Wimbledon:Immer mehr Schnuller im Weißröckchenreich

Lesezeit: 4 min

Viktoria Asarenka: Mit Baby zurück im Geschäft (Foto: AFP)
  • Viktoria Asarenka feiert in Wimbledon den ersten Sieg seit ihrer Rückkehr auf die WTA-Tour.
  • Nach längerer Babypause schlägt sie die Amerikanerin Catherine Bellis in der ersten Runde mit 3:6, 6:2 und 6:1.
  • Ihren Konkurrentinnen lebt sie vor, dass ein Tourleben mit neugeborenem Nachwuchs möglich ist.

Von Barbara Klimke, London

Über eine teuflisch harte Vorhand verfügt Viktoria Asarenka und über gefährlich lange Passierschläge. Aber was sie im Turnieralltag derzeit wirklich braucht, ist eine Engelsgeduld. "Nicht vor 17.00 Uhr", stand kurz und knapp auf dem Matchplan, den man ihr am Vorabend ausgehändigt hatte, ohne weitere Zeit- und Ortsangaben. Die Mauern von Court Number One warfen schon lange Schatten, als sie endlich die burgartige Arena betrat.

"Ich musste im Grunde den ganzen Tag über auf der Anlage sein", sagte Asarenka, nachdem sie drei Sätze später einen Matchball verwandelt und dann noch ein Weilchen gewartet hatte, ehe ein Pressekonferenzraum für sie frei geworden war. Zu diesem Zeitpunkt hatte sich längst die Nacht über London gelegt. Es war ein langer erster Arbeitstag für eine Profispielerin. Vor allem für eine Profispielerin, die ein sechseinhalb Monate altes Baby zuhause hat.

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Die 27-jährige Viktoria Asarenka aus Minsk hat nach der Geburt ihres Sohnes Leo am 19. Dezember schon vor zwei Wochen in Mallorca ein paar Matches unter Wettbewerbsbedingungen bestritten. Aber erst hier, in Wimbledon, muss sich zeigen, wie gut sie Stopps, Schnuller und Schmetterbälle in Einklang bringen kann. Sie ist schließlich nicht irgendwer, sondern eine ehemalige Nummer Eins der Weltrangliste, Siegerin der Australian Open 2012 und 2013, eine Frau mit hohen Ansprüchen an sich selbst. Sie sagt selbst, dass sie kein Interesse daran habe, "nur zum Spaß" Bälle übers Netz zu dreschen. Im Gegenteil: "Ich will versuchen, noch besser zu werden, als ich jemals war."

Nun ist es nichts Außergewöhnliches, Familie und Hochleistungssport zu verbinden. Tatjana Maria, eine deutsche Tennisspielerin, ist schon seit drei Jahren mit ihrem Mann und Töchterchen Charlotte auf der Tour. Am Dienstag gewann sie ihr Wimbledon-Auftaktmatch gegen die Russin Anastasia Potapowa, die nach einer Verletzung aufgeben musste (6:2 und 2:2), und sie sagt: "Mit Kindern zu reisen ist das Beste der Welt. Für sie ist es völlig unerheblich, ob man gewinnt oder verliert." Auch zwei weitere Kolleginnen, Kateryna Bondarenko und Jewgenia Rodina, haben Kinder.

Leo schläft gut

Asarenkas großes Vorbild ist die US-amerikanische Beachvolleyballspielerin Kerri Walsh, eine Mutter von drei Kindern, die dreimal Olympiasiegerin wurde und 2016 bei den Sommerspielen in Rio de Janeiro mit 38 Jahren noch einmal Bronze gewonnen hat. Auch Asarenka hat die üblichen Umstellungen, die nächtlichen Unterbrechungen etwa, gut im Griff, wie sie sagt. Zumal: "Leo hat einen guten Schlaf." Problematisch sei eher die Logistik, weil Profitennis nun einmal ein Sport für Hotelreisende und Vielflieger ist.

So hatte sie anfangs skeptisch auf den Vorschlag ihres neuen Trainers, Michael Joyce reagiert, nicht erst zur US-Hartplatzsaison im Spätsommer, sondern schon früher, vor Wimbledon, wieder in den Turnierbetrieb einzusteigen. "Zunächst war ich nicht sicher, ob ich mental schon darauf vorbereitet war. Ich hatte alles für die Rückkehr beim Turnier in Stanford geplant: die Flüge für uns alle, die Unterkünfte, die Hotelarrangements." Aber dann stellte sie beim Training fest, dass es doch eher die Matchpraxis war, die ihr nach der Geburt des Kindes fehlte.

In Wimbledon hat sie nun ein Haus für die Dauer des Turniers angemietet. Ihre Mutter ist aus Weißrussland zum Babysitten angereist, und selbstverständlich kümmert sich ihr Freund Billy, ein Golfprofi, um den Jungen, wenn Mama in der ersten Runde auf Court Number One damit beschäftigt ist, der 18-jährigen US-amerikanischen Tennishoffnung Catherine Bellis drei Sätze lang (3:6, 6:2, 6:1) die Bälle um die Ohren zu schlagen. Asarenka hat in ihrer Karriere bislang 28 Millionen Dollar allein an Preisgeld verdient, und dass es durchaus möglich ist, sorgenfrei und einigermaßen stilvoll mit Kind und Kegel um den Globus zu reisen, macht seit Jahren Roger Federer, Vater von vier Kindern, vor: Als er im Frühjahr mit einem Tross von 14 Personen am Flughafen von Indian Wells landete, standen vier Autos für alle mit Sack und Pack bereit.

Seit Jahren schon ist im Tenniszirkus zu beobachten, dass die Spielerkarrieren länger als früher andauern: Der Schweizer Federer ist 35 Jahre alt, der Brite Andy Murray, der demnächst zum zweiten Mal Vater wird, ist 30, und in den Umkleidekabinen sind Kinder mittlerweile zum Dauerthema geworden. Allerdings hauptsächlich in den Männerumkleiden, wie Asarenka weiß: "Die Jungs haben ja den Luxus, dass sie ihre Karriere nicht unterbrechen müssen, wenn die Kinder kommen. Bei Frauen ist das schwieriger."

Bruch mit der Selbstsucht

Kompliziert findet Asarenka es vor allem, dass sie ihre Aufmerksamkeit nun nicht mehr ungeteilt nur auf den Sport richten kann. "Wenn ich zum Training auf den Platz gehe, dann mache ich nichts außer zu trainieren. Aber danach dreht sich jetzt alles um einen anderen Menschen: Es geht nicht mehr um mich allein." In einem Individualsport wie Tennis, sagt sie, könne das knifflig sein. "Da wird man ja ein bisschen zur Selbstsucht erzogen."

Ganz generell aber findet sie es wunderbar, dass sie dazu beiträgt, das Thema Kinder im Weißröckchenreich populärer zu machen. Serena Williams, 35, die wegen ihrer Schwangerschaft derzeit nicht zu Turnieren reist, postet bei Instagram fleißig Fotos, die sie im siebten Monat mit dem Schläger in der Hand auf dem Tennisplatz zeigen. Und auch die Kollegin Mandy Minella, 31, aus Luxemburg, die am Montag in Wimbledon in der ersten Runde gegen die Italienerin Francesca Schiavone verlor, ist schwanger.

Viktoria Asarenkas Botschaft an alle Athletinnen, egal in welchem Sport, lautet: "Das ist nichts, wovor man Angst haben muss." Aber man muss die jungen Mütter in Wimbledon ja trotzdem nicht den halben Tag auf ein Match warten lassen.

© SZ vom 05.07.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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