Radsport: Jumbos Dominanz:Ein Dreizack und ein Dopingfall

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Die Rundfahrt-Dominatoren der Saison: Jonas Vingegaard, Sepp Kuss und Primoz Roglic. (Foto: Stefano Sirotti/Imago)

Dem Rad-Team Jumbo gelingt ein historischer Triumph: Es heimst bei der Vuelta die Plätze eins bis drei ein und gewinnt in einer Saison alle drei großen Rundfahrten. Die Dominanz befeuert Zweifel - und jetzt muss Jumbo einen positiven Dopingtest klären.

Von Johannes Aumüller

Ein wenig dauerte es, bis alle drei beteiligten Herren richtig postiert waren. Sie korrigierten noch die Abstände und achteten auf die Synchronität, dann waren sie auf den letzten Metern der Etappe nach Guadarrama bereit für ein denkwürdiges Bild. In der Mitte fuhr Sepp Kuss, gekleidet in das rote Trikot, das der Führende der Spanien-Rundfahrt traditionell trägt; links und rechts von ihm seine Teamkollegen Jonas Vingegaard und Primoz Roglic in den üblichen Hemden ihrer Jumbo-Visma-Equipe. Mal zeigten die Außenleute mit den Fingern auf den Mann in der Mitte, mal fuhren sie Arm in Arm, dann erreichten sie Seite an Seite und voller Stolz die Ziellinie.

Es war ein Fotoshooting, mit dem der Jumbo-Dreizack nicht nur den Gesamtsieg bei der Vuelta feierte, sondern den größten Triumph einer Mannschaft in der Geschichte der großen Landesrundfahrten. Die Plätze eins, zwei und drei im Gesamtklassement heimsten der US-Amerikaner Kuss, 29, der Däne Vingegaard, 26, und der Slowene Roglic, 33, ein. Zugleich komplettierten sie damit die historische Titelsammlung. Als erstes Team entschied Jumbo in einer Saison alle Rundfahrten für sich: den Giro d'Italia im Frühjahr durch Roglic, die Tour de France im Sommer durch Vingegaard, nun also die Vuelta a España durch Kuss.

Es ist eine fast schon beängstigende Dominanz, die dieses Team aufführt. Bei der Vuelta konnte kein Rivale dauerhaft folgen, nicht mal der belgische Wunderknabe Remco Evenepoel, der kurz in Rot fuhr, dann an einem schwarzen Tag alles verspielte. Der beste Nicht-Jumbo-Fahrer (Juan Ayuso/UAE) lag fast drei Minuten hinter dem Podium. Und es war bezeichnend, dass es genau eine Mannschaft gab, die diesen feierlichen Moment zerstören konnte: die Jumbo-Equipe selbst.

Kuss trägt Rot - und seine Teamkollegen attackieren

Sie war ja mit Roglic und Vingegaard als Doppelspitze in die Rundfahrt gezogen, doch dann fügten sich die Dinge in den ersten Tagen so, dass Kuss als Mitglied einer Ausreißergruppe ins Leadertrikot fuhr - ein Fahrer, der wie kaum ein anderer im Peloton das Wort Edelhelfer verdient. Zu zahlreichen Triumphen hat er Roglic und Vingegaard pilotiert, nun lag ein Lohn für all die Dienste plötzlich vor ihm. Doch bei verschiedenen Abschnitten fuhren ihm dann seine Chefs Roglic und Vingegaard davon - mit Erlaubnis der Teamleitung.

Das ist gewiss eine schwer zu moderierende Situation, die jedenfalls zu wahrlich schrägen Momenten führte. Bei einer Bergetappe hatte der von Roglic und Vingegaard abgehängte Kuss das Glück, dass er noch das Hinterrad eines Kontrahenten erwischte, um in dessen Windschatten bis ins Ziel nicht zu viel Zeit auf die enteilten Teamkollegen zu verlieren. Am Ende der Rundfahrt blieben ihm gerade mal 17 Sekunden Vorsprung. Selbst Fahrer anderer Teams waren empört, und erst in den letzten Tagen erging die klare Order von der eigenen Kommandobrücke, dass der Helfer Kuss nun mal triumphieren dürfe.

