Volleyball:Letzte Ausfahrt vor dem Abgrund

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Enttäuschte Raben: Für Alondra Vazquez Rivera (li.) und Yeisi Paola Soto Nunez geht es in Vilsbiburg nicht weiter. (Foto: Wolfgang Fehrmann/HMB-Media/Imago)

"Friss oder stirb": Die Roten Raben Vilsbiburg beantragen auch deshalb keine Erstliga-Lizenz im Volleyball mehr, weil sie nicht mehr mithalten konnten. Sie versuchen den Neustart in der zweiten Liga Pro - und setzen auf die Unterstützung der Stadt und ihrer Sponsoren.

Von Sebastian Winter

In Vilsbiburg liegt alles nah beieinander. Die Ballsporthalle, die den Erstliga-Volleyballerinnen als Heimstätte diente; die Geschäftsstelle samt Jugendinternat; der Hauptsponsor Flottweg, ein millionenschwerer Zentrifugenhersteller; die anderen beiden großen Geldgeber. Diese Einzelteile, ohne die es die Roten Raben Vilsbiburg nicht geben würde, liegen im niederbayerischen 12 000-Einwohner-Städtchen in einem Radius von zwei, drei Kilometern.

Kurze Wege gab es schon immer in Vilsbiburg, auch zur Politik, die städtische Sporthalle wurde 2011 nicht zuletzt gebaut, um den Raben eine moderne Heimat zu geben. Nun, an diesem späten Dienstagvormittag, schließt sich der Kreis. Denn die Verantwortlichen all dieser Teile sitzen nun beisammen im Mehrzweckraum, der bei Heimspielen immer auch VIP-Raum war. Und sie begründen, warum sich der Klub vor einer Woche entschlossen hat, keine Erstligalizenz mehr zu beantragen.

Der Schritt war nicht nur für Stadt und Verein ernüchternd, sondern auch für die Volleyball-Bundesliga. Vilsbiburg war schon in den Achtzigern Erstligist, seit 2001 dann 23 Jahre lang ununterbrochen. Deutscher Meister 2008 und 2010, Pokalsieger 2009 und 2014, mehrmals im Europapokal vertreten - die Raben waren ein Aushängeschild für eine ganze Region, in der es sonst wenig hochklassigen Ballsport gibt. Und für die Liga ein Traditionsverein, auf den man sich sportlich wie finanziell verlassen konnte. Entsprechend sagt Klaus Peter Jung, der Aufsichtsratsvorsitzende der Spielbetriebs-GmbH: "33 Jahre erste Liga, das können nicht viele Volleyballvereine in Deutschland vorweisen. Aber auch ich habe den Systemwechsel übersehen. In der Frauen-Bundesliga ist ein Wettbewerb eingetreten, der heißt: ,friss oder stirb.'"

Jung meint die Etats der großen Klubs, wie Stuttgart und Schwerin, deren Budget sich jeweils drei Millionen Euro annähert, auch die übrigen Vereine hantierten demnach mit mehr als 1,5 Millionen Euro. Vilsbiburg hatte bislang gut eine Million Euro zur Verfügung, laut eines Drei-Jahres-Plans sollten daraus 2,5 Millionen Euro werden. Die Gesellschafter, die in den vergangenen beiden Jahren jeweils selbst einen sechsstelligen Betrag investierten, stellten aber die Bedingung, dass dafür ein bis zwei weitere Großsponsoren gefunden werden. Doch diese fanden sich bislang nicht. Zugleich steigen die Gehälter der Spielerinnen, von denen inzwischen ein Großteil eigene Berater hat, immer weiter an. Das sind die beiden Hauptgründe, warum sich Vilsbiburg nun aus dem Wettbewerb zurückzieht. "Wir wären nicht mehr konkurrenzfähig gewesen", sagt Jung.

"Ich hatte nie die Ambition, einen Insolvenzantrag stellen zu müssen", sagt Geschäftsführer Wehnert

Wenn man so will, dann haben sie also die Reißleine gezogen, bevor sie möglicherweise in einen finanziellen Abwärtsstrudel geraten. Raben-Geschäftsführer André Wehnert, der nun aufhört, findet jedenfalls: "Ich hatte nie die Ambition, einen Insolvenzantrag stellen zu müssen." Die Region und ihre Einzelteile - so versichern es zugleich die Bürgermeisterin Sibylle Entwistle, die auch gekommen ist, die Sponsoren, die Gesellschafter und der Vereinspräsident - wollen die Volleyballerinnen weiter unterstützen. "Wir sind stolz und froh, dass wir die Roten Raben haben", sagt Entwistle.

Der Plan sieht nun vor, am 2. Mai einen Lizenzantrag für die zweite Liga Pro zu stellen und sich dort künftig mit Nachwuchstalenten idealerweise aus dem eigenen Internat zu etablieren. Die zweite Mannschaft, die am Samstag gegen den TV Holz nur noch zwei Sätze benötigt, um Meister der zweiten Liga Süd (die dritthöchste Liga hinter der zweiten Liga Pro) zu werden, zieht sich dann - wohl eher zähneknirschend - in die dritte Liga zurück. Sportdirektor Guillermo Gallardo übernimmt zusammen mit Alberto Chaparro das Traineramt für die erste und zweite Mannschaft, ein hybrides Modell, das die Durchlässigkeit fördern soll.

"Wir haben jetzt eine Phase der Konsolidierung", sagt Jung, der davon ausgeht, "dass wir von unseren 53 Sponsoren 51 halten können". Wenn der Plan aufgeht, samt Crowdfunding-Aktionen, hätte Vilsbiburg kommende Saison ein Gesamtbudget von rund 600 000 Euro. Es wäre eine gute Grundlage. Vielleicht gelingt es dann auch mal wieder, spätere Nationalspielerinnen auszubilden. Wie Lenka Dürr, Anna Pogany oder Lena Stigrot, die Kapitänin der DVV-Frauen. Sie alle wärmte das Raben-Nest, bevor sie flügge wurden und sich aufmachten zu potenteren Klubs.

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