In der größten Not hat Werder Bremen den Weg zurück in die Zukunft eingeschlagen: Einen Spieltag vor dem Saisonende, den drohenden Direktabstieg vor Augen, war auch den bedächtigen Hanseaten endlich klar: Es muss etwas passieren - spät, aber doch. Und so stellten sie nach dem 0:2 (0:0) beim damit geretteten FC Augsburg und einer Nacht der Gespräche Trainer Florian Kohfeldt frei - und installierten für ihn einen Mann aus der Vergangenheit: Thomas Schaaf (60).
Der Griff nach dem letzten Strohhalm hatte sich schon am Samstagnachmittag angedeutet, als Manager Frank Baumann ähnlich wie drei Wochen zuvor Kollege Stefan Reuter einen verbalen Eiertanz aufführte, um ein Bekenntnis zu seinem Trainer zu vermeiden. "Wir haben", sagte er im ZDF, "eine brutal große Enttäuschung erlebt, sodass ich keine klaren Aussagen treffen möchte. Ich möchte mich mit meinen Kollegen und dem Aufsichtsrat abstimmen."
Die Abstimmung nach der Rückkehr ins Trainingslager in Barsinghausen ging schnell, am Sonntagvormittag schon gab Werder bekannt: Das Urgestein Schaaf, seit Juli 2018 Technischer Direktor im Verein, soll am letzten Spieltag gegen Borussia Mönchengladbach und danach in möglichen Relegationsspielen retten, was noch zu retten ist. Schaaf, sagte Baumann, solle der Mannschaft nun vor allem "die unbedingte Überzeugung und den absoluten Willen" vermitteln.
Es war am Samstag in Augsburg nicht zu übersehen, dass den Bremern vor allem diese beiden Eigenschaften fehlten. "Leider hatten wir nach dem Spiel in Augsburg nicht mehr die Überzeugung, mit Florian Kohfeldt den Klassenerhalt schaffen zu können", betonte Baumann daher folgerichtig. Allerdings hätte diese Erkenntnis schon früher reifen können: In den seinen neun Spielen seit dem 25. Spieltag holte Werder gerade mal einen Punkt.
Argumente für eine Weiterbeschäftigung hatte Kohfeldt, der seit dem 1:3 bei Union Berlin vor drei Wochen nur noch ein Trainer auf Abruf war, nun in der Tat nicht mehr. Bremen ist abgerutscht auf den Relegationsplatz und braucht nun dringend einen Sieg gegen Borussia Mönchengladbach, um damit wenigstens den direkten Abstieg, den zweiten nach 1980, mit Sicherheit zu vermeiden.
"Das ist natürlich eine riesige Herausforderung", weiß Schaaf. In Augsburg war die Mannschaft dieser Herausforderung nicht gewachsen. Nach 13 Minuten flog der Augsburger Ruben Vargas (Rot, Tätlichkeit) vom Feld, der Vorteil der Überzahl blieb jedoch trotz guter Chancen ungenutzt - und er war vollends dahin, als Christian Groß Gelb-Rot sah (48.)
Kohfeldt stellte deshalb fest: "Wir haben es uns selbst verbaut." Und ergänzte: Gerade vor dem Tor sei die "letzte Überzeugung nicht da". Ergänze: Siegeswille. Mangelnde Einstellung wollten sich die Bremer jedoch nicht vorwerfen lassen. "Wir haben alles reingeworfen", sagte nicht nur Leonardo Bittencourt, der nach dem 1:0 der Augsburger durch Rani Khedira (57.) lediglich den Pfosten traf (72.), bei Sky.
Auch er beklagte jedoch mangelnde Kaltschnäuzigkeit: "Wenn Du kein Tor schießt, kannst Du die Klasse nicht halten." Aber: Noch hoffen sie. "Wir sind noch am Leben", sagte Kapitän Niklas Moisander. Das dürfen allerdings unwidersprochen nur die Augsburger behaupten - die in Person von Manager Stefan Reuter vor drei Wochen gehandelt hatten.
Nach der Heimniederlage gegen den 1. FC Köln gab auch er kein Bekenntnis zum Trainer ab - die Folge: Heiko Herrlich flog raus, Markus Weinzierl kam, und nun dürfen die wiederbelebten Schwaben für ein elftes Jahr in der Bundesliga planen. Daniel Caligiuri (90., Foulelfmeter) stellte dies sicher. Reuter durfte sich auf die Schulter klopfen, gerade noch rechtzeitig die Notbremse gezogen zu haben. "Elf Jahre Bundesliga zu spielen, ist für uns ein Traum", sagt er. Was der neue Trainer vor allem bewirkt hat? "Er hat", sagte Reuter, "viel Energie und Glauben in die Mannschaft gebracht". Also alles, was Werder Bremen zuletzt fehlte.