Weltcup-Abfahrt in Garmisch:Bis die Oberschenkel brennen

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Er möchte den Fluch der Strecke brechen: Josef Ferstl auf der Kandahar in Garmisch-Partenkirchen. (Foto: Karl-Josef Hildenbrand /dpa)

Enge Kurven, der Freie Fall und 4000 Zuschauer im Zielraum: Die Kandahar in Garmisch ist Deutschlands einzige Weltcup-Abfahrt. Die Wettkämpfe am Wochenende sollen ihr zu neuem Glanz verhelfen.

Von Gerald Kleffmann

Wenn der Josef "Beppi" Ferstl am Samstagmittag die Kandahar hinunterbrettert, wird auch er seinem Papa nicht helfen können.

Der Beppi, 26 Jahre alt und wie Josef "Sepp" früher Skirennfahrer, wird im Starthaus stehen auf Deutschlands einziger und daher berühmter Abfahrtsstrecke im Weltcup, vielleicht kurz zur Zugspitze blicken, schon beginnt die "lässige G'schicht", wie der Sohn die Strecke nennt: gleich in den betonharten Tröglhang, über Schussanger und Himmelreich zum Eishang, ja, und dann geht es nicht wie beim Josef anno 1978 links runter, wo der Vater schmerzhafte drei Hundertstelsekunden verlor, sondern in die rechte Trasse über Padöls und den Freien Fall, der so zu fahren ist, wie er heißt, ins Ziel, wo "die Oberschenkel brennen", wie Beppi zugibt.

Vielleicht hätte man eine der Stellen heute nach Sepp Ferstl genannt, aber wenn einer in einer Nebelbank für einen Moment den Körper aufrichtet, was prompt um 0,03 Sekunden Bronze kostete, kommt ihm eben leider nicht diese Ehre zuteil. Sportlerpech.

Die Zeiten haben sich geändert - und wie

"Ich suche immer noch die drei Hundertstel", sagt Ferstl senior und lacht. Böse ist er der Kandahar nicht, denn obwohl er nur Vierter wurde bei der heimischen WM damals, hat er sich erstens mit Kombinations-Silber kurz darauf versöhnt und zweitens: Auf die Kandahar lässt eh keiner etwas kommen. "Das ist eine grandiose Abfahrt", sagt Vater Ferstl, "auch wenn sich die Zeiten etwas geändert haben."

Oh ja, und wie. Früher waren die Abfahrtsski 2,33 Meter lang und kerzengerade, "heute ist das Material viel besser und der Kurvenverlauf viel ausgeprägter", erklärt Josef Ferstl. Die Carving-Technologie meint er vor allem, die die 4000 Zuschauer auch im Zielraum bestaunen können. Der Freie Fall, steilste Stelle im Skizirkus mit unfassbaren 92 Prozent Gefälle, eine weiße Wand im Schnee und von unten einsehbar, wird mit Sätzen über 40, 50 Meter übersprungen, "und dann müssen wir aufpassen, die enge Linkskurve zu erwischen", sagt Ferstl Junior, der ja gerne springt.

(Foto: N/A)

Der Vater sieht das anders, "ich weiß nicht, ob jede Strecke vier, fünf Riesensprünge haben muss, für den Körper ist das sicher nicht ideal", sagt der Senior. Seinerzeit, die Bilder hat er im Kopf gespeichert, "hatten wir auch große Sprünge, aber so 20, 30 Meter weit". Nach 15 Jahren hatte er die Quittung für diese Belastung erhalten, Verschleißerscheinungen lassen ihn nicht mehr seinen geliebten Skisport so ausüben, wie er es gerne täte. Über den Freien Fall, anlässlich der WM 2011 in Garmisch konzipiert, ist er indes schon mal gefegt, "ich bräuchte das nicht mehr", sagt er ironisch und grummelt in sich hinein.

Das Interessante an der Kandahar ist, dass der Freie Fall die spektakulärste Stelle darstellt, "aber sie ist nicht die schwierigste", ordnet Mathias Berthold ein, zumal diesmal der Absprung abgeflacht wurde, um die Athleten nicht bis zum Mond fliegen zu lassen. "Es geht noch weit genug", versichert Hannes Reichelt, der Österreicher war zweimal Trainingsschnellster.

Berthold, Bundestrainer der Männer, weiß, dass die Gefahren des Zeitverlustes in anderen Passagen lauern, nach dem Tröglhang gilt es, genügend Geschwindigkeit fürs flachere Stück mitzunehmen, und wer die Kurve nach dem Freien Fall verpatzt, wird bei der Zieleinfahrt bestraft. "Aber natürlich ist die Kandahar ein Klassiker", betont Berthold, allerdings sieht er die 3330 Meter lange Strecke nicht ganz in einer Liga mit Kitzbühel und Wengen, hauchdünn danach aber schon.

Ferstl senior schaut dem Sohn am Fernseher zu

Franz Klammer, Markus Wasmeier, Luc Alphand, Hermann Maier - die Kandahar hat viele große Sieger hervorgebracht, und zur Reputation trug auch der einzigartige Name bei. "Wir haben lange den Begriff Kandahar etwas vernachlässigt", gibt Peter Fischer zu, seit 18 Jahren Chef des Ski-Clubs Garmisch und als solcher Gastgeber der Rennen; am Sonntag findet der Riesenslalom statt, vom tiefer gelegten Start aus.

Nun schmückt wieder ein großes "K" das Logo, der Name stammt von einem britischen Feldmarschall, nach dem früher die Arlberg-Kandahar-Rennen benannt wurden. Frederick Roberts, the Earl of Kandahar, stiftete seinerzeit den Pokal. Ab 1970 dann wurde in Garmisch erstmals im Weltcup unter dem Begriff Kandahar gefahren, "das ist unser Markenzeichen", sagt Fischer, "wir wollen dahin, dass jeder normale Skifahrer sich sofort etwas unter dieser Marke vorstellen kann".

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Einen schlimmen Moment nur erlebte der Skisport, als 1994 die Österreicherin Ulrike Maier tödlich verunglückte, auf der alten Route der Männer, lange fand daraufhin keine Frauen-Abfahrt statt. Der Freie Fall soll seit der WM 2011 helfen, ein Alleinstellungsmerkmal zu schaffen; stolz berichtet Fischer, dass gerade eine Delegation aus der Slowakei zu Besuch sei, um von der Kandahar zu lernen, nächste Woche beim Frauen-Weltcup reisen Japaner an.

Ferstl senior muss das alles nicht tangieren, er bleibt diesmal in Traunstein, er schaut dem Sohn am Fernseher zu, der Beppi gefiel mit zwei Trainingsfahrten in den Top 15, er ist nur leicht erkältet. Freier Fall hin oder her, Josef Ferstl würde sich mehr freuen, wenn die drei Hundertstel auftauchen würden. "Wenn mich der Werner Grissmann trifft", sagt er und meint den WM-Dritten 1978, "sagt er: Du, Sepp, bei mir hängt deine Medaille!"

Das ist sein Fluch von Deutschlands berühmter Kandahar, die er doch so mag.

© SZ vom 28.02.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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