Alberto Parreira. Der 67-Jährige führte bereits vier Länder als Trainer zu einer WM und gewann mit Brasilien 1994 den Cup.

Inzwischen ist Bafana Bafana zwölf Mal in Serie ungeschlagen und hat, wie es der Trainer sagt, ein Gesicht bekommen. Er schreckte dabei nicht zurück, den sehr populären Stürmer Benni McCarthy aus dem Kader zu streichen. Angeblich, weil dieser im Mannschaftshotel in der Nacht vor einem Testspiel mit einer Frau erwischt wurde. Auch der Bielefelder Torwart Rowen Fernández soll einer Videoaufzeichnung des Hotels zum Opfer gefallen sein. Bestätigt hat das zwar niemand, die beiden sind aber aus dem Team geflogen.

Dafür hat Parreira eine Reihe technisch beschlagener Profis nominiert, die seinen Anspruch an ein Fußballspiel erfüllen sollen: sicheres Kurzpasspiel im Mittelfeld, trickreiche Offensivspieler mit Drang zum Eins-gegen-Eins. Und mit dem Willen, gemeinsam diszipliniert zu verteidigen.

Bei den Siegen in den jüngsten Testspielen gegen Kolumbien (2:1) und Dänemark (1:0) wirkte vor allem die Innenverteidigung mit Kapitän Aaron Mokoena und Bongani Khumalo sehr stabil, unterstützt von dem laufstaken Reneilwe Letsholonyane im defensiven Mittelfeld. Und wenn es nach vorne geht, soll die offensive Mittelfeldreihe mit den trickreichen Siphiwe Tshabalala, Teko Tsholofelo Modise und dem Star des Teams, Steven Pienaar, dafür sorgen, dass die Mannschaft zu Torchancen kommt.

"Kein Team wird fitter sein"

Doch die Personalien wirken in dieser WM-Vorbereitung wie Feinheiten, die hinter der wichtigsten Veränderung verschwinden: dass Carlos Parreira den Spielern den Glauben an das scheinbar Unmögliche vermittelt hat. Noch nie ist ein Gastgeber bei einer WM in der Vorrunde ausgeschieden, die Südafrikaner wollen nicht die Ersten sein. Dabei ist die Gruppe mit Mexiko, Uruguay und Frankreich nicht die leichteste, die ein Gastgeber je zugelost bekommen hat.

"Wir haben diesen Trainer gebraucht, der so viel Erfahrung und uns sein Selbstvertrauen vermittelt hat", sagt Mokoena, "wir kennen jetzt unsere Qualitäten: die Schnelligkeit und die Ballstafetten." Und noch etwas hat Parreira seinen Profis gelehrt: hartes Training. "Kein Team wird fitter sein als wir", versichert der Trainer. Doch wohin mit den Erwartungen der ganzen Nation? Mit dem Druck dieses Spiels, dass mehrere Milliarden Menschen sehen werden?

"Geht raus und habt Spaß. Genießt es", werde Parreira in der Kabine vor dem Anpfiff sagen. Selbst wenn das Spiel verloren geht, sei längst noch nicht alles verloren. Außerdem würde er gerne die Anspannung in Aggression gegen den Gegner umleiten. Wenn es sein muss, mit marzialischem Vokabular: "Ein WM-Spiel ist ein Krieg." Oder: "Wir werden jedem Gegner die Hölle bereiten." Um danach vielleicht in den südafrikanischen Fußballhimmel zu kommen. Oder wenigstens noch einmal in einen offenen Bus.

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