Weitsprung:Wenn der vierte Platz ein Sieg ist

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Tadelloser Wettkampf: Die deutsche Weitspringerin Malaika Mihambo hat ihre Möglichkeiten wahrgenommen. (Foto: Regina Schmeken)

Persönliche Bestleistung, aber knapp keine Medaille: Der Wettkampf von Weitspringerin Malaika Mihambo zeigt, wie nah Glück und Unglück bei Olympia zusammenliegen.

Von Johannes Knuth, Rio de Janeiro

Gewinnerin oder Verliererin? Die Weitspringerin Malaika Mihambo wollte sich nicht festlegen, als sie in den Katakomben des Olympiastadions um die Ecke bog, sich ein paar Tränen aus den Augen drückte. Aber sie sah doch bald wie Erstere aus.

Mihambo hatte sich in der schwülen Nacht von Rio durch einen flirrenden Wettkampf getastet. Sie war nahe an eine Bronzemedaille gerückt, die sich vor dem letzten Sprung vor ihren Augen auftat - und plötzlich verschwand, wie eine Fata Morgana. 13 Zentimeter trennten sie mit ihren 6,95 Metern von der Serbin Ivana Spanovic (7,08). Aber Mihambo entwickelte schnell eine entspannte Beziehung zu ihrem vierten Platz. "Ich habe eine neue Bestleistung aufgestellt, bin über mich hinausgewachsen", sagte sie, "wenn es dann nicht reicht, ist es in Ordnung." Doch, entschloss sich Mihambo, "ich bin sehr glücklich".

Die deutschen Leichtathleten pendelten auch am sechsten Tag in Rio zwischen Freude, Erleichterung und Enttäuschung. Cindy Roleder, WM-Zweite von Peking, stieß über 100 Meter Hürden als erste Deutsche seit 1988 in ein olympisches Finale vor. Sie wurde dann Fünfte (12,74 Sekunden), hinter den starken Amerikanerinnen. Von den ambitionierten Zehnkämpfern hob sich zunächst nur Kai Kazmirek in die Spitze, am Ende wurde er Vierter, er steigerte seine Bestleitung um mehr als hundert Punkte. Und Mihambo begann ihre zarte Enttäuschung bald abzuschütteln, man dürfe eines ja nicht vergessen, sagte sie: "Ich habe lange gedacht, dass ich dieses Jahr gar nicht mehr springen kann."

Der neunte Platz der Russin Darja Klischina rückt fast in den Hintergrund

Mihambo hatte ihren Betrieb im Januar für drei Monate eingestellt, die Patellasehnen in den Knien schmerzten. Im April tastete sie sich wieder ins Training. Den ersten harten Trainingsblock des Jahres schrieb ihr Trainer aber erst nach der EM im Juli in den Plan, ein paar Tage, nachdem Mihambo in Amsterdam Dritte geworden war. "Ich brauche diesen Druck, das Feeling von einem Wettkampf", sagte sie danach. Offenbar handelt es sich bei ihr um einen dieser Athleten, für die das Fachlexikon des Sports den Begriff Wettkampftyp vorsieht. Mihambo, hat ihr Trainer Ralf Weber einmal gesagt, verfüge über die Gabe, im Wettkampf einfach da zu sein.

Mihambo brachte diese Kernkompetenz in Rio gleich im ersten Sprung ein, 6,83 Meter, Saisonbestleistung. Sie klammerte sich an Platz drei, die Konkurrenz drängelte sich vorbei, Spanovic, die Amerikanerinnen Tianna Bartoletta und Brittney Reese. Im fünften Versuch schien Mihambo den Wettkampf auf ihre Seite gezerrt zu haben: 6,95 Meter, persönliche Bestleistung. Nein, es reichte nicht, die weitengleiche Spanovic hatte einen besseren zweiten Versuch in den Büchern stehen, sie behielt Rang drei. Die Besten zogen jetzt davon, 7,08 Meter von Spanovic, 7,15 von Reese, 7,17 Meter für Bartoletta. Der neunte Platz von Darja Klischina (6,63) rückte fast in den Hintergrund; Publikum und Springer nahmen kaum Notiz von ihr. Klischina war die einzige russische Leichtathletin, die sich vor dem Sportgerichtshof Cas ihr Startrecht für Rio erstritten hatte, sie lebt seit Längerem in den USA. "Es hat mich sehr belastet", sagte sie. Russlands Leichtathleten sind wegen staatlich gelenkten Dopings derzeit von internationalen Leistungsmessen verbannt.

Mihambo sprach in Rio mittlerweile angenehm unaufgeregt über ihren Wettkampf. Sie ist eines dieser Beispiele, das zeigt, was passieren kann, wenn ein Talent an die richtigen Lehrer gerät. Sie lebt von ihrer Schnelligkeit, bei 1,70 Meter Größe wiegt sie 56 Kilo, sie muss wenig Kraft aufwenden, um weit zu springen. Ralf Weber, ihr erster Trainer beim TSV Oftersheim, betreut sie bis heute, er baute sie behutsam auf. Weber unterrichtet im richtigen Leben Sport, Mathe und Physik. "Ich muss keine Erfolge bringen, um meine Karriere als Trainer voranzubringen", hat er einmal gesagt. Mihambo wurde 2013 Junioren-Europameisterin, im selben Jahr reiste sie mit den Erwachsenen zur WM nach Moskau, als Jüngste. Wenn junge Hochbegabte zu den Erwachsenen wechseln, kann es schon mal ruckeln und knarzen. Aber Mihambo und Weber machten einfach so weiter, wie sie es immer gemacht hatten, behutsam, unaufgeregt. "Manchmal muss er mich anspornen, manchmal darf ich auch einen Durchhänger haben", sagte Mihambo, das mache für sie ein gutes Arbeitsumfeld aus: "Dass man immer weiß, was der andere braucht."

Und jetzt? Mihambo hat ihr Politikstudium in Mannheim bald geschafft, sie wird sich ein Praktikum suchen ("ich brauche was für den Kopf") und parallel weiter in die Weltspitze tasten. Sie redet ganz unerschrocken von den sieben Metern, "wenn die mal gefallen sind und man sich in dem Bereich stabilisiert, dann kann man sich ganz viel erträumen und ausrechnen", sagt sie. Olympia 2020? "Na ja", sagt Mihambo, "jetzt planen wir erst mal für 2017." Sie weiß: Auch viele kleine Schritte führen irgendwann ans Ziel.

© SZ vom 19.08.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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