Vingegaard versteht die Skepsis - und beteuert, dass alle sauber seien

Neben dem Umgang mit der teaminternen Hierarchie befeuern solche Auftritte auch die Zweifel an der Glaubwürdigkeit der Mannschaft, die vor einem Jahrzehnt aus den Trümmern des dopingverseuchten Teams Rabobank entstand. Der frühere Radprofi und Teamchef Jérôme Pineau unterstellte sogar unverhohlen Motordoping, als eine Sequenz vom Tourmalet die Runde machte, bei der Kuss attackierte, von einem Zuschauer ausgebremst wurde und direkt wieder die alte Geschwindigkeit aufnahm - was das Team sofort als "bizarre Anschuldigung" zurückwies. Vingegaard trug gegen Ende der Vuelta dann ähnliche Sätze vor wie während seines überlegenen Tour-Triumphes. "Es ist immer gut, skeptisch zu sein, besonders wenn ein Team die Sache so gut macht", sagte er. Aber er nehme nichts, und er sei 100 Prozent sicher, dass seine beiden Kollegen auch nichts nehmen würden.

Dabei ist das Thema für Jumbo nun noch eine Spur delikater geworden, weil es sich mit einem konkreten Dopingfall beschäftigen muss. Mitte August suspendierte das Team den deutschen Fahrer Michel Heßmann, 22, der in diesem Jahr bei Roglic' Giro-Sieg sein Grand-Tour-Debüt gab und auch im deutschen Aufgebot der Straßen-WM stand. In einer Mitte Juni genommenen Probe hatten Kontrolleure der nationalen Anti-Doping-Agentur (Nada) ein Diuretikum gefunden.

Der positiv getestete Michel Heßmann beim Giro d'Italia. (Foto: Jasper Jacobs/dpa)

Diuretika gehören zu den verbotenen Substanzen, die Kontrolleure besonders häufig nachweisen. Sie wirken entwässernd, weil sie die Harnproduktion antreiben, im Sport werden sie aus zwei Gründen eingesetzt. Vor allem in den Sportarten mit Gewichtsklassen dienen sie dazu, kurzfristig das Gewicht zu drücken - und in vielen anderen als Maskierungsmittel, weil sie Hinweise auf andere, gravierende Dopingsubstanzen aus dem Körper spülen. Der prominenteste Fall im Radsport ist der des Luxemburgers Frank Schleck, der 2012 nach einem positiven Diuretikumtest die Tour verlassen musste. Allerdings führt ein Fund nicht automatisch zu einer Sperre durch die zuständige Anti-Doping-Instanz. Die Suspendierung bei Heßmann erfolgte nicht durch die Nada, sondern durchs Team.

Nun läuft bei der Nada ein sportrechtliches Verfahren - und parallel dazu eine Ermittlung der Staatsanwaltschaft Freiburg, die bei einer Hausdurchsuchung Mitte August keine Dopingmittel fand, dafür elektronische Geräte sicherstellte. Der Radprofi bestreitet ein Vergehen. "Bei Herrn Heßmann liegt keine missbräuchliche Verwendung eines Diuretikums vor. Nach den derzeitigen Untersuchungsergebnissen und Erkenntnissen aus anderen Diuretika-Fällen spricht alles für eine Kontamination", teilt sein Anwalt Rainer Cherkeh auf SZ-Anfrage mit.

Für manche Diuretika gilt ein Grenzwert - aber nur für manche

Nähere Angaben zu diesen Untersuchungsergebnissen will Heßmanns Seite derzeit nicht machen. Interessant ist, dass sich die Welt-Anti-Doping-Agentur (Wada) erst vor zwei Jahren mit dem Komplex Diuretika und Kontamination befasste. Da verfügte sie, dass bei bestimmten Diuretika ein Nachweis bis zu einem bestimmten Grenzwert (20 Nanogramm/Milliliter) nicht als Positivtest zu werten sei. Der Grund: So geringe Spuren der Substanzen könnten auch in normalen Arzneimitteln als Rückstand aus der Produktion vorkommen. Und bei derart niedrigen Konzentrationen könnten die Mittel auch nicht effektiv andere verbotene Substanzen maskieren, so die Wada. Allerdings bezog sie sich in ihrem Dokument nicht auf alle Diuretika, sondern benannte nur sechs konkret.

Da dürfte also eine interessante sportrechtliche Auseinandersetzung bevorstehen. Für den deutschen Sport - und für das Team, das gerade einen so großen Triumph feiert.

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