WM 2010: Deutschland - England:Der Mythos ist tot

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Das 4:1 der Deutschen über die Engländer geht als Klassiker durch. In gewisser Weise ist das Spiel aber auch der Anti-Klassiker schlechthin, weil es zwei Legenden ein Ende setzt.

Ludger Schulze

So oft, als hätte die Platte einen Sprung, musste man das Wort "Klassiker" zuletzt hören. Gemeint ist damit ein Spiel, das alles bietet, was der Fußball in seinen besten Momenten bereithält: eine besondere nationale Rivalität, eine lange Tradition, erbitterte Kampfhandlungen, unvergessliche Tore, Gesprächsstoff wegen der Ungerechtigkeit falscher Schiedsrichterentscheidungen und Resultate, die niemand so vorher erwarten konnte. So betrachtet geht der 4:1-Sieg der Deutschen in Bloemfontein über die Engländer in der Tat als Klassiker durch.

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In gewisser Weise aber war die Vorführung der schlappen Steifböcke von der Insel der Anti-Klassiker schlechthin, das Spiel setzte gleich zwei Legenden ein Ende. Denn seit dem 1. September 2001 glaubten die Engländer ernsthaft, auf der Insel könne man besser Fußball spielen als zwischen Flensburg und Berchtesgaden. Damals siegten sie in München 5:1.

Ein Stachel im Fleisch des deutschen Fußballs

Die Tatsache, dass seinerzeit sogar Emile Heskey ins Tor von Oliver Kahn traf, Heskey, der sonst aus zwei Metern Entfernung nicht mal die Fassade des Buckingham-Palasts treffen würde, hat sie zu dieser kuriosen Selbstüberschätzung gebracht. Es fehlte nur ein Tor für Joachim Löws Junioren-Mannschaft, um die einmalige Scharte auch zahlenmäßig auszugleichen.

Viel wichtiger aber ist die Beendigung eines Mythos, der in den vergangenen 44 Jahren für lebhafteste Abende an deutschen Stammtischen gesorgt hat. Das berühmte Wembley-Tor, das Geoff Hurst im WM-Finale 1966 (nicht) erzielte, als der Ball unter die Latte knallte und von dort ins Spielfeld zurückprallte, was der Linienrichter Tofik Bachramow aus der Sowjetunion ganz anders sah, saß wie ein Stachel im Fleisch des deutschen Fußballs.

Dieses Tor zum 3:2, dem später gegen die wild anstürmenden Deutschen das 4:2 folgte, ist hierzulande als Gipfel himmelschreiender Ungerechtigkeit empfunden worden. Damit ist nun Schluss, den Engländern ist diesmal Ähnliches in verschärfter Form widerfahren. Eine Legende aber bleibt lebendig: Die Engländer werden erst dann wieder ein Spiel gegen Deutschland gewinnen, wenn sie sich entschließen, mit einem Torwart anzutreten.

© SZ vom 28.06.2010 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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